Warum wir uns die Reichen nicht leisten können

von: Andrew Sayer

Verlag C.H.Beck, 2017

ISBN: 9783406708534 , 478 Seiten

Format: PDF, ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 14,99 EUR

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Warum wir uns die Reichen nicht leisten können


 

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Drei verfängliche Wörter:
«Verdienst», «Investition»,
«Reichtum»


In der Sprache der Ökonomie kann wie in jeder Sprache ein und dasselbe Wort ganz unterschiedliche Dinge meinen. Wörter wie «Verdienst», «Investition» und «Reichtum» nehmen sich alltäglich und unverfänglich aus, aber sie maskieren wichtige wirtschaftliche, moralische und politische Differenzen im heutigen Leben. Sie leisten bestimmten Annahmen und Überzeugungen Vorschub, von denen wir uns leiten lassen, aber sie tun dies auf eine Weise, die manches verdeckt. So legen sie zum Beispiel nahe, dass sich die Reichen, weil sie «Investoren» sind, ihren Reichtum redlich «verdient» haben und folglich alles mit rechten Dingen zugeht. Wenn wir das Problem der exzessiven Vermögenskonzentration verstehen wollen, müssen wir diese Wörter aufbrechen und die entscheidenden Unterschiede freilegen, die sich unter ihnen verbergen, weil sie unsere Bewertung dessen, was wir und andere, einschließlich der Reichen, tun, nicht unberührt lassen.

«Verdienst»

«Ich habe dieses Jahr x £ verdient» – damit kann jemand meinen, dass man ihm x £ gezahlt hat. Aber er kann insbesondere bei entsprechender Betonung – «Ich habe diese x £ verdient» – auch zu verstehen geben, dass ihm zusteht, was man ihm bezahlt hat, weil er das Gefühl hat, viel geleistet und einen guten Job gemacht zu haben. Manche Sprachen haben dafür verschiedene Wörter, aber das Englische und viele andere nicht: to earn oder, im Deutschen, «verdienen» heißt eben beides. Das Schwanken zwischen beiden Bedeutungen lässt sich sehr gut dafür nutzen, den Leuten einzureden, jeder bekomme das, was er verdient. So kommt es gar nicht selten vor, dass man selbst Geringverdiener von den Reichen sagen hört: «Na ja, sie haben es sich verdient, also steht es ihnen auch zu.» Die Reichen bestärkt dieses Schwanken in dem Gefühl, kraft besonderer Verdienste und Qualitäten über denen zu stehen, die mit niedrigen Einkommen über die Runden kommen müssen.[1] «Verdiener» aller Art bestärkt es zudem in dem Glauben, das Finanzamt nehme ihnen weg, was ihnen zusteht.

Es gibt viele Gründe dafür, dass Einkommen und Reichtum mit Verdienst und Leistung wenig zu tun haben. Um sie offenzulegen, werden wir uns nicht nur anschauen müssen, wo Einkommen und Wohlstand herkommen, sondern auch, was Verdienst und Leistung überhaupt ermöglicht und fördert. Weite Teile dieses Buchs sind diesen Fragen gewidmet.

«Investition»

Investieren ist sicher eine gute Sache: Das Wort hat einen besonderen Nimbus. Wir müssen in die Zukunft investieren, in bessere Infrastruktur und bessere Kommunikationsnetze, in bessere Ausbildung und bessere Technologien, und so weiter. In diesen Fällen ist Investition die Bereitstellung von Mitteln, die der Produktion von Gütern und Dienstleistungen oder dem Erwerb von Qualifikationen dienen, die es ohne sie nicht gäbe. Aber das honorige Wort ist vielleicht das verfänglichste, das unser Wirtschaftsvokabular bereithält, und es verschleiert die Quellen des Wohlstands wie kaum ein anderes. Häufig bezeichnet es Praktiken völlig anderer Art, etwa das Verleihen von Geld gegen Zinsen (an Kreditnehmer, die es ihrerseits nicht investieren müssen, sondern auch für Konsumgüter ausgeben können, statt es zu investieren) oder den Erwerb schon vorhandener Vermögenswerte wie Immobilien, Gold oder Kunstwerke in der Hoffnung, dass ihr Preis nach oben geht.

Wir haben es hier mit zwei ganz verschiedenen Definitionen des Begriffs Investition zu tun:

  1. Objektbezogene Definitionen. Im Zentrum steht hier, in was Personen oder Organisationen investieren (Infrastruktur, Ausrüstung, Menschen etc.) und welchen Nutzen und Vorteil es in der Zukunft bringt. Eine Schule oder ein Windpark, eine Eisenbahnlinie oder ein Ausbildungsprogramm können langfristige Vorteile bringen, indem sie unsere Leistungsfähigkeit verbessern. Sie ermöglichen die Produktion von neuen Gütern, Dienstleistungen und Qualifikationen, also von Dingen, die nützlich sind oder, in der Sprache der Ökonomie, einen Gebrauchswert haben: ein günstigeres Lernumfeld, sauberere Energiequellen, bessere Verkehrsmittel, qualifiziertere Arbeitskraft etc. Oder sie dienen dazu, veraltete Betriebsmittel zu ersetzen. All das sind Beispiele für das, was wir Real- oder Sachinvestition nennen können.

  2. «Investoren»-bezogene Definitionen. Im Zentrum steht hier, welche Erträge die «Investition» für den «Investor» abwirft, ganz gleich, ob er Geld ausgibt, verleiht oder spart, ob er finanzielle Vermögenswerte erwirbt oder spekuliert, und ganz gleich, ob sie zu irgendeiner Realinvestition beiträgt oder von irgendeinem gesellschaftlichen Nutzen ist. Statt um den Gebrauchswert, der sich aus der Investition ergibt, geht es jetzt nur um die Frage, wie viel Geld sie dem Investor einbringt. Im Finanzsektor wird das Wort vornehmlich in diesem Sinne gebraucht, weil es ihm mehr oder weniger gleichgültig ist, wo das Geld herkommt. 1 Million , die eine Realinvestition abwirft, unterscheidet sich nicht von 1 Million  in Gestalt von Darlehenszinsen oder Spekulationsgewinnen. Geld ist Geld, und alle Unterschiede seiner Herkunft sind ihm nicht anzusehen, wie bedeutsam sie auch sein mögen. Auch Spielen, einschließlich des Spielens mit dem Geld anderer Leute, wird «Investition» genannt, sofern es nur hohe Renditen verspricht. Wenn auf einer Brücke eine Mautstelle errichtet wird, kann dies nach heutigem ökonomischem Sprachgebrauch als Investition gelten, auch wenn die Brücke vorher schon da war und die Mautstellenbesitzer nichts für ihre Instandhaltung oder Verbesserung getan haben.

Warum ist das von Belang? Weil die Verwendung ein und desselben Wortes für ganz verschiedene Dinge uns dazu bringt, die bloße Aneignung von Reichtum mit dessen Erzeugung, die Abschöpfung mit der Wertschöpfung zu verwechseln. In der ersten Bedeutung des Worts meint Investition den Versuch, Wohlstand zu schaffen, in der zweiten den Versuch, Wohlstand abzuschöpfen. Die Gleichgültigkeit dagegen, ob Personen oder Institutionen echte Investitionen tätigen oder sich bloß bereichern, zählt zu den Hauptquellen kapitalistischer Irrationalität, und unser Gebrauch des Wortes «Investition» trägt dazu bei, diese Irrationalität zu verschleiern.

Es gibt keine notwendige Verbindung zwischen den beiden Verwendungen des Begriffs. Eine echte Investition kann Rendite abwerfen oder nicht. Auch wenn sie Ihnen nichts einbringt, kann sie irgendwo materielle Vorteile zeitigen – zum Beispiel ein Krankenhaus am anderen Ende des Landes, das Sie nie brauchen werden. Und selbst wenn Sie durch eine Investition Geld verlieren, kann es sich um eine Investition im erstgenannten Sinne handeln, sofern sie nur jemandem zugutekommt. Eltern mögen die Mühe, die es macht, ihre Kinder aufzuziehen, als Investition dieser Art empfinden. Aus der Perspektive der zweitgenannten Definition haben wir es in solchen Fällen mit einer Fehlinvestition zu tun.

Entsprechend kann eine Verwendung des Begriffs, die bloß den finanziellen Gewinn im Sinn hat, Handlungen meinen, die keinerlei wirkliche Investition in was auch immer tätigen. Tatsächlich können sie sich sogar, wie die Zerschlagung und Ausschlachtung von Unternehmen, negativ auswirken, indem sie kurzfristigen Gewinnen den Vorzug gegenüber langfristigen Sachinvestitionen geben. Die Spekulanten selber nennen sich freilich ...