Bonhoeffer und Bethge - Das Porträt einer wunderbaren Freundschaft

von: Wolfgang Seehaber

Fontis, 2016

ISBN: 9783038487906 , 448 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 16,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Bonhoeffer und Bethge - Das Porträt einer wunderbaren Freundschaft


 

2. Ein Pastorensohn vom Land und ein Professorensohn aus der Großstadt


Menschlichkeit, Bescheidenheit, Fröhlichkeit, Vitalität …


«Ich kenne überhaupt keinen Menschen, der Dich nicht leiden kann», schrieb Dietrich Bonhoeffer seinem Freund Eberhard Bethge im Januar 1944 aus der Haftanstalt Tegel und fügte selbstkritisch hinzu, «während ich viele kenne, die mich nicht leiden können.» Als Begründung für die allgemeine Akzeptanz des vertrauten Gefährten und für die Ablehnung, die er selber manchmal erfuhr, schob er als Erklärung nach, es liege wohl daran, «dass Du von Natur offen und bescheiden bist, während ich verschlossen und etwas anspruchsvoll bin». Überall würde dem Freund das Wohlwollen der Menschen begegnen. «Das ist eine wirklich erstaunliche Mitgift der Natur an Dich», bewunderte der Gefangene.130

Jeder mochte Bethge leiden. Das freute Bonhoeffer. Er war stolz darauf, mit einem solchen Mann befreundet zu sein,131 dem von allen Seiten positive Gefühle zuflogen. Dass es bei ihm nicht so war, störte ihn überhaupt nicht. Trotz der Verschlossenheit und des Anspruchsdenkens, die er sich selbst attestierte, besaß er ja wahrlich genügend Freunde, die ihn annahmen, so wie er war. Und vor allem wusste er Eberhard ganz fest auf seiner Seite. Seit nunmehr neun Jahren bestand diese einzigartige Beziehung. Bethge war zu dem «Einen» geworden, der jedes mögliche Defizit, was menschliche Verbindungen anging, in seinem Leben nun völlig ausfüllte.

Es ist wirklich erstaunlich, wie sehr Eberhard Bethge von allen, die ihn näher kennen lernen durften, geschätzt wurde. Man überbot sich nahezu in lobenden Beschreibungen seiner Persönlichkeit, wenn man von ihm sprach. Immer wieder wurden zuerst seine Menschlichkeit und Bescheidenheit genannt. Diese Bescheidenheit ist gleichzusetzen mit einer Freiheit davon, sich selbst in den Vordergrund zu schieben, sich zu inszenieren und zu missgönnen. Er vermochte es, sich unbändig mitzufreuen, wenn einem anderen etwas gelang. Viele, die bei ihm um Hilfe nachgefragt haben, wenn sie über Bonhoeffer arbeiteten, können ein lautes Lied davon singen. Er half gerne und war begeistert, wenn seine Hilfe gute Früchte trug. Allzu wichtig nahm er sich selbst nie. Das zeigt vor allem seine große Biografie über den Freund, in die er seine eigene Person nur sehr verhalten einbrachte, auch wenn er unmittelbarer Zeuge wesentlicher Ereignisse und Mitwirkender an historischen Begebenheiten war. Dem Freund, seinen Gedanken, seinen Einflüssen, seinem Engagement und Kampf redete er das Wort und stellte sich dabei hintenan. Das war keine irgendwie geartete Koketterie. Das entsprach einfach seinem Wesen.

Paul Lehmann, einer der Freunde Bonhoeffers aus den USA, schrieb an Bethge anlässlich von dessen 70. Geburtstag: «Zu dieser Leistung [sc. gemeint ist die Biografie] gehört Deine Menschlichkeit. Als wir uns vor dreißig Jahren in Princeton zum ersten Mal begegneten, da war es von Anfang an, als ob wir uns nie nicht gekannt hätten … Sofort war die Offenheit, die Unbefangenheit, die geistreiche, humorvolle Kühnheit, die selbsthingebende Bescheidenheit da, die uns erfreute und immer wieder das Leben erquickte und bereicherte. Ebendiese selbstverständliche Menschlichkeit hast Du unzähligen Mitmenschen beschert …»132

Zu diesem 70. Geburtstag verfasste auch Joachim Kanitz, der mit Bethge zusammen am ersten Seminarkurs in Zingst und dann in Finkenwalde teilgenommen hatte, einen Brief und sagte darin: «Unter den fast fünfundzwanzig jungen Männern bist Du mir bald aufgefallen als ein besonders fröhlicher und kameradschaftlicher Mensch.»133 Auch diese eben erwähnte Fröhlichkeit und sein Humor haben Bethge besonders ausgezeichnet. Er «konnte so herzlich lachen», erinnerte sich Gerhard Lehne, einer aus dem Sammelvikariat in Groß Schlönwitz.134 Und der spätere Schwiegervater Rüdiger Schleicher bescheinigte ihm ein «sonniges Gemüt».135 Bonhoeffer, dem ja auch Witz und Humor zugesprochen werden müssen, genoss diese Fröhlichkeit des Freundes und wärmte sich an ihr.136

Wer in Zingst und Finkenwalde mit ihm zusammengelebt hatte und wer ihn später kennen lernte, machte keinen Hehl daraus, dass Eberhard Bethge einer war, auf den man gerne traf. «Man sollte … Eberhard in seinen jungen Jahren gekannt haben», schrieb der Mitseminarist Werner Koch, «um zu ermessen, dass er tatsächlich einer der ‹Lebendigsten› war. Man müsste ihn zum Beispiel in seiner ganzen Musikalität erlebt haben, etwa mit Dietrich vierhändig den Flügel spielend oder mit uns Kandidaten bislang unbekannte alte oder auch neue Lieder einüben. Die mitreißende Lebendigkeit, in der er sie vorsang!»137

Diese Vitalität konnte anstecken. Sein Mitkandidat Albrecht Schönherr hattte es auch sehr deutlich gespürt: «… dass Du über eine schöne Vitalität verfügtest, konnte man Dir ja nicht absprechen.»138

Bethge allerdings zweifelte selbst daran, dass er diese Vitalität besaß, «die sich durchsetzt und nichts sich gefallen lässt».139 Bonhoeffer widersprach ihm aus dem Gefängnis heftig: «Ich wundere mich, wie schon früher manchmal, dass Du Dir die nötige ‹Vitalität›, um Dich durchzusetzen … absprichst. Ich habe nur erlebt, wie Du Dich in Deiner (eben von Natur bescheidenen) Weise im Kreis des Seminars immer durchgesetzt hast, ferner (was Du ja immer bestreitest), wie Du Dich mir gegenüber durchgesetzt hast (und das stelle ich mir allerdings gar nicht so leicht vor), und die ‹Sicherheit des Empfindens› … war es gerade, wenn ich das mal so sagen darf, was mich an Deinem geistigen Habitus besonders angezogen hat.»140

Und viele andere fühlten das genauso. Bethge war erfüllt mit Leben. Die nicht theologischen Eigenschaften waren es vor allem, die beeindruckten, wusste Winfried Maechler aus dem ersten Finkenwalder Seminarkurs: «Deine Fähigkeiten im Sport und in der Musik, Deine Liebe zu Spiel und Geselligkeit, Deine Begeisterungsfähigkeit, Dein Charme im Umgang mit Menschen und nicht zuletzt Deine selbstverständliche Hilfsbereitschaft.» Und er fügte hinzu: «Es war also immer wieder Deine Menschlichkeit, die uns faszinierte, und diese Menschlichkeit ist ja wohl ein sehr theologischer Faktor als Abbild der Menschlichkeit Gottes …»141

Es stimmte, jeder mochte Eberhard. Manch einer äußerte sich überschwänglich, wie eben Maechler, andere taten es etwas zurückhaltender, wie Otto Berendts, Kandidat im vierten Kurs: «Bethge trat – außer dem Singen – im Seminarbetrieb als einer unter anderen nicht besonders hervor, war aber überall wohlgelitten in seiner freundlichen und einfühlsamen Art, mit der er jedem begegnete. Nie habe ich ein schroffes Wort von ihm gehört.»142 Er habe aber «eine von allen akzeptierte Sonderstellung als Intimus Bonhoeffers» gehabt.143 Die hat er sich aber nie zu Kopf steigen lassen. Da war eben wieder seine oft gerühmte Bescheidenheit, die ich als Freiheit bezeichnet habe. Auf den bereits erwähnten Albrecht Schönherr, der die Vitalität Bethges gespürt hatte, wirkte dieser auch – so in einem Brief an die Braut Hilde Enterlein – «noch so jung und sehr weich».144 Er bescheinigte ihm aber wenig später, «eine glückliche Natur» zu sein.145 Schönherr hatte bereits in Berlin zum Bonhoeffer-Kreis gehört, er war also mit dem Seminardirektor und seiner Denkweise vertraut. Dagegen musste ihm Bethge unsicher, unerfahren und suchend erscheinen, aber auch gefühlsbetont und einfühlsam. Das mag er mit «weich» und «so jung» gemeint haben. Doch dass der Provinzler etwas besaß, was dem Großstädter wohl abging, war das zuversichtliche, auch neugierige oder humorvolle Naturell, das sich einfach nicht unterkriegen ließ.

Country Boy


Eberhard Bethge nannte sich gerne einen «Landjungen». Er tat es auch noch, als er bereits in Wien studiert, mit einem Schulfreund Paris besucht und auf einer Reise nach Konstantinopel nur bis Budapest gelangt war, nachdem die sparsame Mutter das Geld für die Weiterfahrt verweigert hatte. Diese Selbstbezeichnung, obwohl er reichlich urbane Luft geschnuppert hatte, entsprang «vielleicht einem unterbewussten Bedürfnis», so sein Biograf John W. de Gruchy, «inmitten einer ganz anderen, aber willensstarken aristokratischen Familienkultur», nämlich der der Bonhoeffers, «Raum für seine eigene Persönlichkeit zu schaffen».146

Bethge wollte mit seinem beharrlichen Bestehen auf der Herkunft aus einem dörflichen Umfeld, überschaubar und mit Beschränkungen, seine Eigenständigkeit gegenüber dem späteren Freund Dietrich Bonhoeffer betonen. Der nämlich hatte neben Tübingen und Berlin auch in Rom studiert, in Barcelona als Vikar gearbeitet, in New York ein theologisches Seminar besucht und in London als Pastor gewirkt, war bereits in die Ökumene eingebunden und vermochte sich in vier Sprachen zu äußern. Da galt es, sich abzusetzen, sich als ganz anders darzustellen, um nicht von dieser Weltläufigkeit Dietrichs absorbiert zu werden. So sprach er von sich als einem «country boy», lächelte vielleicht dabei und signalisierte: «Schaut her, ich unterscheide mich deutlich!» Beinahe trotzig schrieb er in seinen autobiografischen Aufzeichnungen «In Zitz gab es keine Juden»: «Der Dorfjunge blieb lange zufrieden mit sich selbst, und der ungezwungene, herzliche Umgang der verzweigten Bethge-Familie miteinander – alle waren eigentlich nur in Dörfern zu Hause – verschaffte einem natürlich auch nicht die nötige Gewandtheit. Und ‹gewandt› wollte ich eben nicht sein.»147

Er wurde es dennoch, nämlich «gewandt», bewegte sich später ganz selbstverständlich in der großen und...