Religion und Kult der Germanen

von: Alexander Rubel

Kohlhammer Verlag, 2016

ISBN: 9783170292680 , 174 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 28,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Religion und Kult der Germanen


 

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Einleitung


 

 

Dieses Buch handelt von der Religion der Germanen. Bereits dieser erste Satz wirft Fragen auf. Innerhalb der mehr als 1000 Jahre von den Anfängen einer als »germanisch« anzusprechenden und erst nur archäologisch fassbaren materiellen Kultur über die Völkerwanderungszeit bis zur beginnenden Wikingerzeit lassen sich anhand der Quellen unterschiedlichste Ausprägungen von »Religion«, ja selbst von Kulturerscheinungen, die allgemein als »germanisch« angesprochen werden, belegen. Zwischen den ungestalten Astgabelidolen oder Pfahlgötzen der Eisenzeit (hierzu ausführlich Kap. 5) bis hin zu den klar definierten Götterdarstellungen auf den Brakteaten (silbernen oder goldenen, medaillienartigen Amuletten der Völkerwanderungszeit) liegen Welten. Der römische Feldherr Caesar behauptet um 50 vor Christus von den Germanen, sie verfügten über gar keine »echte« Religion im Sinne der Römer, da sie keine personifizierten Gottheiten verehrten. Sie beteten lediglich Naturerscheinungen an, und zwar besonders die Sonne, das Feuer und den Mond, ohne einzelne Götter mit Namen zu nennen (De bello gallico, 6, 21)1. Demgegenüber verweisen schon Tacitus (um 100 n. Chr.) und später die skandinavischen Quellen des Mittelalters auf ein ausgebildetes Pantheon und eine komplexe Mythologie. Welche Religion wird hier also behandelt? Wer genau waren die Germanen? Scheinbar einfache Fragen, die sich aber bei genauerem Hinsehen als durchaus komplex erweisen und denen in den folgenden Kapiteln annäherungsweise nachgegangen werden soll.

Konzeption und Schwerpunkt des Bandes


Der Schwerpunkt dieses Buches liegt auf den früheren Epochen der germanischen Geschichte, etwa bis zum Ende der sogenannten Völkerwanderungszeit und der Zeit der sich etablierenden »germanischen Reiche« des Frühmittelalters (grob bis ins 6./7. Jahrhundert)2, wobei literarische, inschriftliche und besonders archäologische Quellen, sowie Erkenntnisse der historischen Sprachwissenschaft als Hauptzeugen herangezogen werden.

Die wikingerzeitlichen Zeugnisse und die v. a. aus der isländischen Literatur des Mittelalters gewonnenen Vorstellungen über die Götterwelt der Germanen, die eigentlich v. a. die der Skandinavier der Wikingerzeit meint, über Odin, Frîja, Thor und Loki, werden auch heute noch oft leichtfertig auf die germanische Welt außerhalb Skandinaviens und auf die frühe Zeit der germanischen Völker und Kulturen übertragen. Die Verzerrungen der späten Quellen aus christlicher Zeit, wie auch die an sich späte Bestandsaufnahme dieser auch heute noch allgemein bekannten Götter- und Sagenwelt, die bestenfalls eine mittelalterliche Interpretation der heidnischen Traditionen bewahrt hat, sollten nicht unterschätzt werden. Deswegen behandelt diese Darstellung, auch der Handlichkeit und Übersichtlichkeit wegen, die skandinavische Spätzeit nur knapp, auch wenn bedeutende späte Quellen wie Snorri Sturluson oder die Lieder der Edda an den passenden Stellen zur Sprache und zu ihrem Recht kommen.

Gedacht ist dieser kurze Überblick für ein breites Publikum, das über keine fachspezifischen Vorkenntnisse in den für dieses Forschungsfeld relevanten Disziplinen Alte Geschichte, Archäologie und germanistische Linguistik verfügt. Deswegen werden Fachausdrücke meist kurz erklärt oder durch allgemeinsprachliche Umschreibungen ersetzt. Das dient der leichteren Lesbarkeit, fortgeschrittene Studenten und Fachleute, die dennoch zu diesem handlichen Überblick greifen, mögen gnädig darüber hinwegsehen. Für das angesprochene Format weist das Buch eine recht große Anzahl an Literaturhinweisen und Belegen auf, auf die jedoch nicht verzichtet werden konnte (Quellenbelege finden sich jedoch meist in Klammern im Haupttext). Die Literaturangaben sind als weiterführende, vertiefende Hinweise zu verstehen und entsprechend als Anmerkungen am Textende angefügt, so dass der Lesefluss nicht unterbrochen werden muss. Die Anmerkungen enthalten nur weiterführende Informationen und Literaturangaben zu Vertiefung besonders bei strittigen Themen, alle für das Verständnis des Dargestellten nötigen Angaben finden sich im Text. Die Anmerkungen enthalten jeweils auch die (meist lateinischen) Originalzitate der ansonsten in deutscher Übersetzung wiedergegebenen Quellenstellen.

Die Religion und der Kult der Germanen werden also unter diesen Rahmenvorgaben hier vorgestellt. Aber was bedeutet Religion und was bedeutet Kult im Hinblick auf vorgeschichtliche Völkerschaften, von denen nur archäologische Zeugnisse und Quellen aus zweiter Hand (nämlich meist von Römern und Griechen verfasste Außenansichten) bekannt sind? An dieser Stelle müssen ein paar grundlegende Begrifflichkeiten wenigstens ansatzweise geklärt werden.

Der Begriff Religion


Religion bezeichnet zunächst einmal in einem allgemeinen, vorwissenschaftlichen Verständnis die Vorstellung von übergeordneten, mächtigen Wesenheiten (im vom Lateinischen geprägten Jargon Numina genannt), zu Deutsch und nur leicht vereinfacht: Göttern also, die die menschliche Lebenswelt beeinflussen und mit denen man – meist durch gesellschaftlich geformte Rituale – kommunizieren kann, um Gunstbezeugungen zu erlangen oder Schaden abzuwenden. Wissenschaftlich ausgedrückt dient Religion als sinngebendes Symbolsystem, dem in seinen kulturell unterschiedlichen Ausprägungen meist die Funktion eines Welterklärungsmodells zukommt, dessen sinnstiftende Elemente es dem Menschen ermöglichen, eine Ordnung hinter den chaotisch anmutenden Gegebenheiten der Natur zu erkennen3. Für unsere Zwecke wird im Folgenden das vorwissenschaftliche Verständnis von Religion völlig ausreichen. Dennoch sind einige präzisierende, hoffentlich einleuchtende Bemerkungen über die Vergleichbarkeit von Religionen nötig (etwa beim Vergleich unserer modernen, christlich geprägten Erfahrungswelt mit der religiösen Welt der Germanen).

Bei der Behandlung prähistorischer und antiker Religionen tauchen neben der Quellenproblematik auch bestimmte methodische (eigentlich philosophisch-erkenntnistheoretische) Probleme auf: Unser Begriff »Religion« ist ein abendländisches, stark von christlichen Vorstellungen geprägtes Konstrukt (der dem Lehnwort zugrunde liegende römische Begriff religio meint etwas anderes, nämlich in erster Linie den Vollzug kultischer Handlungen). Die Religionswissenschaft ist ebenfalls eine abendländische, in christlichen Traditionen verhaftete Disziplin. Diese Parameter prägen ungewollt unsere Herangehensweise, und die Vorstellung einer »unbefangenen«, »objektiven« Annährung an fremde Religionen ist nach begründeter Meinung des Religionswissenschaftlers Fritz Stolz »pure Naivität«4. Zur Illustration dieses Sachverhalts mag ein Beispiel aus der Ethnologie dienen: Der grönländisch-dänische Polarforscher und Ethnologe Knud Rasmussen (1879–1933), der sein Leben dem Studium der Kultur der Inuit, der Ureinwohner des Polarkreises, widmete, fragte in einem seiner Interviews einmal einen Schamanen: »Glaubt ihr an die Götter?«. Der so angesprochene antwortete ihm nach einer längeren Pause verwundert: »Wir glauben nicht an sie, wir fürchten sie!«.

Für prähistorische und antike Gesellschaften hat man also mit einem ganz anderen Bezugsrahmen zu rechnen, der sich von unseren allgemeinen wie auch wissenschaftlichen Vorstellungen stark unterscheidet. Was Menschenopfer und Waffenniederlegungen in Mooren oder Kultfeste in heiligen Hainen für die Beteiligten wirklich bedeutet haben mögen, ist aufgrund der augenfälligen Andersartigkeit dieser religiösen Praktiken für uns heutige überaus schwer nachzuvollziehen.

Bei aller notwendigen Betonung dieser Fremdheit und der Distanz, die uns von den Realitäten der germanischen Kultur nachhaltig trennt, darf jedoch – sofern die Beschäftigung mit der germanischen Religion nicht in resignierender Ratlosigkeit enden soll – eines nicht übersehen werden: Phänomene, die unserer Erfahrungswelt eigentlich fremd sind und die den Charakter ihrer Fremdheit nie ganz verlieren, müssen und können in die Sprache unseres Verständnishorizontes »übersetzt« oder in dieser Sprache umschrieben werden. Daran können auch die Appelle derjenigen Gelehrten wenig ändern, die sich dem ethnologischen Vergleich, der durch die Betonung der Fremdheit und Andersartigkeit der beobachteten Phänomene die nötige Distanz zum Gegenstand schaffen kann, verschrieben haben.

Um überhaupt vergleichendes Verstehen innerhalb der Religionsforschung zu ermöglichen, muss eine religionswissenschaftlich fundierte Metasprache als Instrument...