Alfons Goppel - Landesvater zwischen Tradition und Moderne

von: Stefan März

Verlag Friedrich Pustet, 2016

ISBN: 9783791760896 , 144 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 13,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Alfons Goppel - Landesvater zwischen Tradition und Moderne


 

1   Herkunft und geistige Heimat


»Wir wollen als so genannte Humanisten nicht überheblich werden, […] wir glauben nur, das Reifwerden für die eigentliche Wissenschaft und für die Führungsaufgaben in der Gesellschaft könne vielleicht besser jenseits eines unmittelbaren Nützlichkeitsdenkens vollzogen werden.«

Alfons Goppel

Roahauserer san ma, lasst ma uns nix sag’n


Alfons Goppel erblickte am 1. Oktober 1905 im beschaulichen Dorf Reinhausen, einem heutigen Bezirk der Stadt Regensburg, das Licht der Welt. Seine Eltern waren die seit 1900 verheirateten Zimmerleute Barbara und Ludwig Goppel – sie eine gebürtige Oberpfälzerin, er ein gebürtiger Schwabe. Alfons sollte das vierte von insgesamt neun Kindern sein, die das katholische Ehepaar zwischen 1901 und 1915 bekam – sechs Mädchen und drei Jungen. Vater Ludwig war in Reinhausen zunächst als Bäcker tätig, verdiente den spärlichen Familienunterhalt später als Fabrikarbeiter, christlicher Gewerkschaftssekretär und schließlich als Kreisgeschäftsführer des bayerischen Kriegerbundes. Die von der streng katholischen Großfamilie gelebten Werte sollten Alfons Goppel nachhaltig prägen. Die biografischen Wurzeln des späteren bayerischen Ministerpräsidenten ähneln in vielerlei Hinsicht jenen anderer konservativer Politiker seiner Generation. Etliche maßgebliche Akteure der Nachkriegs- und Wiederaufbauzeit nach 1945 stammten aus einfachen Verhältnissen, was sich nachhaltig auf deren politische Grundhaltung auswirkte.

Die Epoche, in die Alfons Goppel hineingeboren wurde, war gleichermaßen ein Zeitalter des Aufbruchs und eine Endzeit. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeichnete sich Bayern, das seit 1871 ein teilsouveräner Bundesstaat des Deutschen Reiches war, durch einen konstitutionell-parlamentarisch-repräsentativen Mischcharakter aus. Das Königreich verfügte ab 1906 über ein modernes Wahlrecht und wies erhebliche kommunale Handlungsmöglichkeiten sowie eine beachtliche Reformmentalität auf. Der Glanz vieler Friedensjahre, eines kräftigen wirtschaftlichen Aufschwungs, revolutionärer technischer und wissenschaftlicher Neuerungen sowie einer ungeahnten kulturellen Blüte überlagerte sich mit einem tiefgreifenden Wandel gesellschaftlicher, politischer und sozialer Strukturen. Der eklatante Bevölkerungsanstieg, die zunehmende Verstädterung und der beginnende Übergang vom Agrar- zum Industriestaat riefen zahlreiche soziale Probleme hervor. Steigende Bildungs- und Lebensstandards, eine meinungsfreudige Medienlandschaft, selbstbewusste Parteien sowie ein rasanter Wertewandel verstärkten den Wunsch nach mehr politischer Mitbestimmung.

Das am nördlichen Rand Regensburgs gelegene Reinhausen war von diesen Entwicklungen nicht ausgenommen. Das Erscheinungsbild des ursprünglich von Winzern, Fischern und Flößern bewohnten Orts war von kleinen Schopfwalmgiebelhäusern geprägt, die sich entlang des Regenufers aneinander reihten. Das ländliche Dorf wandelte sich in Goppels Kindheit und Jugend jedoch allmählich zu einer Vorstadt mit gemischter Bevölkerungsstruktur, was durch den Bau von Durchfahrtsstraßen, neuen Wohngebieten und Arbeitersiedlungen beschleunigt wurde. Ins Licht der Geschichte dieser »neuen Zeit« war der Ort im Jahr 1892 getreten, als dort auf Initiative Georg von Vollmars auf einem Parteitag die bayerische SPD gegründet wurde.

Die Familie Goppel lebte in bescheidenen Verhältnissen. Der Familienvater Ludwig Goppel hatte versucht, im Ort als Bäcker Fuß zu fassen. Sein Geschäft in der Donaustaufer Straße ging jedoch nicht sonderlich gut, weswegen er sich bald nach einer anderen Verdienstmöglichkeit sowie einer neuen Wohnung für die Familie umsehen musste. Die Kinder hatten ebenfalls nach Kräften zum Haushalt beizutragen: Beim Ährenlesen auf abgemähten Getreidefeldern holte sich der junge Alfons aufgrund der scharfen Stoppeln regelmäßig blutige Zehen. Die kinderreiche Familie hatte es in Reinhausen mitunter auch aus anderen Gründen schwer: Beinahe jedes Mal, wenn wieder Nachwuchs ins Haus stand, wurde den Goppels die Wohnung gekündigt. Innerhalb von 15 Jahren kam es somit zu sieben Umzügen, selbst in der Zeit, als der Vater als Soldat im Ersten Weltkrieg diente. Die endgültige Bleibe der Familie sollte nach dem Krieg ein Reihenhäuschen der Baugenossenschaft Stadtamhof werden, das sogar über einen kleinen Garten verfügte.

 

 

Abb. 1: Familienporträt von Ludwig und Barbara Goppel mit ihren neun Kindern, um 1918; Alfons steht rechts neben seinem Vater

 

Alfons Goppel beschrieb seine Kindheit rückblickend als glücklich und befand, er sei in einer fröhlichen Familie aufgewachsen. Noch Jahrzehnte später assoziierte er mit seinen Kindertagen eine Abfolge unbeschwerter Sommer, behaglicher Adventabende und feierlicher Weihnachtstage, an denen sich die zahlreichen Geschwister über die kleinen Präsente der Eltern freuten. Das Aufwachsen im stark ländlich geprägten Reinhausen, das von Feldern, Wiesen und Gärten umgeben war, bot für die umtriebigen Geschwister etliche Abenteuer, etwa auf »moosüberwachsenen Floßstämmen am Holzgartenufer« oder bei den »brüchigen Eisschollen auf dem winterlichen Fluss«. Goppel schrieb über seine prägenden Jugendjahre: »Wir hatten ja noch so viel mehr Freiheiten […].«

Um das Jahr 1920 war Reinhausen mit etwa 5000 Einwohnern das größte Dorf der Oberpfalz, bis es 1924 – zusammen mit anderen nördlichen Vororten Regensburgs – als Bezirk in die Stadt eingegliedert wurde, die durch diese Eingemeindungen zur fünftgrößten Bayerns wuchs. Die neuen Stadtbezirke profitierten von höheren Sozialleistungen und erheblichen Investitionen in die Infrastruktur, vor allem in den Bereichen der Verkehrswege, des Schulwesens sowie der Wasserver- und -entsorgung. Das trotzig-stolze Reinhausener Heimatlied des ehemaligen Religionslehrers von Alfons Goppel beginnt mit den Worten »Roahauserer san ma, lasst ma uns nix sag’n« und widmete der Eingemeindung folgende Zeilen: »Rengnschburg steht scho 1000 Joar / und is allweil vorn / aber Großstadt is halt erst / durch Roahausn worn.«

Zwar gingen infolge der Eingemeindung lokale Überlieferungen verloren oder gliederten sich in eine größere Regensburger Tradition ein, die Identität Reinhausens blieb jedoch so stark, dass im Jahr 1958 die 950-Jahr-Feier des ehemaligen Dorfes begangen wurde. Goppel, der inzwischen bereits bayerischer Innenminister war, hielt zu diesem Anlass eine Festansprache mit dem Titel »Heimat, Mitte des Lebens«. Seiner engeren Heimat blieb er zeitlebens eng verbunden, wenngleich ihn Studium und Beruf von dort wegführen sollten und der Regierungsbezirk Unterfranken später für lange Zeit zu seiner politischen Heimat wurde.

Schuljahre in aufgewühlten Zeiten


Als der Erste Weltkrieg im Sommer 1914 ausbrach, war Alfons Goppel noch nicht einmal neun Jahre alt, erlebte diese Zeit als Kind und Jugendlicher an der Heimatfront aber bewusst. Hunderttausende junge Männer waren an die Front geschickt worden – darunter auch Vater Ludwig – und fehlten der heimischen Landwirtschaft. Da Reinhausen am Rande der Stadt lag, wuchs Alfons zwar auf dem Land auf, besuchte aber ab 1911 die Volksschule in Regensburg und schließlich das dortige humanistische Gymnasium. Der Krieg beeinträchtigte auch den Schulbetrieb am traditionsreichen Königlichen Alten Gymnasium erheblich; so befanden sich im Jahr 1918 vier Lehrer und 88 Schüler im Kriegsdienst. Zudem wurde während der Sommermonate ein Teil der Schüler zum landwirtschaftlichen Hilfsdienst verpflichtet. Schließlich musste das Schulgebäude sogar für die Militärbehörde geräumt werden; der Unterricht fand vorübergehend in den Räumen der Kreisoberrealschule statt.

Die anfängliche patriotische Begeisterung der bayerischen Bevölkerung verflog rasch. Die Fronten in Frankreich und Russland erstarrten im Stellungskrieg und ein Ende war auch nach Monaten nicht in Sicht. Zunehmend wurde die Versorgungslage der Zivilbevölkerung in der Heimat prekärer. Knapp 200 000 bayerische Landeskinder bezahlten ihren Militärdienst schließlich mit dem Leben, über 430 000 weitere wurden verwundet. Später schrieb Goppel, während des Krieges seien er und seine Altersgenossen »in die Erregung und Trauer der Großen einbezogen [worden], wenn es um Verlustlisten ging und ums Sammeln von notwendigen Ersatzgegenständen«.

Die Stimmung in der Heimat schlug im Verlauf der viereinhalb Kriegsjahre dramatisch um und führte zu Streiks und Unruhen. Im November 1918 stürzte die Monarchie schließlich in der Revolution. Der 13-jährige Alfons erlebte von Reinhausen aus, wie sich der nun republikanisch verfasste Freistaat Bayern nach den Monaten politischer Unruhen, blutiger Straßenkämpfe, Revolutionen und Gegenrevolutionen bis Mitte 1919 endlich konsolidierte. Hatten die bayerischen Föderalisten zunächst gehofft, die Rechte der Einzelstaaten in der ersten deutschen Demokratie – der so genannten »Weimarer Republik« – zu stärken, so zeigten die Verhandlungen um die Reichsverfassung, dass nicht einmal der bisherige Besitzstand gehalten werden konnte.

Goppel wurde in dieser aufgeladenen Atmosphäre auch durch das lokale öffentliche Engagement seines Elternhauses für gesellschaftspolitische Fragen sensibilisiert. Für seinen Vater bot sich durch eine Parteineugründung eine politische Heimat: Im November 1918 hatte sich in Regensburg die föderalistisch orientierte, christlich-konservative Bayerische Volkspartei (BVP) vom Zentrum abgespalten. Ludwig Goppel war in der Folgezeit unter anderem als Fraktionsvorsitzender der BVP in Reinhausen...