Neuropsychologie psychischer Störungen

Neuropsychologie psychischer Störungen

von: Stefan Lautenbacher, Siegfried Gauggel

Springer-Verlag, 2010

ISBN: 9783540723400 , 589 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 99,99 EUR

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Neuropsychologie psychischer Störungen


 

15 Neuropsychologie des Ecstasy-Abusus (S. 310-311)

Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, Joerg Daumann

15.1 Neurotoxizität von Ecstasy – Tierexperimentelle
Untersuchungen – 311
15.2 Neurotoxizität von Ecstasy – Relevanz für den Menschen – 312
15.3 Kognition bei Ecstasykonsumenten – 313
15.4 Literatur – 319

Der Begriff Ecstasy wird meistens synonym für 3,4- Methylendioxymethamphetamin (MDMA) verwandt. MDMA ist die verbreiteteste Jugenddroge nach Cannabis und in der Regel auch der einzige Inhaltsstoff der Ecstasypillen. Nur gelegentlich werden chemische Analoga wie 3,4-Methylendioxyamphetamin und 3,4-Methylendioxyethylamphetamin, die hinsichtlich ihrer Wirkungen kaum vom MDMA zu unterscheiden sind, als Ecstasy verkauft. Deutlich seltener beinhalten die Ecstasypillen andere Substanzen wie Amphetaminstimulanzien, Koffein u. a. Vereinfachend werden im Folgenden die Begriffe Ecstasy und MDMA synonym verwandt.

Ecstasy ist chemisch eng verwandt sowohl mit Amphetaminstimulanzien als auch mit Halluzinogenen (. Abb. 15.1). So überrascht es nicht, dass die drei Substanzgruppen ähnliche pharmakologische Mechanismen und physiologische Effekte haben. Stimulanzien und Ecstasy verstärken akut die Freisetzung und blockieren die Wiederaufnahme der Transmitter Dopamin (DA), Noradrenalin (NA) und Serotonin (5-HT), wobei der Schwerpunkt der Wirkungen bei Stimulanzien auf DA und NA, und bei Ecstasy auf 5-HT liegt. Im Vergleich hierzu wirken Halluzinogene hauptsächlich als direkte Agonisten an 5-HT2 Rezeptoren.

Die charakteristischen, subjektiv angenehmen psychischen Effekte von Ecstasy sind emotionaler Natur (Gefühl der Nähe zu anderen Menschen, Angstfreiheit, Glücksgefühle, Selbstakzeptanz, kommunikative Offenheit). Amphetaminähnliche und halluzinogene Effekte gehören jedoch auch zum Spektrum der psychotropen Wirkungen von Ecstasy.

In Deutschland geben nach aktuellen Berichten ca. 5% der jungen Erwachsenen Erfahrungen mit Ecstasy an, und bei ca. 15-20% dieser Personen ergeben sich Hinweise auf einen regelmäßigen Konsum bzw. Missbrauch. Das durchschnittliche Einstiegsalter liegt bei 17,4 Jahren (BzgA 2001). Besonders eng ist der Konsum von Ecstasy mit der Partyszene verbunden; so geben 50% bis sogar 80% Besucher von Großveranstaltungen an, dass sie Ecstasy konsumieren.

Ecstasy kann – wie auch die Amphetaminstimulanzien – zu schwerwiegenden akuten oder subakuten Komplikationen wie Herzinfarkte, Hirnblutungen, epileptische Anfälle, Hyperthermie, Rhabdomyolyse, Gerinnungsstörungen mit Multiorganversagen und schweren Hepatitiden führen. Diese Akutkomplikationen sind dramatisch, aber glücklicherweise angesichts der großen Verbreitung von Ecstasy eher selten. Darüber hinaus ist es aber möglich, dass der wiederholte, und vor allem der regelmäßige, hochdosierte Konsum von Ecstasy langfristig zu toxischen Schädigungen im Zentralnervensystem führt. Diese Annahme basiert auf tierexperimentellen Nachweisen langanhaltender neurotoxischer Hirnschädigungen nach Verabreichung von MDMA. Aktuelle Bildgebungsstudien ergaben Hinweise auf zumindest mittelfristige hirnstrukturelle Veränderungen bei Ecstasykonsumenten, die mit der Neurotoxizität von MDMA zusammenhängen könnten. Schließlich wurden bei Ecstasykonsumenten in einer Reihe von Studien funktionelle Auffälligkeiten, insbesondere im Bereich der Kognition beschrieben, die möglicherweise Folge der toxischen ZNS-Veränderungen sein könnten.

Nachfolgend wird der Stand des Wissens zum neurotoxischen Potenzial von MDMA und zu kognitiven Leistungen von Ecstasykonsumenten zusammengefasst. Anschließend wird die aktuelle Literatur zum Zusammenhang zwischen Ecstasykonsum und kognitiven Leistungen kritisch diskutiert.

15.1 Neurotoxizität von Ecstasy – Tierexperimentelle Untersuchungen

Tierexperimentelle Untersuchungen bei verschiedenen Spezies zeigten seit uber 20 Jahren, dass MDMA in hohen Dosen und nach wiederholten Gaben anhaltende Veranderungen serotonerger Systeme imZNS hervorruft: Es kommt zu einer Verarmung des Hirngewebes an 5-HT, seinem Hauptmetaboliten 5-Hydroxyindolessigsaure (5-HIAA) und der prasynaptischen Serotonintransporter (SERT), zu einer Konzentrationsabnahme von 5-HIAA im Liquor und zur Aktivitatsminderung des Schrittmacherenzyms der Serotoninsynthese Tryptophanhydroxylase im Hirngewebe (Green et al. 2003).

Nachanatomisch/histochemischenUntersuchungen resultieren diese lang anhaltenden Veranderungen nachMDMA-Gabe aus einer toxischen Schadigung serotonerger Axonterminale im gesamten Gehirn. Lediglich beiMausen betreffen die toxischen Veranderungen das serotonerge und das dopaminerge System.Ansonsten zeigtMDMAbei allen bisher untersuchten Spezies einschl. Primaten das Muster der selektiven Neurotoxizitat am serotonergen System.

Die Zellkorper der serotonergenNeurone liegen in den Raphekernen des Mittelhirns und projizieren mit ihren teils sehr langen Axonen in praktisch jedes Hirnareal. Der Grad der serotonergen Innervation ist jedoch unterschiedlich fur die verschiedenen Regionen, wobei der Hippokampus, die Basalganglien, der Thalamus, die Substantia nigra, die Amygdala und die primar sensorischen Rindenareale vergleichsweise dichte Projektionen aus den Raphekernen erhalten (Jacobs u.Azmitia 1992). Bei Ratten, der am umfangreichsten untersuchten Spezies, findet sich ein Jahr nach der MDMA-Exposition eine vollstandige Restitution der serotonergen Innervation in den meisten Regionen. Allerdings fanden manche Studien eine inkomplette Regeneration serotonerger Axone im Hippokampus und einigen Rindengebieten und eine uberschiesende Regeneration im Hypothalamus. Manche Spezies und Stamme zeigen starkere neurotoxische Effekte durch MDMA als andere, wobei Primaten besonders vulnerabel sowohl hinsichtlich des Ausmases als auch hinsichtlich der Persistenz der neurotoxischenVeranderungen zu sein scheinen:Geringere MDMA-Dosen fuhren zu ausgepragterer 5-HT-Depletion im Vergleich zu den Befunden bei Ratten, und die Regeneration der geschadigten Axonterminale scheint nur partiell zu sein (Green et al. 2003).

Bei einer Primatenstudie liesen sich sogar noch 7 Jahre nach derMDMA-Exposition deutliche Veranderungen nachweisen: In denmeisten kortikalen Hirnarealen und im Hippokampus waren die regenerativen Vorgange schwach ausgepragt, wahrend in subkortikalen Strukturen uberschiesende und aberrierende Reinnervationsmuster nachgewiesen wurden (Hatzidimitriou et al. 1999).