Deutschland und Russland - wie weiter? - Der Weg aus der deutsch-russischen Krise

von: Christiane Reymann, Wolgang Gehrcke

Edition Berolina, 2017

ISBN: 9783958415393 , 240 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Deutschland und Russland - wie weiter? - Der Weg aus der deutsch-russischen Krise


 

Kapitel 1

Eine andere Russland-Politik ist nötig – aber ist sie auch möglich?

Das Verhältnis Deutschland-Russland ist auf einem Tiefpunkt angelangt. Eiszeit und Froststarre statt Tauwetter und Blütenknospen. Die Verantwortung für diese Entwicklung liegt bei der Bundesregierung. Sie hat sich auf eine aggressive antirussische Linie festgelegt. Der Westen setzt auf Wirtschaftskrieg, Aufrüstung und ­NATO­-Erweiterung bis an die russische Grenze. Dahinter wird das verstanden als zeitgenössische Variante des Dranges nach Osten. Noch einmal sind die EU-Sanktionen gegen Russland bis – vorerst – Juli 2017 verlängert worden. Mit der Türkei und der Ukra­ine verhandelt die Bundesregierung über Visafreiheit, die entsprechenden Verhandlungen mit Russland hat sie abgebrochen.

Im Januar 2017 hat die US-Army, von Colorado über den großen Teich kommend, eine komplette Panzerbrigade mit 4.000 Soldatinnen und Soldaten und mehr als 2.000 Panzern, Haubitzen, Jeeps und Lkw nach Bremerhaven verschifft. Von da bewegte sie sich mit Zügen und in Fahrzeugkolonnen weiter in Richtung Osteuropa für Manöver nah an der russischen Grenze. Alle neun Monate wird die eine gegen eine andere Brigade ausgetauscht. So handhabt das auch die Bundeswehr mit ihren Truppen, damit es nicht so aussieht, als stationiere die ­NATO­ dauerhaft große Kontingente an der russischen Grenze, was der ­NATO­-Russland-Akte widersprechen würde: Eine Trickserei, die zusätzlich Misstrauen sät.

Zeitgleich waren die politischen Eliten in Westeuropa, und besonders in Deutschland, tief verunsichert wegen des Wahlsiegs von Donald Trump. Sie hatten auf Hillary Clinton gesetzt und folglich bemerkbare Schwierigkeiten, sich umzuorientieren. Sehr laute Stimmen warnten vor einer Annäherung der ­USA­ und Russlands. In der jüngeren Vergangenheit gehörten Mahnungen an beide Seiten, die russische und die US-amerikanische, doch miteinander zu reden und zu verhandeln, zum guten Stil eines jeden politischen Programms, das nicht als verbohrt gestrig daherkommen wollte. Gespräche und Verhandlungen fanden ja auch statt, so zwischen Chruschtschow und Kennedy zum Abzug der russischen Raketen aus Kuba, zur Beendigung des Vietnamkriegs zwischen den ­USA­ und Vietnam, unter Assistenz der Sowjetunion und Chinas; ab 1991 die Verhandlungen zu Rüstungsbegrenzung und Abrüstung zwischen den Präsidenten Clinton, George W. Bush, Obama und Jelzin, Tschernomyrdin, Putin und Medwedew.

In den ersten Wochen seiner Amtszeit standen im Zentrum der Kritik an Präsident Trump durch die westlichen Eliten nicht etwa seine rassistischen und sexistischen Ausfälle, nicht sein Wahnsinn, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen, er stand nicht vordergründig deshalb unter Beschuss, weil er die Ansätze einer Bankenregulierung zurückgenommen oder erlaubt hat, Kultstätten der Sioux zu gefährden, sondern wegen seiner Äußerungen zu Russland. Seine Andeutung, dass die US-Politik gegenüber Russland verbesserungswürdig und es kein Skandal sei, die Sanktionen abzumildern oder zurückzunehmen, forderten das erste personelle Opfer seiner Regierung: Deren Nationaler Sicherheitsberater Michael Flynn, er galt als russlandfreundlich, musste wegen Kontakten zum russischen Botschafter in Sachen US-Sanktionen zurücktreten. Voll Skepzis warnte die politische Klasse, anders als früher, nicht vor Sprachlosigkeit zwischen Moskau und Washington, als eigentliche Gefahr erschienen vielmehr Gespräche von Donald Trump und Wladimir Putin. Die Furcht war, sie könnten zulasten der ­NATO­ gehen. Von allen Seiten war US-Vizepräsident Mike Pence genötigt worden, vor der Münchner Sicherheitskonferenz (17. bis 19. Februar 2017) eine Treueerklärung zur ­NATO­ abzugeben. Dem dringlichen Begehren ist er nachgekommen. »Heute versichere ich Ihnen im Namen von Präsident Trump: Die Vereinigten Staaten von Amerika stehen fest zur ­NATO­ und wir werden unerschütterlich unsere Verpflichtungen für unsere trans­atlantische Allianz erfüllen.«1 Die Kommentatoren sind sich einig: Diese Erklärung »entsprach den Erwartungen der europäischen ­NATO­-Mitglieder«2. Wo es bei Trump heißt, America First, heißt es bei Bundeskanzlerin Merkel, ­NATO­-Generalsekretär Stoltenberg, Kriegsministerin von der Leyen und ihrer Gefolgschaft: ­NATO­ First! Auf Deutschland bezogen, könnte das heißen: Deutschland über alles.

Dabei hatte alles so hoffnungsfroh angefangen. Mit und nach der deutschen Vereinigung sollte ein neues Kapitel in der Geschichte Europas aufgeschlagen werden. Am 21. November 1990 unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs aller europäischen Länder, mit Ausnahme Albaniens, plus Kanada und den ­USA­ in der französischen Hauptstadt die Charta für ein neues Europa. Darin erklärten sie das Zeitalter der Konfrontation und Teilung des Kontinents für beendet und das Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit für eröffnet. Die Charta von Paris ist ein umfangreiches Versprechen auf ein ungeteiltes Europa der Demokratie, Menschenrechte, Abrüstung, friedlichen Konfliktlösung, freundschaftlichen Beziehungen, Sicherheit, Einheit, Kultur, wirtschaftlichen Zusammenarbeit, Sorge für die Umwelt. Weil die Liste der Signatarstaaten so eindrucksvoll ist, sei sie hier wiedergegeben: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Heiliger Stuhl, Irland, Island, Italien – Europäische Gemeinschaft, Jugoslawien, Kanada, Liechtenstein, Luxemburg, Malta, Monaco, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, San Marino, Schweden, Schweiz, Spanien, Tschechische und Slowakische Föderative Republik, Türkei, Ungarn, Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten von Amerika, Zypern.3

Zehn Jahre später schienen die zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa immer noch entspannt. Die Rede, die Wladimir Putin 2001 im Bundestag »in der Sprache von Goethe, Schiller und Kant« hielt, löste Begeisterung bis Euphorie aus. Russland gehörte für ihn zur europäischen Integration, »so unterstützen wir nicht einfach nur diese Prozesse, sondern sehen sie mit Hoffnung«4. Er sah auch Probleme: »Wir leben weiterhin im alten Wertesystem. Wir sprechen von einer Partnerschaft. In Wirklichkeit haben wir aber immer noch nicht gelernt, einander zu vertrauen.« Nur eine »moderne, dauerhafte und standfeste internationale Sicherheitsarchitektur« könne auf diesem Kontinent ein »Vertrauensklima« schaffen.5 In dieser Rede ist die Außenpolitik Russlands des kommenden Jahrzehnts skizziert: Sie ist nach Westen orientiert, und ihr Fundament soll eine Sicherheitsstruktur sein. Eine Struktur ist mehr als das eine oder andere Abkommen und das eine oder andere vertrauensvolle Gespräch. Sie ist ein verlässliches Gerüst von völkerrechtlich verbindlichen Verträgen, und sie stärkt Zusammenarbeit in politischen, wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen, kulturellen Bereichen; getragen von Regierungen und Parlamenten von lokal bis national, zahlreichen Verbänden, gesellschaftlichen Gruppen, außerparlamentarischen Initiativen und vielfältigen Einrichtungen von Kunst und Kultur, Bildung und Wissenschaft.

In der europäischen Entspannungspolitik hatte sich von Ende der sechziger Jahre an in einem schwierigen diplomatischen Prozess zwischen Ost und West die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (­KSZE­) herausgebildet. An ihr haben die sieben Staaten des östlichen Militärbündnisses Warschauer Vertrag, die fünfzehn ­NATO­-Staaten, das heißt einschließlich ­USA­ und Kanada, und fünfzehn neutrale europäische Staaten teilgenommen. Die 1973 unterzeichnete Schlussakte von Helsinki war der Beginn einer sich stetig vertiefenden Zusammenarbeit zwischen den Blöcken in allen Bereichen, von Sicherheit, Wirtschaft, Kultur bis Menschenrechten. Und die Zahl der Teilnehmerstaaten vergrößerte sich auf 34. Als es die Blöcke nicht mehr gab, hat sich die ­KSZE­ in eine neue Organisation umgewandelt, in die ­OSZE­, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa; in der Praxis führt sie eher ein Schattendasein als Beobachterin von Wahlen und von Konflikten. Das muss aber nicht so sein und vor allem nicht so bleiben.

Als Dmitri Medwedew, gerade zum neuen Präsidenten gewählt, 2008 nach Berlin kam, hatte sich die Sicherheitslage in Europa bereits spürbar verändert. Polen, Tschechien, Ungarn, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowenien und die Slowakei waren in die ­NATO­ aufgenommen worden, Kroatien, Albanien, die Ukra­ine und Georgien standen Füße scharrend vor der Tür, die US-Pläne für ein System der Raketenabwehr in Polen und Tschechien nahmen Gestalt an, während gleichzeitig Grabesstille herrschte zu Verträgen oder Verhandlungen über Rüstungskontrolle und Abrüstung.

Vor diesem Hintergrund wurde Berlin einmal mehr der Ort für eine Grundsatzrede eines russischen Präsidenten. Dmitri Medwedew schlug vor, einen neuen Vertrag über die europäische Sicherheit ins Auge zu fassen. »Es könnte sich um einen regionalen Pakt handeln, der sich auf Prinzipien der ­UNO­-Charta gründen...