Früher war alles schlechter - Warum es uns trotz Kriegen, Krankheiten und Katastrophen immer besser geht - Ein SPIEGEL-Buch

von: Guido Mingels

Deutsche Verlags-Anstalt, 2017

ISBN: 9783641206581 , 128 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 11,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Früher war alles schlechter - Warum es uns trotz Kriegen, Krankheiten und Katastrophen immer besser geht - Ein SPIEGEL-Buch


 

Vorwort

Das vergangene Jahr, 2016, gilt allgemein als annus horribilis, als schreckliches Jahr. Der Syrienkrieg tobte, Flüchtlinge ertranken, Terroristen und Amokläufer töteten Unschuldige, in Nizza, in Orlando, in Brüssel, in München, in Berlin. Die Briten wählten den Brexit, die Amerikaner Donald Trump, die Türkei wurde weiter zur Diktatur umgebaut, und immer mehr Menschen hierzulande begannen zu glauben, es brauche eine Alternative für Deutschland. Russland hackte sich mutmaßlich in die US-Wahlen, und fake news, erlogene Nachrichten, beeinflussten die Meinungen und Debatten. Die globalen Temperaturen stiegen weiter an, in Brasilien verbreitete sich das Zika-Virus, in Italien bebte die Erde. Prince starb.

Kein gutes Jahr, so möchte man meinen, um mit einer SPIEGEL-Rubrik zu starten, die jede Woche einen Trend zum Besseren vorstellt, die den Fortschritt feiert und die Erfolgsgeschichten des Menschen beschreibt. Aber selbst das Jahr 2016 hatte einige Erfreulichkeiten zu bieten, gar nicht so unbedeutende. Hier sind zehn Dinge, die im letzten Jahr keine großen Schlagzeilen machten:

  • Die Ebola-Epidemie, von der viele fürchteten, sie würde zur globalen Bedrohung, wurde von der Weltgesundheitsorganisation für besiegt erklärt.
  • Der Klimavertrag von Paris, im Vorjahr beschlossen, trat in Kraft.
  • Der Panda wurde von der Liste der bedrohten Tierarten gestrichen.
  • Die Zahl der Malaria-Toten sank seit dem Jahr 2000 um 60 Prozent.
  • Zwei Wochen vor dem Brexit trieb ein anderer Kontinent die politische Integration voran: Die Afrikanische Union verkündete, dass es Visumsfreiheit und einen gemeinsamen Pass für alle 54 Mitgliedstaaten geben werde.
  • Die Müttersterblichkeit fiel global auf fast die Hälfte des Niveaus von 1990.
  • Etwa 100 Millionen Menschen entkamen im letzten Jahr der extremen Armut, das sind drei pro Sekunde.
  • In Nord- und Südamerika wurden die Masern für eliminiert erklärt, eine Krankheit, die in der Vergangenheit Millionen Menschen getötet hat.
  • Ägypten hat das Strafmaß für weibliche Genitalverstümmelung verschärft, und das panafrikanische Parlament hat ein kontinentweites Verbot der Praxis beschlossen.
  • Kolumbien hat nach einem mehr als 50 Jahre dauernden Konflikt ein Friedensabkommen mit den FARC-Rebellen geschlossen.

Es kommt also immer darauf an, wo man hinblickt. Und vor allem: welchen Zeitraum man betrachtet. Während in den täglichen Nachrichten der Fokus auf das Jetzt gerichtet ist und damit die Momentaufnahmen dominieren, will dieses Buch die langfristigen Entwicklungen aufzeigen. Denn es ist ein großer, ein kategorischer Unterschied zwischen der (korrekten) Feststellung, dass die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland im August 2016 gegenüber dem Vormonat gestiegen ist und dem (ebenso korrekten) Hinweis darauf, dass 2016 rund sieben Mal weniger Menschen auf Deutschlands Straßen umkamen als 1970. Man muss das ganze Gebäude betrachten, nicht nur den einen Riss in der Mauer.

Wer also die Entwicklungen über die letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte verfolgt, kann zu keinem anderen Schluss kommen als eben dem, der zur Überschrift meiner Kolumne und zum Titel dieses Buches wurde: Früher war alles schlechter. Man könnte auch sagen: Die guten alten Zeiten sind heute. Denn entgegen der Meinung oder den Gefühlen einer mutmaßlichen Mehrheit der Öffentlichkeit gibt es kaum einen bedeutsamen Bereich menschlichen Lebens, der sich langfristig zum Schlechteren entwickelt hätte. Viel spricht dafür, dass es der Mensch niemals besser hatte auf Erden als eben jetzt, in der Gegenwart.

Die Gesundheit verbessert sich. Die Lebenserwartung steigt. Die Kindersterblichkeit sinkt, fast überall auf der Welt. Der Wohlstand nimmt zu, auch fast überall. Die Geburtenraten nehmen ab, ebenso wie die Müttersterblichkeit. Die Armut wird weniger, sie ist in den letzten 50 Jahren stärker zurückgegangen als in den 500 Jahren davor. Die Bildung verbessert sich, vier von fünf Menschen können heute lesen und schreiben. Die Kriegstoten werden weniger, die Mordraten sinken. Impfquoten steigen, Krankheiten verschwinden. Die landwirtschaftlichen Erträge pro Fläche wurden vervielfacht. Der Wald wächst. Der Hunger schwindet. Die Arbeitszeit schrumpft. Es gibt weniger Opfer von Naturkatastrophen, weniger Aids-Tote und weniger arbeitende Kinder. Deutsche trinken weniger Alkohol, rauchen weniger und bringen sich seltener um. Die Liste ist lang.

Warum haben dennoch so viele Leute ein so falsches Bild der Welt im Kopf? Warum sieht der Mensch alles in zu düsterem Licht? Warum können die Leute sich so schlecht an ihren Errungenschaften freuen, warum ist es immer nur der Misserfolg, von dem sie sich in ihrer Weltsicht bestätigt fühlen? Oder, mit dem britischen Historiker Thomas Babington Macaulay gefragt: »Welches Prinzip liegt der Wahrnehmung zugrunde, dass wir im Rückblick nur Fortschritt sehen und in der Zukunft nichts als Niedergang erwarten?«

Ja, weshalb? Es liegt zum einen an unserer Neigung zur Nostalgie. Der Mensch behält nur das Schöne in Erinnerung und glaubt deshalb, dass früher alles besser war. Gleichzeitig misst er negativen Informationen größeren Wert zu als positiven, weil das Gehirn entsprechend gebaut ist, wahrscheinlich ein Überlebensmechanismus der Evolution. Drittens sind positive Neuigkeiten oft schwieriger zu erkennen als negative, sie sind in der Regel graduell, es sind Zwischenstände langsamer, positiver Verläufe, während bad news sich urplötzlich ereignen. Was besser zu den Mechanismen der Medien passt. »Heute erneut keine Hungersnot« ist nun mal keine Schlagzeile.

Es gibt diesen alten, bösen Spruch: »Ein Optimist ist jemand, der ungenügend informiert ist.« Der Satz ist falsch, sein Gegenteil ist wahr. Es ist meist der Pessimist, der ungenügend informiert ist, der seinen Vorurteilen vertraut. Dieses Buch, das die 52 Folgen der SPIEGEL-Rubrik »Früher war alles schlechter« des Jahres 2016 versammelt, möchte dazu beitragen, diese Informationslücken zu verkleinern. Indem es mit 52 Themen und Infografiken zeigt, dass es der Welt besser geht, als die meisten Leute glauben. Betrachtet werden dabei zwar meist die ganz großen globalen Zusammenhänge – Armut, Ungleichheit, Bevölkerungswachstum –, oft geht es aber auch um kleinere, lokale, deutsche Phänomene, um den aussterbenden Banküberfall hierzulande, die steigende Gewässerqualität, die rückläufige Zahl der Badetoten, die Segnungen der Waschmaschine.

Von Anfang an erhielt ich auf die einzelnen Beiträge zahlreiche Mails und Briefe von Lesern. Manche zeigten sich erfreut über die ungewohnte Perspektive, andere aber waren entweder nicht überzeugt von den vorgestellten Zahlen oder nicht einverstanden mit den Schlussfolgerungen. Oft hörte ich den Vorwurf der Schönfärberei oder den des blinden Fortschrittsglaubens. Man beschuldigte mich, die tiefen Probleme der Welt zu verkennen oder sie bewusst zu missachten.

So ist es nicht. Natürlich gibt es zweifellos weiterhin gewaltige Missstände. Und es gibt Kräfte, die den bisherigen Fortschritt bedrohen und rückgängig machen können. Die Feinde der offenen Gesellschaft arbeiten derzeit in Teilen der Welt an einer nationalistischen Rückwärtsbewegung, sie wollen den freien Fluss von Ideen, Gütern und Menschen einschränken. Das ist gefährlich. Dieses Buch will denn auch nicht Trost spenden. Und schon gar nicht will es dazu einladen, die Füße hochzulegen, weil eh alles gut läuft. Die frohen Botschaften, die es enthält, sind immer auch als Warnung zu verstehen. Die Tatsache, dass viele Trends in die richtige Richtung zeigen, garantiert keineswegs, dass es immer so bleiben wird. Es kann vieles auf schreckliche Weise schief gehen. Wenn wir so weitermachen, wird die globale Erwärmung womöglich das Leben von Millionen Menschen bedrohen. Wenn wir so weitermachen, könnten die sozialen Wohlfahrtssysteme der Industriestaaten kollabieren. Wenn wir so weitermachen, wird die fortschreitende Automatisierung der Arbeitswelt zu einer gewaltigen Arbeitslosigkeit führen. Wenn wir so weitermachen, kann ein neuer Krieg zwischen Großmächten ausbrechen.

Aber zum einen sind das Worst-Case-Szenarien und schon als solche sehr unwahrscheinlich. Und zum anderen liegt ein fataler Denkfehler im drohenden Halbsatz des »Wenn wir so weitermachen«, dem Mantra der Apokalyptiker. Wer so denkt, projiziert einen isolierten Ausschnitt der Gegenwart in die Zukunft, ohne zu bedenken, dass in der Zukunft das gesamte Bild ein anderes sein wird. Wer nur vor Augen hat, dass wir immer länger leben, aber nicht realisiert, dass wir auch immer länger gesund bleiben, muss sich vor einem langen Siechtum im Alter fürchten. Wer nur daran denkt, dass es immer mehr Menschen geben wird auf der Welt, aber vergisst, dass auch die Effizienz der Landwirtschaft steigt, muss schwarz sehen für die Ernährung der rund elf Milliarden Menschen, welche die Uno für das Jahr 2100 prognostiziert. Die Menschheit hat eben noch nie einfach so weitergemacht wie bisher. Sonst wäre sie längst untergegangen.

Ich bin nicht aufgrund persönlicher Veranlagung zum Optimisten geworden – privat neige ich eher zur Melancholie –, sondern aufgrund der Betrachtung von Daten, Zahlen und Fakten. Der Optimismus, den ich meine, sagt nicht: Alles ist gut. Aber er glaubt an ein Bonmot, das Oscar Wilde zugeschrieben wird: Am Ende wird alles gut – und wenn es nicht gut ist,...