Yeziden in Deutschland - Eine Religionsgemeinschaft zwischen Tradition, Integration und Assimilation

von: Halil Savucu

Tectum-Wissenschaftsverlag, 2016

ISBN: 9783828865471 , 420 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 31,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Yeziden in Deutschland - Eine Religionsgemeinschaft zwischen Tradition, Integration und Assimilation


 

BHistorischer Teil

IUrsprung und Herkunft der Yeziden

In diesem Abschnitt wird näher dargelegt, welches Verständnis von „kollektiver Identität“ bei den Yeziden vorherrscht. Welche Erkenntnisse hat die Forschung bereits über Ursprung und Herkunft der Yeziden erlangt: Sind die modernen Yeziden Zoroastrier oder Yarasan bzw. umgekehrt? Woher stammt der Name „Yezidi“? Ist das Yezidentum vielleicht die älteste monotheistische Religion oder doch eine „Geheimreligion“?

1Verständnis von „kollektiver Identität“

Die Yeziden verstehen sich als Angehörige einer „uralten“, pazifistischen Religionsgemeinschaft, denen historisch „großes Unrecht“ widerfahren ist, aber auch als „millet“, also als Volk. Als Religion verfügt das Yezidentum über ein vielfältiges Normengeflecht, das die spirituelle Verbindung zwischen Menschen in ihrer irdischen Existenz und einer überweltlichen, göttlichen bzw. heiligen Wesenheit begründet. Als Volk verstehen sich die meisten Yeziden als Teil der kurdischen Nation.

Historisch diente den Yeziden ihre religiöse Identität als Abgrenzung gegenüber den dominierenden kurdisch-sunnitischen Muslimen und fungierte gleichzeitig als inneryezidische Stütze22 gegen die jeweils in Kurdistan herrschende Mehrheit. Gleichwohl teilen die Yeziden historisch und geografisch das Schicksal der Kurden. Die in der Zeit des Ersten Weltkrieges und zum Teil bis in die Gegenwart in vielen Stämmen organisierten Kurden konnten, anders als die Türken und die Araber, keinen eigenständigen Staat gründen. Trotz politischer und zum Teil vertraglich festgehaltener Versprechen23 durch Briten und Franzosen, die das Mandat über Kurdistan ausübten, gingen die Kurden nach der Aufteilung des Osmanischen Imperiums leer aus. Kurdistan und somit alle Kurden wurden zwischen der neuen Republik Türkei (1923), dem Irak (1932) und später auch Syrien (1946) aufgeteilt.

Während die Yeziden bis zur Proklamation der Türkei als Republik fast alle innerhalb des Osmanischen Reichs lebten, wurden sie nun allmählich unter den drei neuen Staaten (Türkei, Irak, Syrien) aufgeteilt. Seit dieser, für alle Kurden verheerenden Aufteilung Kurdistans werfen nationale Entwicklungen und Umbrüche die Frage nach einer „kollektiven Identität“ für Kurden im Allgemeinen und für Yeziden im Besonderen auf. So erklärten „die nationalistisch orientierten“ Gebrüder Bedirxan24 bereits in den 1930er-Jahren die Yeziden als „die wahren Kurden“ (Kurdên resen), die es bereits vor dem Aufkommen des Islam gab. Im Grunde hat die Suche nach einem „kollektiven Selbst“, „kultureller Authentizität“ bzw. einer „gemeinschaftlichen Lebensform“ für Yeziden nicht schon in den 1930er-, sondern erst seit den 1980er-, zum Teil erst ab den 1990er-Jahren begonnen und hält weiter an. Die regionalen Entwicklungen und Diskussionen um Abstammung, Herkunft und Einordnung der yezidischen Gemeinschaft in ein Volk bzw. eine Nation sowie politische Vorstellungen der Yeziden in der Diaspora (Armenien, Georgien, Deutschland) als auch in der angestammten Heimat (Kurdistan bzw. Irak, Türkei, Syrien) sind zu vielfältig und unterschiedlich, als dass in dieser Studie des Umfangs wegen weiter darauf eingegangen werden könnte.

Trotz bzw. gerade wegen dieser „kollektiven Suche“ nach nationaler Identität versteht sich das moderne Yezidentum mehrheitlich als exklusiver „urkurdische Glaube“, gelebte Kultur und Lebensphilosophie. Nach yezidischer Auffassung hat das sich als Minorität definierende Yezidentum es vermocht, an seinen religiösen und gesellschaftlichen Besonderheiten (Sprache, Tradition, yezidische Identität) festzuhalten. Dies gelang trotz jahrhundertelanger Verfolgung und Anfeindung durch „orthodoxe Sunniten“ und „osmanisch-türkische Statthalter“ sowie der rigorosen Assimilationspolitik der modernen Türkei gegenüber der kurdischen Minderheit.

Wie dargelegt wird das Yezidentum vor allem von Kurden hofiert, die nationalistisch orientiert sind, obwohl es unklar ist, ob alle Kurden früher tatsächlich ausnahmslos Yeziden waren: Während die einen die Yeziden als eine vom Islam abgespaltene und folglich irregeleitete Sekte25 definier(t)en, ordnen die anderen sie ethnisch als Araber oder Türken ein. Die Yeziden selbst verstehen ihre Religion als die „älteste monotheistische Religion“26; beachtliche Teile davon begreifen sich als Zoroastrier27. Unter Yeziden und „nationalistisch orientierten Kurden“ ist die Auffassung vorherrschend, dass vor der Islamisierungswelle in Kurdistan alle Kurden Yeziden waren. Angesichts dieser unter Kurden und Yeziden anhaltenden Kontroverse soll untersucht werden, ob die bisherige Forschung nachprüfbare bzw. gesicherte Erkenntnisse über Ursprung und Herkunft der yezidischen Kultur erbracht hat.28 Zur Überprüfung dieser These soll zuerst geklärt werden, was die Begriffe „Yezidi“ bzw. „Ezdayî“ oder „Êzîdî“, etymologisch bedeuten. Sodann soll ausgeführt werden, wie diese Bezeichnungen bzw. Namen von den Yeziden selbst verstanden werden.

2Woher kommen die Yeziden?

Yezidischen Quellen29 zufolge stammt der Name „Ezdayî“ vom „Ez da“ bzw. „ewê ez dame“, was mit „Schöpfer“ bzw. „der mich selbst geschaffene Gott“ gleichgesetzt wird. Diese Erklärung entspricht der Ansicht aller yezidischen Autoren und berücksichtigt die Etymologie des Begriffs „Ezdayî“. Gleichwohl wurde bis zum 20. Jahrhundert in einigen islamisch orientierten Kreisen die Ansicht vertreten, dass die Bezeichnung „Yezidi“ auf den muslimischen Kalifen Yazid I. (680 – 683 n. Chr.) hinweise und die Yeziden Anhänger des erwähnten Kalifen seien.30 Dazu erklärt John S. Guest

“It seems most probable that the name ‘Yezidi’ was used by Moslems, particularly Shiites, as an insulting nickname for the members of this alien faith and that in the course of time it became their official designation”31

Konsequenz dieser verwirrenden bzw. unhistorischen Auffassung war, die Yeziden als eine vom Islam abgespaltene Sekte zu betrachten. Es gibt keine nachvollziehbaren, historischen Beweise dafür, dass die Bezeichnung „Yezidi“ oder „Ezdayî“ etwas mit dem sunnitischen Kalifen Yazid zu tun haben könnte32. Andere Forscher leiten die Bezeichnung „Yezidi“ von der altiranischen Bezeichnung „Yazata“ oder von der persischen Bezeichnung „Yazdan“ ab.33 An anderer Stelle wird versucht, den Namen „Yezidi“ mit der sumerischen Sprache34 in Verbindung zu bringen, wenn auch bisher ohne Erfolg. Demgegenüber erklären yezidische Autoren unter Berufung auf mündliche Überlieferungen, dass der Name „Yezidi“ vom Namen „Ezda“ für Gott (Xwedê) abstamme:

Êzî ist ein König. Er gab sich selbst 1001 Namen. Doch sein wichtigster Name ist Xwedê (Gott),“35 m. Übers.

Demnach bedeutet „Ezdayî“ so viel wie „Volk Gottes“ („gelê yan jî miletê Xwedê“). Yeziden zufolge seien ähnliche Namen wie „Ezd,“ „Ezda,“ „Ezdan“ nur Namen Gottes, während die Bezeichnung „Êzîdî“ oder „Ezdayî“ „Anhänger Gottes“ (Xwedêperest) bedeutet.36 In diesem Zusammenhang wird von Teilen der Yeziden die Auffassung vertreten, dass sie bis zur Ära der Sassaniden (224 – 651 n. Chr.) Zoroastrier hießen. Hingegen meint Pîr Mamou Othman, yezidischer Religionshistoriker, es sei unklar, wie die Yeziden vor dem Aufkommen des Islam wirklich hießen oder sich selbst nannten37.

Kreyenbroek und Khalil Jindy Rashow vermuten, dass der Name „Yezidi“ oder „Êzidî“ in früheren Zeiten (etwa vor 1415 n. Chr.) mehrere Gemeinschaften umfasst habe. Allerdings erwähnen sie nicht, welche weiteren Gemeinschaften gemeint sein könnten.

“Nor do we know exactly when the name Yezidi (or Êzîdî), which in earlier times seems to have been used for more than one community in Kurdistan, came to denote this particular group.”38

Tatsächlich ist in den yezidischen Überlieferungen die Bezeichnung Êzidî aufgeführt, es fehlt hingegen der Name Zoroastrier. In den Überlieferungen werden Begriffe wie „Sunet“ (Tradition) bzw. „Sûnî“39 oder auch „Sunetxan“ (House of the Tradition) oder „Dasini“ in unterschiedlichen Zusammenhängen erwähnt. Die Bezeichnungen „Sunet“ bzw. „Sunetxan“ stehen für „yezidische Tradition“ oder „yezidische Gemeinschaft“40, bei der Bezeichnung „Dasinî“ handelt es sich um den Namen eines yezidischen Stammes in Duhok (heutiger Irak).41 Pîr Dîma zufolge war Dasinî ein ehemaliges yezidisches Fürstentum (Mîrgeha Dasinî), dessen Hauptstadt Duhok42 war. Der Begriff „Sunet“ weist zwar auf die yezidische Gemeinschaft hin, ist aber nicht der Name der Yeziden selbst. Es ist durchaus möglich, dass sich die Yeziden temporär als „Sunet“ (peşka sunnetê) oder „Sûní“43 bezeichnet haben, um einer gezielt politisch-religiösen Verfolgung vornehmlich durch orthodoxe Muslime wie z....