Das Haus Zamis 51 - Juna

von: Michael Marcus Thurner, Logan Dee

Zaubermond Verlag, 2017

ISBN: 9783955722517 , 208 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 4,99 EUR

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Das Haus Zamis 51 - Juna


 

 

1.


 

Vergangenheit

Das kleine Mädchen roch gut. Nach frischem und rohem Fleisch. Aber auch nach Unschuld und Naivität.

Das Gör hatte etwas an sich, das ihn wie magisch anzog, und es dauerte eine Weile, bis er den Grund für diese Anziehungskraft verstand: Sie war kein Mensch. Tief in ihr drin loderte das schwarze Feuer, das eine Hexe ausmachte und sie antrieb, eine Quelle, die niemals erlosch.

Oh, dieser Geruch … Er erzitterte vor Geilheit und hatte Mühe, sich zu beherrschen. Er wäre so gern über das Mädchen hergefallen, jetzt gleich, um seine Klauen in seinen Leib zu schlagen und sich an der obszönen Lebensflamme zu laben.

Er hatte gelernt, sich zu gedulden. Es gab so viele andere hier, die stärker als er selbst waren. Er musste abschätzen und abwarten und im richtigen Moment zuschlagen, wollte er das Mädchen für sich alleine haben.

Also blieb er auf seinem Baum hocken und beobachtete.

 

Juna lief, schnell und schneller. Irgendetwas hatte sie erschreckt. Ein knackender Ast oder ein Windstoß. Ein Etwas, das sachte nach ihren Haaren gegriffen hatte. Oder jemand, der unter der Erdoberfläche steckte und seine Krallen nach ihren Füßen ausgestreckt hatte.

Sie lief dahin wie der Wind – und kam doch kaum vorwärts. Die Bäume ringsum versperrten ihr immer wieder den Weg. Sie musste ausweichen und Umwege nehmen, in einem düsteren Landstrich, den Juna kaum kannte und in dem die Orientierung schwerfiel.

Ab und zu lugte der Mond zwischen den Baumkronen hervor. Am unteren Rand der Sichel war er rot, so, als wäre er verletzt worden und würde bluten.

Sie war doch schon einige Male hier gewesen! Immer, wenn ihnen die Fürstin einige Stunden Freizeit gegönnt hatte, war sie mit Matilda zum Fluss gelaufen, um dort im Wasser vergnügt zu plantschen. Um Kind zu sein und nicht nur Hexe. Doch jetzt, in der Dunkelheit, war ihr das Gelände völlig fremd.

Juna hielt keuchend inne und stützte sich an einem der Baumstämme ab. Ihr war schwindlig. Sie musste ein paarmal durchatmen, um zu Kräften zu kommen.

Wie lange war sie schon unterwegs? Verfolgte sie die Fürstin, war jemand hinter ihr her? War sie weit genug weg von der Temeschburg, dem Sitz dieses schrecklichen Dämonenweibes?

Sie durfte sich derartige Gedanken nicht erlauben. Weiter musste sie, weiter, hin zum Hoia-Baciu-Wald. Nur dort durfte sie darauf hoffen, zurück zu Michael Zamis zu gelangen. Er alleine würde ihr helfen und sie beschützen.

Juna hielt den Atem an und lauschte. Nein. Da war nichts. All die Geräusche und Berührungen waren bloß Einbildung gewesen, Ergebnisse ihrer überhitzten Fantasie.

Kein Wunder: Während ihres Aufenthalts auf der Temeschburg hatte sie schreckliche Dinge gehört, gesehen und am eigenen Leib erfahren. Die Fürstin Bredica hatte sie gequält und mit ihrem Rohrstock mehr als einmal verprügelt, sie aber auch mit Mitgliedern einiger rumänischen Dämonensippen Bekanntschaft machen lassen.

In der Ferne hörte sie Wasser gurgeln. Der Fluss war nicht mehr fern. Sie musste ihn durchschwimmen, um anschließend zwei Kilometer leicht ansteigendes Brachland zu queren und die Ausläufer des Hoia Baciu auf einer kleinen Hochebene zu erreichen.

Juna aß einige Bissen vom belegten Brot, das sie in einem Beutel mit sich trug, und setzte sich wieder in Bewegung, vorsichtiger diesmal.

Sie folgte dem Geräusch des Wasserplätscherns. Der Boden war feucht und glitschig – und er dampfte. Die Nacht war ungewöhnlich warm. Nebel stieg auf und erschwerte ihr die Orientierung noch mehr.

Ein Laut!

Juna blieb wie erstarrt stehen. Sie hielt den Atem an, eine halbe Minute, eine Minute, um sich nur ja nicht zu verraten.

Erleichtert blies sie Luft aus, als sie das Geräusch ein weiteres Mal hörte. Es war bloß das Schuhuhen eines Kauzes, der irgendwo im Geäst saß.

Erleichtert setzte sie ihren Weg fort – und rutschte weg. Ein Augenblick der Unachtsamkeit reichte, um sie in den Morast plumpsen zu lassen. Vom Schwung getragen, nahm sie Fahrt auf und glitschte einen immer steiler werdenden Abhang hinab.

Verzweifelt versuchte Juna, sich festzuhalten. Sie schnappte nach Ästen und Wurzeln, nach Trieben und Steinen. Doch sie war zu schnell, ihre Hände zu schwach.

Sie stieß sich an einem Baumstumpf und fühlte, wie eine Dornenranke das Fleisch ihrer Haut am Oberarm aufriss. Sie glitt auf Schlamm dahin, schneller und schneller.

Juna fühlte sich mit einem Mal schwerelos. Sie segelte durch die Luft, überschlug sich. Klatschte mit dem Bauch voran auf – und tauchte unter.

Der Fluss!

Die Strömung riss sie fort, zog sie in die Tiefe hinab, spuckte sie wieder aus. Sie trieb dahin, orientierungslos und hilflos.

Das Wasser war eisig kalt. Eine jede Bewegung schmerzte, ein jeder Atemzug fiel Juna schwer. Sie musste ans andere Ufer, rasch! Es waren doch bloß wenige Meter!

Sie tat Schwimmbewegungen und stabilisierte ihre Körperlage, sodass sie sich orientieren konnte. Über dem Brachland lag eine dicke Nebelschicht, vom Blutmond beschienen. Der dahinterliegende Wald des Hoia Baciu war nicht zu erkennen. Sie meinte stattdessen, mehrere rotglühende Augenpaare in dieser trüben Suppe zu entdecken, die ihr aufmerksam mit Blicken folgten.

Juna atmete flach und rasch. Die Kälte des Wassers ging ihr durch Mark und Bein. Sie bewirkte, dass ihre Gedanken träger wurden und sie kaum mehr wusste, was sie eigentlich vorgehabt hatte.

»Ans … Ufer«, sagte sie sich selbst, vermochte aber ihr eigenes Wort kaum zu verstehen. Kein Wunder, denn der Fluss brüllte und schrie. Der Nebel vermengte sich nicht weit voraus mit feinstem Wasserstaub.

Die Radulescu-Fälle!

Juna erinnerte sich, vor Wochen an der steinernen Verengung dieser tückischen Wasserfälle herumgeklettert zu sein. Sie hatte minutenlang fasziniert zugesehen, wie die tosenden Massen hinabgestürzt waren, mehr als zehn Meter tief, um sich über wie Zähne hochragende Felsen zu ergießen. War sie tatsächlich schon so weit abgetrieben worden?

Sie war so schrecklich müde – und dennoch verstärkte sie ihre Anstrengungen. Sie paddelte und strampelte und machte Schwimmbewegungen, sie tastete nach Felsen und einigen Ästen, die neben ihr dahintrieben. Selbst nach den langen Armen glitschigen Seetangs griff sie, um sich festzuhalten. Vergebens.

Das Wasser war doch nicht einmal eineinhalb Meter tief! Dennoch wollte und wollte es Juna nicht gelingen, irgendwo Halt zu finden oder sich mit den Beinen ins Kiesbett zu stemmen. Immer lauter wurde es, immer näher kam die Wolke des Wasserstaubs, immer schneller wurde sie vorangetrieben, auf die Radulescu-Fälle zu.

Da war Hexerei im Spiel. Die Fürstin hatte ihre Flucht entdeckt und war ihr nachgeeilt, um nun irgendwo am Rand des Flusses dabei zuzusehen, wie Juna ihrem Tod entgegentrieb. Oder? Wollte sie sich bloß nicht eingestehen, dass sie sich ungeschickt verhalten hatte und selbst Schuld an ihrer Misere trug?

Sie wehrte sich nicht länger gegen die Strömung. Es war sinnlos, gegen derartige Kräfte anzukämpfen. Sie musste sich auf ihre eigenen Stärken konzentrieren, auf ihre ganz besondere Form der Hexenmagie.

Juna ließ sich treiben und fand, so gut es ging, zu innerer Ruhe. Sie überlegte sich einen Wunsch. Sie musste ihren Gedanken so klar und deutlich wie möglich formulieren.

Ich will überleben, dachte sie. Ich will nicht sterben!

Nein. Das war viel zu allgemein gehalten. Sie benötigte eine präzise Idee. Andernfalls würde ihre Dämonenkraft nicht reichen.

Ihre Arme und Beine waren taub, der Kopf schmerzte, und immer wieder verlor sie die Orientierung. Vor ihr verengte sich der Fluss, sie trieb schneller und schneller dahin. Ein Wirbel riss sie sekundenlang unters Wasser, und als Juna wieder hochkam, waren es keine zwanzig Meter mehr bis zu den Radulescu-Fällen.

Ich wünsche mir, dass sich das Wasser an der Kante aufstaut und nicht länger abrinnen kann!

Juna steckte all ihre verbliebenen Energien in diesen einen Gedanken. Doch er kam zu spät. Sie war der Kante zu nahe. Nichts konnte sie mehr retten, nichts …

Es krachte und knirschte, und Juna fühlte einen plötzlichen Ruck. Die Strömung ließ abrupt nach. Sie prallte gegen irgendetwas, wurde von einer Welle hochgeschwappt und stürzte zurück in die eisig kalten Wassermassen.

Alles war ruhig. Das Tosen des Wasserfalls war kaum mehr zu hören. Wogen schaukelten sie hin und her, bis auch diese Bewegungen endeten und sie nur noch einen sanften Kreiselsog spürte.

»Ans Ufer!«, feuerte sich Juna selbst an und tat einige Schwimmbewegungen hin zum Brachland. Sie bekam Fels zu fassen und irgendein dorniges Gewächs, dessen Äste zu ihr ins Wasser reichten.

Juna zog sich in die Höhe und scherte sich nicht darum, dass die Dornen ihre Handinnenflächen zerrissen. Sie fühlte festen Boden unter ihren Beinen und kletterte aus dem Wasser, schlotternd und mit tauben Gliedern, die ihr kaum noch gehorchen wollten.

Rasch torkelte sie einige Schritte weg vom Fluss, umrundete faulig riechende Tümpel und ließ sich auf schlammige Erde fallen. Ihr Körper versagte, sie konnte nicht mehr weiter.

Ein Schemen tauchte aus dem Nebel auf. Klein, aber breit gebaut, wankte die Gestalt auf sie zu. Juna war zu erschöpft, um auch nur Angst zu verspüren. Sie musste hinnehmen, was nun geschah. Da war nichts mehr, kein Jota Kraft, um sich gegen das Wesen zur Wehr zu setzen.

Sie wollte schreien – und brachte bloß ein Krächzen hervor. Sollte ihr Gegner doch mit ihr machen, was er wollte. Sie würde ohnedies erfrieren. Es gab nichts mehr, das sie tun konnte.

Der Unbekannte tat...