Aber bitte mit Butter - Warum Brot nicht dumm und Fett nicht krank macht

von: Katarina Schickling

Verlag Herder GmbH, 2016

ISBN: 9783451808463 , 208 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Aber bitte mit Butter - Warum Brot nicht dumm und Fett nicht krank macht


 

Teil 2: Ernährungsregeln – und was sie wirklich wert sind


Nach meinen ersten Recherchen in Sachen gesunder Ernährung fühlte ich mich hin- und hergerissen. Was mir die Experten am Telefon geschildert hatten, klang fast zu schön, um wahr zu sein: Einfach essen, worauf ich Lust habe? So simpel soll das sein? Alles andere ist Humbug? Wie kann es dann aber sein, dass sich gewisse Ernährungsregeln – Vitamine sind wichtig, Vollkorn ist essentiell, Fett ist schlecht – so hartnäckig halten, dass jeder sie zu kennen glaubt, dass eine ganze Industrie darauf baut?

Vom französischen Schriftsteller Anatole France stammt ein Zitat, das mich bei meinen weiteren Erkundungen sehr getröstet hat: »Wenn 50 Millionen Menschen etwas Dummes sagen, bleibt es trotzdem eine Dummheit.« Wenn also Heerscharen von Ernährungsberatern landauf, landab bestimmte Regeln verkünden, macht das diese Regeln nicht wahrhaftiger. Betrachtet man nämlich die Forschungslage, zeigt sich schnell, wie brüchig das Fundament ist, auf dem unsere Ernährungsregeln gründen.

Also nehmen wir die zentralen Botschaften einmal genauer unter die Lupe: Was ist dran an der These, dass wir deshalb so dick und krank sind, weil wir zu fett essen? Sind Kohlenhydrate tatsächlich verantwortlich dafür, dass wir immer dicker und, wie diverse populärwissenschaftliche Bestseller neuerdings behaupten, dümmer werden? Wieso soll Vollkornkost gesünder sein? Wie kompliziert ist es wirklich, genügend Vitamine zu sich zu nehmen?

5. Fett, Cholesterin und der Schwindel mit Lightprodukten


Unter meinen Freunden gelte ich als die Risotto-Königin, weil die italienische Reisspezialität bei mir so besonders gut schmeckt. Unter uns gesagt, das liegt am Fett! Kurz vor Schluss kommt bei mir immer noch mal ein extragroßes Stück Butter in den Topf und sorgt für gesteigerten Genuss.

Fett an sich schmeckt zwar neutral. Aber viele Aromastoffe lösen sich darin und entfalten so ihre Wirkung. Deshalb schmecken Bratkartoffeln viel intensiver, wenn sie in der Pfanne im Fett schwimmen durften. Deshalb riecht die Hühnerbrühe noch verlockender, wenn sie nicht entfettet wurde. Und deshalb sind Light-Joghurts und Magerquark eine etwas freudlose Angelegenheit, verglichen mit ihren fettreicheren Geschwistern.

Trotzdem verkauft sich Fettarmes gut – vielen Menschen ist heutzutage Kalorienbewusstsein offenbar wichtiger als Geschmack. Mein Buttertrick beim Risotto findet deshalb nach Möglichkeit ohne Publikum statt – wenn meine Freundinnen live miterleben würden, welche Menge da auf ihrem Teller landet, wäre das Entsetzen vermutlich groß.

Evolutionär betrachtet ist es gut, dass wir fettes Essen besonders lecker finden. Keine andere Nahrungskomponente bietet eine so große Energiedichte: neun Kilokalorien pro Gramm, das ist mehr als doppelt so viel, wie Kohlenhydrate oder Eiweiß liefern. In Zeiten, in denen Nahrung knapp war und die Beschaffung anstrengend, war es sinnvoll, fett zu essen – so konnten unsere Urahnen mit vergleichsweise wenig Masse schnell satt werden. In unserer Überflussgesellschaft wird uns das leider zum Verhängnis. Der Ernährungspsychologe Thomas Ellrott von der Universität Göttingen hat es in einem Interview kürzlich auf den Punkt gebracht: »Eigentlich schmeckt nur das richtig gut, was viele Kalorien hat. (…) Erst in den letzten 50 Jahren hat sich der Vorteil dieser genetisch verankerten Programme in einen erheblichen Nachteil gewandelt. In so kurzen Zeiträumen kann es keine genetische Anpassung geben.«50

Wer viel Fett isst, läuft Gefahr, zu viele Kalorien in sich hineinzustopfen – so weit klar. Aber ist fettarme Ernährung die Lösung?

Fett durch die Fünfziger


Unsere Wahrnehmung von Ernährung hat viel mit unseren Erfahrungen zu tun. Für die Essgewohnheiten in Deutschland spielten die Hungerjahre nach dem Zweiten Weltkrieg eine ganz entscheidende Rolle. Gerade Kriegskinder haben bis heute ein geradezu erotisch aufgeladenes Verhältnis zu Butter. In den Nachkriegsjahren, zu Zeiten strengster Rationierung, schoben sie hauchdünne Butterschichten auf ihrem Brot mit den Zähnen nach vorne, um beim letzten Bissen wenigstens einmal ein Gefühl von Butter zu erschmecken. Bis heute ist dick Butter auf dem Brot für sie der Inbegriff von Genuss. Wenn meine Großmutter von Butter sprach, durfte das Adjektiv »gut« nie fehlen. »Gebacken mit guter Butter« war ihr Ausdruck höchsten Lobs für die Qualität eines Lebensmittels.

Mit dem Wirtschaftswunder brachen in Westdeutschland fette Zeiten an: Essen konnte gar nicht üppig genug sein. Buttercremetorten, Mayonnaise-Orgien, Sahne-Exzesse – das »Wir sind wieder wer«-Gefühl ging direkt durch den Magen. Doch dann verdarben uns neue Forschungserkenntnisse den Spaß am Überfluss: etwa der US-Forscher Ancel Keys, der in seiner weiter vorne zitierten 7-Länder-Studie herausgefunden haben wollte, dass es einen direkten Zusammenhang gebe zwischen hohem Fettverzehr und hoher Herzinfarktrate.

Wie im Kapitel über die Aussagekraft von Ernährungsstudien schon ausführlich geschildert: Die Studie hat diesen Beweis nur deshalb erbringen können, weil sie sich auf die Daten von den sieben Ländern beschränkte, die Keys’ These stützten. Hätte Keys die Daten aus den insgesamt 22 untersuchten Ländern gleichberechtigt ausgewertet, wäre schon damals klar sichtbar geworden, dass es keinen Zusammenhang zwischen Fettgehalt der Nahrung und Herzinfarkthäufigkeit geben kann. Theoretisch hätte sich, mit den Daten aus entsprechend anders ausgewählten Ländern, auch das Gegenteil belegen lassen.

Der Mythos vom Zusammenhang zwischen Cholesterin in der Nahrung und einem erhöhten Herzinfarktrisiko gehört zu den hartnäckigsten Ernährungsirrtümern. Das liegt daran, dass er immer wieder neu befeuert wurde – von Empfehlungen ohne seriöse Grundlage und von unvollständig zitierten Studien. Das mag auch damit zusammenhängen, dass gerade hier besonders machtvoll vertretene Wirtschaftsinteressen der Pharma- und Lebensmittelindustrie involviert waren und sind. Dabei ist das verteufelte Fett für unseren Körper nicht nur als Geschmacksträger oder in Notzeiten wichtig.

Warum wir auf Fett nicht verzichten können


Ein erwachsener Mensch darf laut den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung 30 Prozent seines täglichen Energiebedarfs aus Fett stillen. Bei einer erwachsenen Frau wären das etwa 660 Kalorien – das entspräche 75 ml Olivenöl, einem 90 Gramm Stück Butter oder dem Fett in 700 Gramm Salami. Wobei die Rechnung natürlich so nicht aufgeht, weil ja in vielen anderen Lebensmitteln, die man im Laufe eines Tages isst, auch Fett enthalten ist. Ich liste das dennoch auf, um deutlich zu machen, dass der Verzehr von Fett an sich erst mal nicht verkehrt ist. Wie Paracelsus schon vor fast 500 Jahren wusste: Die Dosis macht das Gift!

Unsere Fettdepots im Körper haben eine Wärmeschutzfunktion und dienen als Depots in Notzeiten – da muss nicht immer gleich ein Weltkrieg ausbrechen, auch Kranke profitieren davon. Viele Vitamine können vom Körper nur im Zusammenspiel mit Fett verarbeitet werden, weil sie fettlöslich sind. Dazu gehört Vitamin A – deshalb sind in Wasser gedünstete Karotten oder fettfreie Smoothies mit Spinat unter gesundheitlichen Aspekten ziemlicher Unfug. Fette dienen als Zellbaustoff, werden für Stoffwechselfunktionen benötigt und sind ein Baustein für diverse Hormone. Eigentlich ziemlich einfach.

Kompliziert wird die Sache, weil so viele Begrifflichkeiten im Spiel sind: tierische und pflanzliche Fette, gesättigte, ungesättigte und essentielle Fettsäuren, Omega-3, Cholesterin und Transfette. Alle entweder angeblich gesünder oder gefährlicher. Was hat es damit auf sich?

Die verschiedenen Fettarten unterscheiden sich durch ihre Herkunft und ihre chemische Struktur. Gesättigte Fettsäuren kommen vorwiegend in tierischen Erzeugnissen vor und sind bei Zimmertemperatur in aller Regel fest – Butter zum Beispiel oder Gänseschmalz. Bei Bedarf kann unser Körper diese Fettsäuren auch selbst erzeugen. Das Gleiche gilt für die einfach ungesättigten Fettsäuren. Die kommen vor allem in Olivenöl, Rapsöl, Avocados, Nüssen oder Samen vor. Mehrfach ungesättigte Fettsäuren wiederum kann der Körper gar nicht oder nur sehr eingeschränkt herstellen. Sie werden deshalb auch essentielle Fettsäuren genannt. Die beiden wichtigsten Untergruppen sind Omega-3-Fettsäuren – die sind vor allem in Leinöl, Rapsöl, Nüssen und fettreichen Fischsorten wie Lachs, Hering oder Makrele enthalten – und die Omega-6-Fettsäuren – die kommen in den meisten Pflanzenkeimen vor, etwa in Lein-, Distel-, Sonnenblumen- oder Rapsöl. Fette mit einem hohen Anteil an einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren haben einen niedrigen Schmelzpunkt, das heißt, sie sind bei Zimmertemperatur flüssig.

Cholesterin ist gar kein Fett, sondern ein Zellbaustein, der aber immer wieder in Zusammenhang mit dem Cholesterinspiegel gebracht wird. Der läuft im Volksmund auch unter dem Begriff »Blutfettwerte«, deshalb wird Cholesterin oft in einem Atemzug mit Fett genannt. Transfette wiederum sind eine Sonderform ungesättigter Fettsäuren, die bei der unvollständigen Härtung von Pflanzöl entstehen. Diese Transfette kommen eigentlich nur in Industrienahrung vor. Einen Hinweis darauf liefert etwa das Stichwort »Pflanzenfett, teilgehärtet« in der Zutatenliste.

Verwirrt? Kein Wunder! Macht aber nichts! Denn Sie wollen ja nicht Lebensmittelchemiker oder Tütensuppenhersteller werden, sondern einfach nur essen. Und indem Sie ganz...