Seitensprungkind - Wie ich meine wahre Identität fand

von: Regula Brühwiler-Giacometti

Cameo, 2017

ISBN: 9783906287355 , 232 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 16,99 EUR

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Seitensprungkind - Wie ich meine wahre Identität fand


 

Vorwort


Leibliche Eltern, Pflegeeltern, biologische Eltern, Adoptiveltern, Ursprungseltern, physische Eltern, natürliche Mutter, Bauchmami – es gibt unzählige Bezeichnungen, wie ein adoptiertes Kind seine Eltern nennen kann. Hinter jedem Adoptierten stehen immer zwei Paar Eltern. Was für ein Glück, könnte man meinen! Aber welche Rolle spielen alle diese verschiedenen „Eltern“ im Leben eines Adoptierten?

Sicher waren in meinem Leben für mich die allerwichtigsten Bezugspersonen meine Adoptiveltern, die mich aufgenommen, aufgezogen und umsorgt haben. Ich werde sie in meinem Buch Mami und Papi nennen, so wie ich immer zu ihnen gesagt habe. Denn diese Bezeichnung ist die intimste und sie sagt aus, dass sie meine Herzenseltern waren. Sehr lange wollte ich gar nichts über meine leiblichen Eltern wissen. Sie existierten für mich quasi gar nicht. Ja, sie hatten mich gezeugt und meine leibliche Mutter hatte mich 9 Monate in ihrem Bauch getragen – aber sie hatten mich verlassen! Ich konnte nicht verstehen und nachvollziehen, wie man sein eigenes Kind einfach weggeben kann. Es interessierte mich überhaupt nicht zu wissen, wer diese Menschen waren. Ich hörte es auch nicht gern, wenn meine Eltern über die Adoption sprachen, denn ich wollte nur das Kind von meiner Mami und meinem Papi sein.

Erst viel später, als mein Sohn zur Welt kam, musste ich feststellen, dass er eigentlich mein erster wirklicher Verwandter war, den ich zu Gesicht bekam. Die erste Person, die ich kannte, die ein Teil meiner Gene und meiner Anlagen in sich trug. Und mein kleiner André glich mir sogar in gewissen Dingen. Das war ein gewaltiges Erlebnis, das auch ein paar Fragen betreffend meiner Vergangenheit aufwarf. Plötzlich wollte ich mehr wissen. Was habe ich denn von meinem leiblichen Vater und meiner leiblichen Mutter geerbt? Wie sehen sie aus? Besteht eine gewisse Ähnlichkeit? Zudem interessierte mich auch zu erfahren, ob in ihren Familien Erbkrankheiten existierten. In der heutigen Zeit wird man von Ärzten konstant darauf angesprochen, ob gewisse Krankheiten in der Familie schon vorgekommen sind. „Ich weiß es nicht, ich bin adoptiert worden“, war meine Standardantwort beim Arzt. Aber jetzt, wo ich selber einen Nachkommen hatte, wollte ich doch ein bisschen mehr über meine Herkunft erfahren. Und so habe ich angefangen zu recherchieren, was vor 30 Jahren noch ein aufwendiges Unterfangen war. Das Adoptionsverfahren stand immer noch unter Geheimhaltung und ich kam nur sehr mühsam an spärliche Informationen heran. Ein Kapitel dieses Buches ist dieser Suche gewidmet. Es zeigt auch auf, wie viel einfacher es heute für die Adoptierten ist, an ihre Akten zu kommen. Man hat heute allgemein einen viel lockereren Umgang mit dieser Thematik.

Das einstige Tabuthema boomt in der letzten Zeit in den Medien. Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass nicht in der Zeitung, im Fernsehen oder im Internet das Thema Pflegekind oder Adoption aufgegriffen wird. „Familiensuche“ „Suche nach den Wurzeln“ „Meine fremde Heimat“ etc.: Adoptionsgeschichten scheinen das Publikum zu faszinieren. So kam auch kürzlich der berührende Film „Lion“ ins Kino, den ich nur empfehlen kann. Er erzählt die Geschichte eines indischen Knaben, der von einer australischen Familie adoptiert wurde und sich auf die Suche nach seiner leiblichen Familie macht. Es gibt wirklich viele tolle Berichte und wahre Geschichten über Adoptierte und über die Suche nach den Wurzeln. Diverse Dokumentationen zeigen die Suche und die Begegnung mit den Ursprungseltern und zeichnen sich durch viele emotionale Momente und rührende Szenen aus. In meinem Buch möchte ich noch einen Schritt weitergehen und das Ganze anhand meines Beispiels tiefer beleuchten – was sicher auch nur subjektiv geschehen kann. Was passiert wirklich im Inneren eines Adoptierten vor einem solchem Treffen? Wie wichtig ist es, seinen Ursprung zu kennen? Wie kann diese Begegnung einem helfen, seine eigene Lebensgeschichte besser zu verstehen?

In einigen Kapiteln werde ich kleine Ausschnitte aus den Büchern „Mit den Augen eines Kindes sehen lernen“ von Dr. Bettina Bonus zitieren. Sie sind für mich so treffend formuliert und helfen, ein tieferes Verständnis zu entwickeln dafür, was es bedeutet, adoptiert zu sein. Frau Dr. Bonus hat sich über 20 Jahre intensiv mit der Problematik von Pflege- und Adoptivkindern beschäftigt und sich mit den Auswirkungen einer Adoption auseinandergesetzt. Dabei konnte sie viele Kinder begleiten. Ihre Beobachtungen und Erfahrungen hat sie in ihrer sehr intensiven praktischen Arbeit als Erzieherin, Pflegemutter und als Assistenzärztin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gesammelt. Sie hat auch mir die Augen geöffnet und die Tragik einer frühen Trennung von der leiblichen Mutter erkennen lassen. Eine Pflichtlektüre für alle Pflege- und Adoptiveltern!

„Seitensprungkind“ ein bewusst provokativ formulierter Titel. Ich habe viel am Titel dieses Buches gebastelt, aber keiner konnte mich überzeugen. So lautete er zuerst „Giacomettis Adoptivtochter“ oder „Die ausgewählte Tochter“. Wie es zu „Seitensprungkind“ kam, kann ich im Nachhinein nicht erklären, es war ein plötzlicher Einfall, aber der Titel hat sofort all den wenigen Leuten, die ich in mein Projekt eingeweiht habe, und dem Verlag gefallen. Wie viele andere teile auch ich das Schicksal, eines dieser Kinder zu sein, die aus einer Affäre hervorgingen. Mein leiblicher Vater ging mit meiner leiblichen Mutter eine Affäre ein, er war bereits verheiratet. Diese Beziehung hatte Folgen: mich. Hatte er je erfahren, was seine heimliche Liebschaft hervorgebracht hatte? Weiß er, dass er auf diesem Planet noch eine Tochter hat? Vielleicht bin ich sogar seine einzige Tochter!

Das Thema Adoption ist und wird immer Interesse wecken. Spannend ist es auch, einen Blick weiter zurück in die Geschichte der Adoption zu werfen. Der Begriff Adoption kommt vom lateinisch adoptio. Diese Form der Annahme der Kinder war bereits im römischen Recht bekannt, also schon vor der Geburt Christus (vor über 2 000 Jahren!). Sie bezeichnet die rechtliche Begründung eines Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen dem Annehmenden und dem Kind ohne Rücksicht auf die biologische Abstammung. Gaius (Iulius) Caesar, geb. 20 v. Chr., war ein Adoptivsohn des römischen Kaisers Augustus und bis zu dessen Tod sein designierter Nachfolger. Von Augustus zu möglichen Nachfolgern bestimmt, wurden er und sein jüngerer Bruder Lucius 17 v. Chr. von diesem adoptiert. Gaius Caesar übernahm zahlreiche Ämter und Titel, unter anderem den des princeps iuventutis („Führer der ritterlichen Jugend“). 4 v. Chr. wurde er für das Jahr 1 n. Chr. zum Konsul designiert und Pontifex.

Früher musste ein Chinese, der keine männlichen Nachfahren hatte, einen Jungen adoptieren, damit seine Familie „Ruhe vor seinem Geist“ hatte. Adoptierte und Pflegekinder bevölkern die Mythen und Sagen vieler Kulturen: Moses lag in einem Weidenkörbchen auf dem Nil, aus dem ihn die Tochter des Pharaos rettete und den kleinen Jungen aufzog. Auch Ödipus’ Eltern haben einst ihren Sohn weggegeben.

Die Adoption, d. h. die Kindesannahme, ist ein Rechtsinstitut, das in vielen Rechtskulturen stets das Gleiche bezweckt hat, aber immer wieder aus anderen Motiven heraus entwickelt worden ist. Es geht um die Herstellung eines Eltern-Kind-Verhältnisses. Der seiner Vergänglichkeit bewusste Mensch, dem Kinder und Erben versagt sind, möchte dank der Adoption in Nachkommen weiterleben. Er wünscht sich den Fortbestand seines Namens und seines Familienbesitzes. Früher diente das Institut der Adoption der Sicherung der Nachfolge.

In der schweizerischen Rechtstradition fand die Adoption erst Eingang durch die Aufnahme des römischen Rechts, und brachte die Einführung der Adoption in einigen Kantonen im 19. Jahrhundert. Die Wirkung bestand in allen Regelungen in der Schaffung eines Eltern-Kind-Verhältnisses. Erst 1907 wurde die „Annahme eines Kindes“ im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) aufgenommen, es handelte sich um die Form einer adoptio minus plena (weniger volle Adoption), die schon im römischen Recht vorgebildet war. Später, im Jahre 1973, trat dann, gestützt auf das Leitbild einer „Erziehungs- bzw. Fürsorgeadoption“ und unter Berücksichtigung internationaler Rechtsentwicklungen, das neue Adoptionsrecht in Kraft. Das Adoptionsrecht untersteht permanent Revisionen. So wurde in der Schweiz kürzlich die Stiefkindadoption für Ehepaare angenommen. Aktuell steht zur Diskussion, ob auch die Adoption für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt werden soll. Ob ein Kind unbedingt Mann und Frau als Eltern braucht, um sich gut entwickeln zu können, kann und möchte ich an dieser Stelle nicht beurteilen. Das Wichtigste ist sicher, welche Voraussetzungen und Fähigkeiten mitgebracht werden.

Mein Buch widmet ein Kapitel dem Vergleich der Adoptionsverfahren von früher und heute. Bezugnehmend auf diese Thematik findet man hier die bewegende Adoptionsgeschichte einer Freundin von mir, die regelrecht ihrer leiblichen Mutter entrissen wurde. Diese Episode zeigt auf, wie man in den 60er-Jahren mit alleinstehenden Müttern umging. Auch dieses Kapitel wird mit der Erzählung von befreundeten Eltern, die in der heutigen Zeit ein Kind adoptiert haben, vervollständigt. Es sind rührende Erfahrungsberichte, die ich unbedingt in dieses Buch integrieren wollte.

Meine Kindheit, die schwierige Pubertät und die Midlifecrisis sind auch Teil dieses Buches. Zudem werde ich über meine Suche nach den leiblichen Eltern und meine spätere Identitätsfindung berichten. Zum Abschluss gewähre ich einen Einblick über meine Arbeit beim Gericht und der KESB (Kindes- und...