Die Stadt des Affengottes - Eine unbekannte Zivilisation, ein mysteriöser Fluch, eine wahre Geschichte

von: Douglas Preston

Deutsche Verlags-Anstalt, 2017

ISBN: 9783641203924 , 368 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Die Stadt des Affengottes - Eine unbekannte Zivilisation, ein mysteriöser Fluch, eine wahre Geschichte


 

Ganz im Osten von Honduras, in einem Landstrich namens La Mosquitia, befinden sich einige der letzten weißen Flecken unserer Landkarte. Die Mosquitia ist eine etwa 80000 Quadratkilometer große Bergregion, die von Regenwäldern, Sümpfen, Seen und Flüssen durchzogen ist. Die ersten spanischen Entdecker markierten sie auf ihren Karten mit Portal del Infierno, »Tor zur Hölle«. Die Mosquitia ist eine der unzugänglichsten Gegenden der Welt, jahrhundertelang scheiterte jeder Versuch, in sie vorzudringen. Bis heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wurden Tausende Quadratkilometer nicht erforscht.

Im Herzen der Mosquitia überwuchert der dichteste Urwald der Welt eine wilde Berglandschaft. Einige der Gebirgszüge ragen über anderthalb Kilometer hoch auf und sind von tiefen Schluchten, hohen Wasserfällen und reißenden Bächen durchsetzt. Pro Jahr gehen hier mehr als drei Meter Regen nieder, weshalb die Gegend regelmäßig von Überschwemmungen und Erdrutschen heimgesucht wird. Die Schlammlöcher können einen Menschen bei lebendigem Leib verschlingen. Im Unterholz lauern tödliche Giftschlangen und Jaguare, Dornen bohren sich in Kleider und Fleisch. Selbst erfahrene und mit Macheten und Sägen ausgerüstete Forscher müssen damit rechnen, an einem brutalen Zehn-Stunden-Tag bestenfalls vier oder fünf Kilometer voranzukommen.

Aber nicht nur natürliche Gefahren erschweren die Erkundung der Mosquitia. Honduras hat neben El Salvador die mit Abstand höchste Mordrate der Welt. Vier Fünftel des Kokains, das von Südamerika in die Vereinigten Staaten kommt, wird durch Honduras geschleust. Weite Teile des Landes werden von Drogenkartellen beherrscht. Regierungsbeamte der Vereinigten Staaten dürfen derzeit nicht in die Mosquitia und den Bezirk Gracias a Dios reisen, »aufgrund ernstzunehmender Drohungen gegen US-amerikanische Staatsbürger«, wie das Außenministerium mitteilt.

Aufgrund der Abgeschiedenheit der Mosquitia hält sich seit vielen Jahrhunderten eine faszinierende Legende. Tief in der undurchdringlichen Wildnis liege eine geheimnisvolle Stadt aus weißem Stein, heißt es. Es sei die Ciudad Blanca, die Weiße Stadt, die auch die »Stadt des Affengottes« genannt wird. Manche behaupten, dass die Stadt von den Maya erbaut wurde, andere glauben, dass sie schon vor Jahrtausenden von einem unbekannten und längst untergegangenen Volk gegründet wurde.

Am 15. Februar 2015 saß ich in einem Konferenzraum des Hotels Papa Beto in der honduranischen Kleinstadt Catacamas und nahm an einer Einsatzbesprechung teil. Schon in wenigen Tagen sollte unser Team per Hubschrauber in ein unerforschtes Tal tief in den Bergen der Mosquitia geflogen werden, das nur als »Target One« oder T1 bezeichnet wurde. Der Hubschrauber sollte uns am Ufer eines namenlosen Bergbachs absetzen, damit wir dort, mitten im Regenwald, allein auf uns gestellt ein primitives Camp errichteten. Das sollte unser Basislager sein, von dem aus wir etwas erkunden würden, das wir für die Ruinen einer bislang unbekannten Stadt hielten. Wir würden die ersten Wissenschaftler sein, die diesen Teil der Mosquitia betraten. Keiner von uns hatte eine Vorstellung davon, was uns dort erwartete, im tiefen Urwald und in einer Wildnis, die seit Generationen kein menschlicher Fuß mehr betreten hatte.

Es war Abend in Catamacas. Am Kopfende unseres großen Tisches stand der Einsatzleiter der Expedition, ein pensionierter Soldat namens Andrew Wood, den alle nur Woody nannten. Als früherer Angehöriger der Coldstream-Garde und Oberstabsfeldwebel der britischen Spezialeinheit SAS war Woody ein Experte für Urwaldeinsätze. Zur Einleitung erklärte er uns, seine Aufgabe sei ganz einfach: Er solle uns lebend wieder nach Hause bringen. Er hatte uns zu dieser Einsatzbesprechung eingeladen, um uns ins Bewusstsein zu rufen, mit welchen Gefahren wir bei der Erforschung des Tals konfrontiert werden konnten. Er ließ keine Zweifel daran aufkommen, dass sein Team von ehemaligen SAS-Elitesoldaten das Sagen hatte, solange wir in der Wildnis waren: Die Expedition war eine quasi-militärische Operation, und wir – die eigentlichen Expeditionsleiter eingeschlossen – hatten seinen Anweisungen ohne Widerworte Folge zu leisten.

Es war das erste Mal, dass alle Expeditionsteilnehmer – Wissenschaftler, Fotografen, Filmleute, Archäologen und ein Schriftsteller, nämlich meine Wenigkeit – an einem Ort zusammenkamen. Wir waren eine bunt zusammengewürfelte Truppe und bislang in sehr unterschiedlichem Maße in Kontakt mit der Wildnis gekommen.

Woody erklärte uns in seiner abgehackten Sprechweise die Sicherheitsvorkehrungen. Noch ehe wir überhaupt einen Fuß in den Urwald setzten, mussten wir schon auf der Hut sein. Catacamas ist eine gefährliche Stadt und wird von einer brutalen Drogenbande beherrscht – keiner von uns durfte ohne bewaffneten Begleitschutz das Hotel verlassen. Wir durften niemandem verraten, wozu wir nach Honduras gekommen waren, nicht in Hörweite von Hotelangestellten über das Projekt sprechen, keine mit der Expedition zusammenhängenden Unterlagen herumliegen lassen und nicht telefonieren, wenn fremde Ohren mithören konnten. Im Gepäckraum des Hotels gab es einen großen Safe, in dem wir unsere Papiere, Geldbeutel, Landkarten, Computer und Pässe lassen konnten.

Dann ging Woody zu den Gefahren des Urwalds über. Ganz oben auf der Liste standen die Giftschlagen, allen voran die Lanzenotter, die in Mittelamerika als barba amarilla (»Gelbbart«) bezeichnet wird. Dieses Reptil, das zur Familie der Grubenottern zählt, ist in der Neuen Welt für mehr Todesfälle verantwortlich als jede andere Schlangenart. Sie kommt nachts aus ihrem Versteck und wird von Menschen und Aktivität angelockt. Sie ist aggressiv, reizbar und unglaublich schnell. Mit ihren Giftzähnen durchschlägt sie den dicksten Lederstiefel und speit ihr Gift mehr als zwei Meter weit. Gelegentlich beißt sie zu, verfolgt ihr Opfer und beißt ein weiteres Mal zu. Oft zuckt ihr Kopf nach oben und schlägt über dem Knie ins Bein. Ihr Gift wirkt tödlich. Wer nicht sofort an Hirnblutungen stirbt, erliegt später einer Blutvergiftung. Wer wider Erwarten doch überlebt, dem muss oft das Bein amputiert werden, weil das Gift eine Nekrose bewirkt. Bis ein Bissopfer geborgen werden kann, können einige Tage vergehen, denn die Mosquitia ist so schwer zugänglich, dass selbst Hubschrauber nur tagsüber und bei gutem Wetter einfliegen können. Daher legte uns Woody dringend ans Herz, immer unsere Schlangengamaschen zu tragen, auch und vor allem, wenn wir nachts zum Wasserlassen aufstanden. Wenn ein umgefallener Baum den Weg versperrte, sollten wir immer erst auf den Stamm steigen und dann erst den Fuß auf die andere Seite setzen; niemals sollten wir auf eine Stelle treten, die wir nicht einsehen konnten. Auf diese Weise wurde nämlich Steve Rankin, der Produzent des Dokumentarfilmers und Abenteurers Bear Grylls, von einer Lanzenotter gebissen, als er in Costa Rica einen Drehort inspizierte. Rankin trug zwar seine Kevlar-Gamaschen, doch die Schlange, die auf der anderen Seite eines umgestürzten Baumstamms versteckt lag, biss ihn unterhalb des Schutzes in den Stiefel. Die Zähne fuhren durch das Leder, als sei es aus Butter. »Und dann ist das hier passiert«, sagte Woody und reichte sein Handy herum. Es zeigte ein entsetzliches Foto von Rankins Fuß während der Operation. Obwohl er sofort ein Gegengift erhalten hatte, nekrotisierte der Fuß, und die abgestorbenen Muskeln mussten bis auf die Knochen und Sehnen hinunter entfernt werden. Rankins Fuß konnte zwar gerettet werden, aber um den Muskel zu ersetzen, musste ein Stück aus dem Oberschenkel transplantiert werden.1 Unser Tal sehe so aus, als könnte es der ideale Lebensraum für die Lanzenotter sein, meinte Woody.

Verstohlen blickte ich in die Runde. Die heitere Stimmung des Nachmittags, als wir mit einem Bier in der Hand am Swimmingpool des Hotels gesessen hatten, war verflogen.

Als Nächstes kam Woody auf die sechsbeinigen Krankheitsträger zu sprechen, denen wir begegnen würden, zum Beispiel Moskitos2, Sandmücken, Milben, Zecken, Kusswanzen (die so heißen, weil sie mit Vorliebe ins Gesicht beißen), Skorpione und die Riesenameisen, deren Stich so schmerzhaft sein soll wie eine Schusswunde. Die vielleicht furchterregendste Krankheit der Mosquitia ist die Schleimhautleishmaniose, die manchmal auch als weiße Lepra bezeichnet und von infizierten Sandmücken übertragen wird. Der Erreger, ein Parasit, wandert in Mund- und Nasenschleimhäute, frisst diese auf und hinterlässt da, wo einst das Gesicht war, eine riesige, nässende Wunde. Woody schärfte uns ein, uns regelmäßig von Kopf bis Fuß mit DEET einzusprühen, unsere Kleidung ebenfalls damit zu behandeln und uns nach Einbruch der Dunkelheit sorgfältig zu bedecken.

Dann berichtete er von Skorpionen und Spinnen, die nachts in unsere Stiefel krochen, weshalb wir diese auf Stöcke stülpen und morgens gründlich ausschütteln sollten. Er warnte uns vor den heimtückischen roten Ameisen, die durchs Unterholz schwärmten und bei der leisesten Erschütterung eines Zweigs von oben auf uns herunterregneten, sich in die Haare setzten, den Nacken hinunterliefen, blindwütig zubissen und ein Gift verspritzten, das einen sofortigen Transport ins Krankenhaus erforderlich machte. Schaut genau hin, ehe ihr einen Zweig, Ast oder Stamm anfasst, mahnte er uns. Schlagt euch nicht blind durch die dichte Vegetation. Dort lauern nicht nur Insekten und Baumschlangen, sondern auch Pflanzen mit spitzen Dornen und Stacheln. Im...