Autorität im Wandel

von: Corinne Michaela Flick

Wallstein Verlag, 2017

ISBN: 9783835340954 , 176 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 11,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Autorität im Wandel


 

Corinne M. Flick und Clemens Fuest

Gedanken zur Autorität


Welche Rolle spielt Autorität in unserer Gesellschaft heute? Autorität als bloße Machtausübung über andere, ohne deren Zustimmung, sollte in freiheitlichen, demokratisch verfassten Gesellschaften keinen Platz mehr haben. Aber Autorität ist weit mehr. Menschen können durch Verdienste, Kompetenz und charakterliche Qualitäten zu Autoritäten werden, die Orientierung geben und Vertrauen genießen. Ein Politiker wie Helmut Schmidt hatte Autorität, weil er in Krisen wie der Hamburger Sturmflut oder auf dem Höhepunkt des RAF-Terrors im Herbst 1977 Führungsqualitäten unter Beweis gestellt hat. Eine Institution wie die Deutsche Bundesbank hat Autorität, weil sie sich über Jahrzehnte als Garantin einer stabilen Währung bewährt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat Autorität, nicht in erster Linie deshalb, weil es Parlamente und Regierungen in die Schranken weisen kann, sondern weil die Bürger darauf vertrauen, dass das Gericht sie vor einer Verletzung ihrer Grundrechte schützt, auch vor der Willkür staatlicher Behörden. So verstandene Autorität beruht auf Zustimmung und Akzeptanz aller Beteiligten.

 

Max Weber hat die Frage der Autorität mit jener der Legitimation verbunden. Unsere staatliche Autorität zeichnet sich dadurch aus, dass sie legitimiert ist. Beruht Macht auf Zwang, verliert sie an Autorität. Autoritätsbewusstsein existiert in einer Bevölkerung, wenn den Autoritäten freiwillig gefolgt wird, weil ihnen Autorität zum Beispiel durch Wahlen übertragen wurde. Deutschland ist wie viele andere Länder der westlichen Welt eine repräsentative Demokratie. Die Bürger übertragen durch Wahlen Verantwortung und Autorität an Repräsentanten.

 

Diese freiwillig gewährte Form von Autorität kann sich im Lauf der Zeit verändern, sie ist fragil. Ihre formelle Grundlage, beispielsweise als Parlamentarier gewählt zu sein, bedarf der Ergänzung durch Akzeptanz seitens der Wähler und der Öffentlichkeit. Meistens dauert es lange, Autorität zu gewinnen, aber es kann sehr schnell gehen, sie zu verlieren. Politiker oder Wirtschaftslenker, die gegen Gesetze verstoßen oder krasse Misserfolge zu verantworten haben, können innerhalb von Tagen oder Stunden jegliche Autorität verlieren.

 

Der plötzliche Autoritätsverlust von Personen mag für die Betroffenen schmerzhaft sein. Für die Gesellschaft insgesamt ist der Schaden begrenzt, und zwar nicht nur deshalb, weil Amtsinhaber ersetzbar sind. Es ist ja gerade erwünscht, dass die mit Autorität verbundene Macht nur so lange besteht, wie sie durch die Zustimmung anderer legitimiert ist. Viele sehen in aktuellen politischen Entscheidungen wie dem Brexit-Referendum oder der Nominierung von Donald Trump zum US-Präsidentschaftskandidaten und seinem letztendlichen Wahlgewinn einen beunruhigenden Verfall der Autorität bewährter politischer Kräfte.

 

Man kann aber auch die Auffassung vertreten, dass die etablierten Parteien sich zu weit von den Wünschen der Bevölkerung entfernt haben. Wenn sie ihr Verhalten ändern, haben sie die Chance, ihre Autorität wiederzugewinnen.

 

Ganz bewusst lautet der Titel dieses Bandes »Autorität im Wandel« und nicht »Autorität in der Krise«. Wir sehen nicht, dass die Autorität unseres demokratischen Systems vollends in Frage gestellt wird. Das berühmte Churchill-Zitat »The best argument against democracy is a five-minute conversation with the average voter« verweist auf Grenzen der Möglichkeit, Sachentscheidungen in Volksabstimmungen treffen zu lassen, stellt aber die Demokratie nicht in Frage. Konfrontiert sind wir aber mit einer Veränderung der Rolle von Autorität und den daraus resultierenden Folgen für unser Demokratieverständnis. Das Bestehende wandelt sich, indem es sich weiterentwickelt.

 

Nehmen wir als Beispiel die repräsentative Demokratie in ihrer heutigen Form. Sie hat nur noch wenig mit der ursprünglichen Demokratie des antiken Griechenlands zu tun, die sich durch ein Handeln ohne Vermittlung, ohne Repräsentation auszeichnete. Sie ist aber auch nicht mehr die Demokratie von 1949, als das deutsche Grundgesetz in Kraft trat. Heute wollen die Bürger den politischen Prozess mitbestimmen.

 

Die rein repräsentative Demokratie scheint nicht mehr den jetzigen Ansprüchen und Bedürfnissen zu genügen, denn es ist der Eindruck entstanden, dass das repräsentative System, die großen Parteien, das Verlangen teilzunehmen nicht ernst genommen haben. Dadurch ist bei vielen Bürgern ein Gefühl der Machtlosigkeit entstanden, das zum Wunsch nach mehr direkter Demokratie geführt hat.

 

Wenn von Autorität die Rede ist, kann leicht der Eindruck entstehen, dass mehr Autorität weniger Freiheit bedeutet. Autorität wird oft mit Fremdbestimmung gleichgesetzt. Wenn Autorität auf breiter Zustimmung beruht, besteht jedoch ein Verhältnis der Kooperation zwischen Autorität und Freiheit. Freiheit kann nur unter bestimmten Rahmenbedingungen genossen werden. Die Aufgabe von Autorität ist es, diese zu setzen, damit Freiheit sich entfalten kann. Einem Autoritätsverlust entspricht nicht automatisch ein Freiheitsgewinn. Autorität verhält sich nicht gegensätzlich zur Freiheit.

 

Festzustellen ist eine zunehmende Auflösung von Hierarchien zugunsten einer stärker werdenden Partizipation. Mehr Menschen möchten aktiv bei politischen Entscheidungsprozessen mitwirken. Viele Forderungen, die in diese Richtung gehen, erinnern an Jean-Jacques Rousseaus Idee einer radikalen Demokratie. Eine wesentliche Veränderung unseres Demokratieverständnisses findet statt. Es bewegt sich auf eine Mehrebenendemokratie zu, auf eine »multiple Demokratie«, wie es der Historiker Paul Nolte nennt. Ein Beispiel stellen die Gerichte dar. Immer öfter wenden sich Bürger direkt an Gerichte und gehen nicht den indirekten Weg über Institutionen und Parlament. Auch auf EU-Ebene ist diese Form der »justiziellen Demokratie« zu beobachten.[1] In diesem Zusammenhang kann man die Klage gegen den OMT-Beschluss[2] der EZB erwähnen: Erstmals in der Verfassungsgeschichte haben sich Wähler – nicht Staatsorgane – gegen die Maßnahme einer EU-Institution gestemmt.

 

Zu beobachten ist allerdings auch, dass Institutionen ihre Autorität verlieren. Ein solcher Verlust ist teilweise für die Gesellschaft schwerwiegender als der Verlust der Autorität von politischen Persönlichkeiten. Institutionen sind einem Wandel unterworfen, trotzdem sollen sie stabile, auf Dauer angelegte Einrichtungen sein. Im Gegensatz zu wählbaren und abwählbaren Politikern, die über Autorität verfügen und sie auch wieder verlieren können, bilden Institutionen wie Gerichte, Zentralbanken, Wettbewerbsbehörden das Fundament staatlicher Systeme und den Rahmen für internationale Kooperation (EU, NATO). In Zeiten, in denen der Ruf nach direktem Einfluss der Bürger immer lauter wird, leiden Institutionen unter einem ihnen oft vorgeworfenen demokratischen Defizit. Zwar sind sie ihrem Auftrag nach politisch neutral, doch dadurch sind sie auch der direkten demokratischen Kontrolle entzogen und erscheinen leicht als bürgerfern.

 

Andererseits entwickeln sich neue Formen der Bürgerbeteiligung in außerparlamentarischen Vertretungsorganen, in nichtstaatlichen Institutionen, wie etwa Greenpeace und Attac.[3] Der Ruf nach mehr direkter Demokratie und dem Wandel unseres Autoritätsverständnisses steht für eine neue Form von Stabilitätssuche und Autorität, wobei die Bürger zugleich eigene, direkte Verantwortung anstreben.

 

Volksabstimmungen sind ein Verfahren, bei dem die Bürger auf den ersten Blick am direktesten in politische Entscheidungen einbezogen werden. Es gibt Demokratien, in denen Voksabstimmungen eine lange Tradition haben und nicht als Gegensatz, sondern als Ergänzung der repräsentativen Demokratie gesehen werden.

 

Grundsätzlich ist allerdings zu überlegen, welche Fragen sich überhaupt eignen, direkt von den Bürgern entschieden zu werden. War das Brexit-Referendum zum Beispiel eine Entscheidung, die sinnvoll direkt von der Bevölkerung getroffen werden konnte, und konnte diese der damit einhergehenden Verantwortung überhaupt gerecht werden? Bei verschiedenen Referenden der letzten Jahre muss man bezweifeln, ob sie die Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungsprozessen wirklich verbessert haben. Das Brexit-Referendum war in erheblichem Umfang ein Instrument für David Cameron, zunächst seine Macht in der Konservativen Partei zu erhalten und dann die anderen Mitgliedstaaten in der EU unter Druck zu setzen, den britischen Forderungen entgegenzukommen.

 

In Griechenland nutzte Alexis Tsipras die Volksabstimmung über das Sanierungsprogramm als Instrument, um seine Forderungen nach Konzessionen der Kreditgeber durchzusetzen.

 

Volksabstimmungen geraten auch leicht zu Wahlen über Dinge, die gar nicht zur Abstimmung stehen. In Italien sollte das Volk am 4. Dezember 2016 eine Verfassungsreform beschließen, aber es sieht so aus, als habe es über Matteo Renzi und dessen Politik abgestimmt.

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