Die letzte aus dem Hause Wulfenberg

von: Anny von Panhuys

Saga Egmont, 2016

ISBN: 9788711570241 , 266 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

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Die letzte aus dem Hause Wulfenberg


 

Die Fürstin Alexandra von Wulffenberg sah sehr ernst und feierlich aus, als sie, sich kerzengerade aufrichtend in ihrem Armstuhl, die rechte Hand ihrer fünfzehnjährigen Enkelin, Prinzessin Margarete, erfasste.

In ihren halb unter schweren Lidern versteckten grauen Augen entglomm ein matter Schein von Wärme.

„Liebes Kind, du bist heute fünfzehn Jahre alt geworden und vernünftig genug, um mich schon zu verstehen, wenn ich dir von wichtigen, bedeutungsvollen Dingen rede.“ Sie liess die kleine Hand frei. „Setze dich auf den Hocker hier zu meinen Füssen, Margarete. So! Und nun höre zu, was ich dir mitteilen will.“ Sie sah auf das überschlanke Geschöpf nieder. „Schau mich an, Margarete!“ gebot sie.

Die Enkelin hob den Blick.

Tiefblaue Augen hatte das Mädchen, von unwahrscheinlich langen und dichten Wimpern umrahmt, und von kühn geschwungenen dunklen Brauen überspannt. Das Haar war glatt und schwarz, glänzend wie Rabenfittig, doch war es kurz und unschön verschnitten. Die feinen Züge waren unregelmässig und von gelblicher Blässe, der kleine Mund sehr rot, wie eine reife, blutfarbene Frucht.

Fürstin Alexandra, geborene Prinzessin Winterstein, war einmal berühmt gewesen wegen ihrer blonden, kühlen Schönheit. Sie fand die Enkelin hässlich.

Aber ihr Sohn hatte ja nicht auf sie hören wollen, hatte die braune, arme ungarische Komtesse geheiratet, eine Waise, die bei nicht allzu wohlhabenden Verwandten auf einem Gutshof weit draussen auf der Pussta untergekrochen war, bis er sie gelegentlich eines Jagdbesuches dort kennenlernte und schnell entschlossen zur Fürstin von Wulffenberg machte.

Bei der Geburt des kleinen schwarzhaarigen Töchterchens war sie gestorben.

Ihr Mann folgte ihr bald. Ein Wilderer sollte ihn erschossen haben.

Doch ward der Mörder nie aufgespürt.

Schade auch um das Suchen! hatte seine Mutter oft gedacht, denn sie wusste genau, ihr Sohn Ulrich hatte seinem Leben freiwillig ein Ende gemacht, weil seine angebetete Frau Aglaé ihn für immer verlassen hatte.

Da dachte er nicht mehr an seine Mutter, nicht mehr an sein erst wenige Tage altes Kind, da dachte er nur an sich und erlag der Versuchung, richtete die Waffe gegen sich selbst, weit draussen im Wald.

Doch sie trat dem Gerücht, dass ihr Sohn Selbstmord verübt, heftig entgegen, sie erzwang ihm eine so christliche Bestattung, wie sie dem letzten Fürsten Wulffenberg gebührte.

Die erwartungsvollen dunkelblauen Augen Margaretes rissen die alte Dame aus ihren in die Vergangenheit rückwandernden Gedanken. Das Schreckliche, das Schrecklichste, als man ihr den toten Sohn heimbrachte, war ja lange her, fast fünfzehn Jahre.

Ein paar Tage nach Margaretes Geburt geschah es.

Sie nickte der Enkelin zu in der Art, wie vielleicht eine unnahbare Herrscherin, die leutselig zu sein beabsichtigt, früher eine Audienz eröffnete.

Ihre schmalen Hände, durch deren zarte Blumenblatthaut die Adern bläulich schimmerten, lagen lässig im Schosse, das herbe, hochmütige Gesicht, um das sich schneeweiss das einst goldblonde Haar bauschte, zeigte einen Anflug von Farbe.

„Liebe Margarete, du weisst, dass du eine Prinzessin von Wulffenberg bist, die Tochter des letzten Fürsten Wulffenberg, dass du also keine beliebige Person bist, die tun und lassen kann, was sie mag, wie etwa die Töchter der Bauern.“

Margarete unterdrückte nur mühsam den Seufzer, der sich ihrer Brust entringen wollte.

Fürstin Alexandra aber war eine gute Beobachterin.

„Tut es dir etwa leid, dass ich dir nicht erlauben konnte, mit Bauer Dinges seinen Kindern herumspringen oder mit Müller Krauses frecher Liesel?“

Margarete wollte nicht lügen, denn sie hätte wer weiss was dafür gegeben, wenn sie sich ab und zu mit den Dorfkindern hätte unterhalten dürfen.

Sie schwieg.

Fürstin Alexandra dachte, da rührt sich das Blut der wilden Pusstakomtesse, die des Kindes Mutter gewesen.

Sie sagte hart: „Du heisst nicht Dinges und heisst nicht Krause, auch nicht Müller und Schulze. Menschen mit solchen Namen mögen tun, was sie wollen, niemand fragt danach und sie brauchen auf niemand Rücksicht nehmen. Wir aber müssen stets unseres Namens eingedenk sein.“

Das Mädchen sagte hastig: „Du erzähltest mir doch immer, Grossmama, wir haben keine nahen Verwandten mehr, nur wir beide brauchten noch zusammenzuhalten. Auf wen muss ich denn eigentlich noch Rücksicht nehmen?“

Die alte Dame sah unendlich hochmütig aus bei der Antwort.

„Auf deine Ahnen musst du Rücksicht nehmen, auf alle die Fürsten und Fürstinnen Wulffenberg, die vor uns gelebt haben, deren Bilder in der Bibliothek hängen. Die Fürsten Wulffenberg hatten früher viel mitzureden in Deutschland und sie waren Herren über weites Land. Sie regierten sogar, Gewalt über Leben und Tod ihrer Untertanen war ihnen gegeben. Und nun, Kind, will ich dir davon sprechen, was mir heute am Herzen liegt.“

Sie lächelte jetzt ein wenig.

„Das Fürstentum Wulffenberg existiert längst nicht mehr, nur der Titel erinnert noch an die Macht, die unsere Vorfahren einst besassen. Nur der Titel und die Krone der früheren Frauen unseres stolzen Hauses. Seit Generationen vererbt sie sich von Frau zu Frau in unserer Familie, und wenn auch seit mehr als hundertfünfzig Jahren keine Fürstin Wulffenberg mehr offiziell die Krone trug, so schmückten sie sich doch bei ganz besonderen Gelegenheiten mit dem Symbol ihrer Würde. Zum Beispiel trug sie jede Braut, die vor den Altar trat, um Fürstin Wulffenberg zu werden, über dem Brautschleier. Zuletzt zierte sie das Haupt deiner Mutter, vor ihr trug ich sie. Diese Krone ist das Heiligste und Wertvollste, was uns von allem ehemaligen Glanz geblieben ist. Und weil ich nicht weiss, wie lange ich noch lebe — es kann mir ja auch unerwartet etwas zustossen — will ich dir die Krone und ihren Aufbewahrungsort zeigen, will von dir schon heute das Versprechen, dass du, was dir auch die Zukunft bringen mag, die Krone ehren wirst, wie es sich gebührt. Du wirst hoffentlich einmal einen Mann heiraten, dessen Namen dem unseren ebenbürtig ist, dann mag das alte Erbstück in der Familie der letzten Wulffenberg pietätvoll aufgehoben werden, durch neue Generationen.“

Margarete schwirrte der Kopf, sie wusste nichts zu sagen. Alles, was die Grossmama gesprochen, klang so schwer und wichtig, legte sich wie eine drückende Last auf ihre schmalen Schultern.

Fürstin Alexandra erhob sich, ihr schwarzes, kreppbesetztes Kleid fiel an ihrer aufrechten Gestalt weitfaltig nieder. Sie trug seit dem Tode des Sohnes ständig Trauergewänder, und wenn sie ausfuhr mit der alten Kalesche, wogten langfallende düstere Schleier um das hochmütige, blasse Frauengesicht.

Sie verriegelte erst die Zimmertür, trat dann an die eine Seitenwand des von meterhohem Holzpaneel eingefassten Gemaches.

Das Paneel zeigte, in köstlicher alter Arbeit von peinlichster Sorgfalt, hochgeschnitztes Blumengerank und Früchte, wie Trauben und Aepfel.

Sie rief Margarete an ihre Seite, unterwies sie, wie man eine etwas kräftiger geschnitzte Weintraube in der Mitte teilen konnte, worauf eine Feder frei ward, auf die man drücken musste, um eine schmale Tür zu öffnen, die sich unauffällig in das Paneel einfügte.

„Komm!“ Sie nahm von ihrem Schreibtisch eine wohl vorher schon zurechtgelegte elektrische Taschenlaterne und führte, das Licht aufblitzen lassend, die Enkelin eine zehn Stufen zählende Treppe hinunter.

Beklommen folgte Margarete.

Sie vermochte sich gegen den unheimlichen Schauder nicht zu wehren, der ihr über den Körper lief, als sie den engen, von feuchten Kellerwänden begrenzten Gang betrat, auf dem ihr die alte Dame stolz und aufrecht voranschritt.

Der kleine Lichtkegel der Taschenlaterne schob voraus und Margarete musste unwillkürlich an den alten Märchenvers denken: Hinter mir Nacht und vor mir Tag, dass mich niemand sehen mag!

Der Gang hatte ein Ende, erweiterte sich plötzlich zu einem kaum drei Meter im Durchschnitt breiten Raum, der wie eine kleine Kapelle eingerichtet war.

Ein Tisch mit einem grossen Kruzifix, das auf schön gestickter Decke stand, fiel zuerst in die Augen. Die Wände waren mit Teppichen bekleidet und neben dem Kruzifix stand ein nicht allzugrosser antiker Kasten mit gehämmerten Eisenbeschlägen. Zwei schwere, silberne Leuchter mit nur wenig niedergebrannten Kerzen flankierten den Kasten.

Fürstin Alexandra holte unter der gestickten Decke Streichhölzer hervor, gleich darauf erstarb das elektrische Licht, die Kerzen flackerten auf.

Die alte Dame zog aus ihrem winzigen Halsausschnitt ein Kettchen hervor, an dem ein Schlüssel hing, und öffnete damit den Kasten, dessen Deckel sich plump hob und ein mit rotem, verschabten und brüchigem Samt ausgepolstertes Innere sehen liess.

Die schmalen, blaugeäderten Altfrauenhände langten in den Kasten, holten etwas Dunkelgoldenes, gross wie eine Männerfaust, daraus hervor, das mit einer Reihe von kleinen weissen und grünen Steinen umrandet war, die sich nach vorn vergrösserten und ganz vorn in vier kreuzförmig geordneten, daumennagelgrossen Steinen ihren Abschluss fanden.

Margaretes Auge blickte ehrfürchtig, als die alte Dame langsam und betont sagte: „Das ist die Krone der Fürstinnen von Wulffenberg. Unser alter Name ist mit deinem Vater im Mannesstamm erloschen, es wird nie mehr eine Fürstin Wulffenberg geben.“

Sie blickte hochmütig und zugleich wie verzückt auf die kleine geschlossene Krone.

„Schwöre mir auf das Kruzifix, dass du das Wertvollste, was unserem Hause geblieben ist, stets achten und ehren wirst, dass du...