... und Olkowitz liegt doch am Meer. Schönheit ist des Teufels - Die Autobiografie eines Dirigenten

von: Alois Springer

acabus Verlag, 2011

ISBN: 9783862820139 , 412 Seiten

Format: PDF, ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 8,99 EUR

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... und Olkowitz liegt doch am Meer. Schönheit ist des Teufels - Die Autobiografie eines Dirigenten


 

[...] Ich klopfte an. Das ganze Dorf schien es zu hören. Welche Ungeheuerlichkeit war da im Gange? Es tat sich nichts. Dann hörte ich schlürfende Schritte. Die Tür öffnete sich. Eine missmutige Alte mit ängstlichem Ausdruck und geduckter Haltung stand vor uns. 'Einen schönen guten Tag, ich komme aus ...', sagte ich. Weiter kam ich nicht. Die Alte schaute mich ungläubig an. Das auch für sie Unfassbare und doch zu lang Erwartete, Befürchtete, Unvermeidliche war nach 50 Jahren eingetreten. Als käme sie aus einem langen quälenden Alptraum, zeigte sie fassungslos mit ihrer Rechten auf den Boden, hielt inne, schaute mich an und deutete zweifelnd die Größe eines etwa neunjährigen Knaben an. Dann fragte sie zögernd: 'Bist du der kleine Alois?' Ich aber schaute über sie hinweg in den gekachelten, langen Flur und sah mich auf dem Flurboden spielen, draußen im geräumigen Hof herumtollen, hinübergehen zum Schweinestall mit meinen drei Schweinen und erinnerte mich an den beißenden Geruch. Nichts hatte sich verändert: der geschlossene Innenhof, vorne das Wohnhaus, auf der Rückseite die Ställe, mitten im Hof der Brunnen und hinten in die Ecke gedrückt, das Plumpsklo, und der Weg zur Küche und direkt in die Mühle. Hier, in diese Küche trat ich nun ein. Die Alte machte mir fast untertänig, heuchlerisch Platz. 'Alles ist geblieben, wie es früher war ...', beeilte sich Maria, die Alte, ohne Aufforderung zu erklären. 'Alles! Sogar dieselben Möbel stehen noch am gleichen Platz - wie damals! Hier, siehst du, die Kredenz, den Ofen mit den Ringen!' Wie in Trance streiften meine Blicke durch den Raum. Meine Kindheit kam langsam auf mich zu, wurde gegenwärtig. Die dramatischen Ereignisse kurz vor der Vertreibung. 'Wir mussten alles bezahlen, alles hier', redete die Alte auf mich ein. 'An den Staat, an diesen Staat!' Sie meinte damit wohl, dass sie die Mühle, den Garten, die Felder nicht geraubt hätten, sondern erworben durch harte Arbeit und eigenes Geld. Ein weißhaariger Alter, Marias Mann, kam vom Hof her in den Flur. Wir sahen uns an, abtastend. Dieses hasserfüllte Gesicht, jetzt faltig und zermürbt, hatte ich schon einmal über mir gesehen, ja, die Mordlust und der stumme Schrei in diesen Augen - 'Kreuzigt sie!' Je länger ich die beiden Ergrauten ansah, desto deutlicher trat die Erinnerung hervor. Waren es nicht dieselben Menschen, inzwischen voller Angst gealtert, von denen meine Familie aus der Mühle in den hintersten Schweinestall zu den Schweinen gesperrt wurde, in den Kot der Schweine, während sie vorne als Herren lachend einzogen? 'Wir sind bettelarm, Alois, schau dich um! So ist es uns ergangen. Inzwischen sind wir alt und schwach', jammerte der Weißhaarige. 'Unsere Rente reicht nicht einmal für das Grab.' Und er fügte hinzu: 'Wir mussten dem Staat alles bezahlen. Und ihr - ihr seid reich!' Maria, die Alte, seine Frau, nickte. Sie stand an demselben Herd wie meine Mutter damals, schob ein Holzscheit in die Glut und rückte die Ringe auf der Herdplatte zurecht. Betroffen bemerkte ich, wie sich ihr Bild in mir veränderte und das besorgte Gesicht meiner Mutter auftauchte. Sie bot mir den Platz an, auf dem ich mit meinem größeren Bruder Hubert um die besten Happen auf dem Tisch gekämpft hatte - wie so oft in den glücklichen ahnungslosen Tagen meiner Kindheit zwischen dem Beginn des zweiten Weltkriegs 1939 und dem daraus folgenden lang anhaltenden Trauma der Vertreibung aus Olkowitz und Südmähren am 18. August 1945.