Ein Sommer lang Sizilien. - Der Bestseller für Italienliebhaber. Mit einem kleinen Boot rund um den Ätna. In der einen Hand die Pinne. In der anderen das Eis.

von: Thomas Käsbohrer

millemari., 2016

ISBN: 9783946014966 , 255 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Ein Sommer lang Sizilien. - Der Bestseller für Italienliebhaber. Mit einem kleinen Boot rund um den Ätna. In der einen Hand die Pinne. In der anderen das Eis.


 

6.
Die Überfahrt nach Sizilien. Die zweite Nacht.


 

Es ist Abend geworden. Sven und ich haben uns immer wieder abgelöst, Tino schläft immer noch, fast 16 Stunden liegt er jetzt erschöpft. Und schläft. Sven und ich drehen nachmittags bei, kurz bevor das Grau in Dämmer übergeht. LEVJE steht nun mitten in den Wellen unter backgestelltem Vorsegel quer zum Wind. Im Schwanken, im Grau reparieren wir die defekte Pinne. Die Reparatur ist gründlich vorgedacht, jeder Schritt überlegt. Bei dem Seegang haben wir keine Zeit, uns irgendein „Hmmm. Und-was-machen-wir-jetzt?“, irgendeine Komplikation zu leisten. Das Meer, die Elemente zwingen dazu, die Dinge bewusst zu tun, nicht einfach irgendwie loszulatschen, ohne auf den Weg zu achten.

Ich erinnere mich an eine Situation vor vielen Jahren, nicht weit von hier. Auf der Überfahrt von Korfu nach Santa Maria di Leuca hatten wir auf Svens Schiff, der Juanita, bei sechs Windstärken in der Abenddämmerung festgestellt, dass sich die Leewanten des Mastes – die stählernen Seile, die bei diesem Kurs auf der windabgewandten Seite liegen und den Mast stabilisieren – wegen einer Nachlässigkeit einfach ihrer Halterung in den Salingen entledigt hatten. Die Salinge, die zu beiden Seiten neben dem Mast Befestigungs- und Umlenkpunkte für die Wanten bieten, standen völlig frei. Ausgehängt baumelten sie neben dem Mast. Wir segelten hoch am Wind. Der Mast wurde nur noch gehalten von den luvwärtigen Wanten. Als wir es entdeckten, wurden wir beide kreidebleich. Wir waren allein an Bord. Und noch Stunden vom Festland entfernt. Wären wir, ohne den Schaden zu entdecken, arglos eine Wende gefahren: Unweigerlich wäre der Mast bei dieser Windstärke über Bord gegangen. Sven stand am Ruder. Er hielt einfach den Kurs weiter. Und tat neben dem Bleichwerden zunächst nichts anderes als – nachdenken. Er schwieg, während das Schiff einfach weiter durch die Wellen boxte. Nach einer Zeit, die mir wie eine Ewigkeit erschien, durchbrach Sven plötzlich die Stille: „Ich weiß, wie wir’s machen. Es ist ganz einfach. Wir bleiben genau auf dem Kurs. Du steuerst das Schiff mit einer Hand. Und sicherst mich mit der anderen Hand, während ich den Mast hochklettere. Und die Wanten wieder in die Salinge einhänge.“ Ein Druck legte sich wie eine Klammer um meine Brust, als mir schlagartig ins Bewusstsein schoss, was ich ohnehin wusste. Sven hatte Familie, war Vater von drei kleinen Kindern. Beidrehen? War nicht möglich. Motor an und Segel runter? Ging auch nicht. Was Sven vorschlug, war tatsächlich der einzige Weg. Nur: Wenn ich steuernd mit einer Hand einen Fehler baute, wenn irgendetwas schiefging, während Sven oben im Mast bei diesen Windstärken herumturnte …

Wir durchdachten jeden einzelnen Schritt des Verfahrens, jedes Detail. Spielten uns richtig rein in den Ablauf des Manövers, in jede Kleinigkeit. In jede mögliche Komplikation, die uns zu schaffen machen könnte, in jedes Detail, das schiefgehen konnte. Dann nahm ich das Steuerrad in die Hand, bat darum, mich einfach einsteuern zu können, probeweise, wie es wäre mit einer Hand, nur mit der linken. Denn mit der rechten musste ich Sven am Spifall sichern – alle anderen Fallen waren ja belegt, weil alle Segel zwar gerefft, aber doch oben waren. Das Spifall, es war die einzige Leine, die Sven sichern konnte. Und so steuerte ich linkshändig. Am Anfang geriet es zu einem Schlingerkurs durch die Wellen, während Sven sich unten in seinen Klettergurt zwängte und die notwendigen Werkzeuge bereitlegte. Schlangenlinie durch die Wellen, weil ich mit der Linken mit dem Rad im Rücken steuern musste, an Juanitas Kompasssockel gelehnt. Ungewohnt, das Rad nicht zu sehen. Ungewohnt, weil Umgreifen schlecht möglich war. Aber irgendwie gelang es, die drei Dinge unter einen Hut zu bringen. Das Schiff auf Kurs zu halten. Die Bewegung meiner Linken halbwegs richtig zu koordinieren. Mit der rechten gleichzeitig die Lose aus dem Fall zu holen, um Sven zu sichern. Der erschien an Deck, schmirgelte mit grobem Schleifpapier die Sohle seiner Bootsschuhe, um besseren Halt beim Klettern am Mast zu haben.

Dann turnte er im Geschwanke vor zum Mastfuß und sicherte den Klettergurt am Spifall. Auch er testete am Mast erst mal die beste Technik. Als die stellte sich nach einigem Probieren dann heraus, etwas abzufallen, um bei dicht geholten Segeln Juanita in noch mehr Schräglage zu bringen. Zwei, drei Tests. Dann tief Luft holen. Los.

Weil das Schiff jetzt mehr Lage hatte, stand der Mast schräg. Wie ein Affe klettere Sven auf der Luvseite den Mast hinauf. Hielt sich mit beiden Armen am Mast und machte am Mast entlang, wie auf einer schiefen Ebene, einfach einen Schritt nach dem anderen. Im Nu war er bei der ersten Saling, kaum dass ich mitkam, die Lose aus der Sicherungsschot zu holen. Am Fall schwang er sich hinüber, nach außen, an die Salingnock, plötzlich war er außer Sicht, das Großsegel verdeckte ihn. Eine Weile war er einfach weg, ich sah, wie das lose Want sich bewegte, konzentrierte mich darauf, nur ja den Kurs zu halten, während Sven irgendwo oben bei der Saling sieben, acht Meter über den Wellen baumelte. Plötzlich erschien Svens Kopf hinter dem Segel, er quälte sich bei Schräglage wieder zur anderen Seite herüber. „Hab’s eingehängt“, rief er und schaute zur oberen Saling hoch. Dasselbe noch mal. Wieder nutzte Sven die leichte Schräge, um einfach den Mast hochzulaufen. Wieder holte ich mit einer Hand die Lose aus dem Fall, das ihn in seiner Höhe hielt. Wieder schwang er sich auf die andere Seite. Griff sich hoch über den Wellen das flatternde Want. Legte es in seine Kerbe in der Salingnock. Und sicherte das Want mit vielen Lagen Panzerband.

Das Abseilen war schwierig. Die Klemmen hielten Sven in der Höhe. Für einen kurzen Moment musste ich das Ruder loslassen. Mit einer Hand das Fall um die Winschtrommel legen, es dichtholen. Mit der anderen Hand die Klemme öffnen. Gruslig. Aber es klappte. Langsam seilte ich Sven ab, der nun den Mast hinunterlief, wie er vorher hochgelaufen war. Juanitas Mast war wieder sicher.

Was ich damals lernte, war das Durchspielen eines Manövers in all seinen Einzelheiten und Eventualitäten. Und wie damals bei der Sicherung von Juanitas Mast spielen wir auch die Reparatur von LEVJEs Pinnenhalterung im Grau des Schlechtwetters in allen Einzelheiten durch. Akkubohrer, Werkzeuge, Harz, Härter, Bolzen, Schraubenzieher liegen bereit. Was wir sonst noch brauchen könnten auch. LEVJE kommt mir in diesem Moment vor wie ein U-Boot. Alles ist irgendwie da in ihrem kleinen Bauch, ich finde alles auf ihr, denn nichts, nichts wird weggeworfen, keine Schraube, kein alter Bolzen, den kleinsten Rest EPDM, ein synthetischer Kautschuk, der zum Abdichten oder für das Lager meines Ruders nützlich ist. Alles habe ich aufgehoben, wer weiß, wofür ich das noch mal brauchen kann. Und in Momenten wie diesem bin ich um alles froh, was irgendwie zur Reparatur beitragen könnte. Als alles bereitliegt: Jetzt die Genua backgestellt, durch den Wind gesegelt, die Pinne festgebunden. Wellen, die seitwärts auf uns treffen, Regen, der einsetzt, draußen, kilometerweit vom Land entfernt, gerade als wir anfangen wollen mit der Reparatur. In Windeseile bohrt Sven zwei neue Löcher in die Pinne. Setzt dicke Stahlbolzen ein, die wir mit vorher angerührtem, schnell härtendem Harz in die Löcher kleben. Keine Viertelstunde dauert die Operation, Sven ist Meister in diesen Dingen.

Eine Stunde später, als das Harz ausgehärtet ist, greift der Autopilot wieder, die Bolzen halten ihn. Wir können ihm jetzt wieder für die Nacht die Arbeit des Steuerns überlassen.

Gerade rechtzeitig. Als die Dämmerung naht, verkümmert unsere Welt zu einem lichtlosen Grau. Der Regen setzt noch stärker ein, und weil er von hinten kommt, weht er herein ins Schiff bis zum Kartentisch. Sven, der gerade Wache hat, krümmt sich unter die Sprayhood. Nach einer Weile gibt er auf, entnervt von Starkwind und Regen, der ihm ins Gesicht schlägt. Sven, der immer die Nerven behält, ist jetzt abgekämpft, geht schweigend durchs schwankende Boot zu seiner Koje, lässt sich fallen. Ich schaue hinaus durch LEVJEs Seitenfenster: lichtloses Grau in Grau. Regen, der gegen die Scheiben prasselt. Ich bin jetzt zwar warm und trocken und der Autopilot steuert uns zuverlässig in die heranbrechende Nacht. Aber Zustand ist das keiner. Das geht gar nicht: Keiner an Deck, keiner auf Wache. Der Wind frischt auf im Regenschauer. LEVJE schlingert, taumelt, schwankt mehr und mehr durchs trübe Licht der Dämmerung. Nein, ich muss da hoch an Deck, auch wenn es mich Überwindung kostet, ich muss da raus und Wache gehen, während die beiden tief schlafen. Mit etwas mulmigem Gefühl ziehe ich meine Schwerwetter-Sachen an, gehe nach draußen, nach oben.

Irgendwann schrieb ich über die Angst, dass es ein zuverlässiges Rezept gäbe, wenn sie sich deiner bemächtigt: Geh. Einfach. Nachsehen. Schau dem ins Auge, was dir Angst macht. Denn meist ist das gar nicht so schlimm. Eine einfache Regel. Aber wie alles, was es an einfachen Lebensregeln so gibt, ist das schon ganz schön schwer. Es kostet Überwindung. Als ich an Deck bin, schaue ich mich um. Das Grau ist nun ein Dunkelgrau, der prasselnde Regen ist in feinen Niesel übergegangen. Irgendwo rechts ist die Küste. Es weht zwischen 30 und über 35 Knoten, die Wellen rollen aus der Tiefe des Golfs von Tarent entsprechend an. „Nachsehen gehen!“ Etwas zittrig nehme ich das Ruder in die Hand. Hänge den Autopiloten aus. Versuche, von Hand zu steuern, einen Anhaltspunkt zu finden, auf den steuernd ich das Schiff weiter und besser als der Autopilot auf Kurs halten kann. Eine Viertelstunde vergeht. Dann habe ich den Bogen raus,...