Die Produktion gesellschaftlicher Unbewusstheit. Eine neue Anthropologie, Sprachphilosophie, Erkenntnistheorie und Gesellschaftsphilosophie

von: Hans Tessar

Diplomica Verlag GmbH, 2008

ISBN: 9783836610476 , 256 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: frei

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Preis: 43,00 EUR

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Die Produktion gesellschaftlicher Unbewusstheit. Eine neue Anthropologie, Sprachphilosophie, Erkenntnistheorie und Gesellschaftsphilosophie


 

Kapitel 2.A, Versuch einer Annäherung an das Wesen der Schizophrenie:

Die Schizophrenie kann als unübliche Wahrnehmung der Daseinswirklichkeit umschrieben werden. So reflektiert der Schizophrene z.B. „Dinge“ (=Aspekte) bzw. Zusammenhänge der Daseinserfahrungen in einer anderen Weise, als sie gemeinhin wahrgenommen werden (wie etwa einen Tisch als Flugzeug oder bekannte Personen als andere oder bestimmte eigene Körperwahrnehmungen nicht als eigene).

Im Grunde kann man sich die Wirklichkeitswahrnehmung eines Schizophrenen derart vorstellen, daß er die von ihm wahrgenommenen Sinnesempfindungen und die damit verbundenen Emotionen und Wahrnehmungen in einer anderen Weise als üblich miteinander in einen Kontext bringt, wobei es zumindest als denkmöglich erscheinen muß, daß ein Schizophrener auch manche Empfindungen wahrnimmt, die ein „Normaler“ nicht zu sehen, fühlen etc. in der Lage ist, so z.B. wenn ein Schizophrener Stimmen etc. identifiziert, welche für einen „Normalen“ nur als Einbildungen klassifizierbar sind.

Verallgemeinernd könnte man also sagen, daß Schizophrene eine andere Logik haben als wir und insofern andere Phänomene als wir wahrnehmen bzw. diese anders strukturieren. Der Schizophrene nimmt folglich eine Realität wahr, welche für unsere Logik als widersprüchlich bzw. unwahr zu qualifizieren ist.

Auch die im ersten Augenblick als wirr erscheinenden Handlungen eines Schizophrenen weisen eine Logik auf. Diese unterscheidet sich aber von der Logik eines „Normalen“ dadurch, als sie einem Leitmotiv gerecht werden (wie z.B. Größenphantasien oder Verfolgungsgefühle), welches im Leben eines „Normalen“ einen nicht so zentralen Stellenwert einnimmt. Aus dem Blickwinkel dieses Leitmotivs heraus betrachtet, erscheint es dagegen allenfalls auch einem „Normalen“ möglich, die Wahrnehmungen und Verhaltensweisen des Schizophrenen als in sich „schlüssig“ anzuerkennen.

2. Schizophrene Strukturen in der Gesellschaft:

Im Grunde scheint jede Gesellschaft notgedrungenerweise schizophrene Strukturen aufzuweisen, wobei ich in diesem Zusammenhang „schizophren“ als eine Realität, welche trotz ihrer Widersprüchlichkeit in ihrer Widersprüchlichkeit nicht wahrgenommen wird, umschreiben würde. Daraus folgt, daß jeder Mensch zumindest in dem Maße schizophren ist, als er genötigt ist, sich mit den gesellschaftlich tabuisierten (=verdrängten) Widersprüchlichkeiten zu arrangieren.

Der Schizophrene könnte (infolge seines im Vergleich zur Mehrzahl der übrigen Personen einer Gesellschaft anders gelagerten schizophrenen Umgangs mit den gesellschaftlichen Widersprüchen) daher unter Umständen sohin auch als besondere Verdeutlichung dessen, was in der je konkreten Gesellschaft unbedacht (bzw. ins Nichtwahrgenommene verdrängt) der Fall ist, betrachtet werden.

Es scheint, daß die Weise, wie ein „Normaler“ sich mit den Widersprüchlichkeiten der Gesellschaft arrangiert, dem Verhaltensmuster eines Schizophrenen nicht unähnlich ist, die Verhaltensmuster der „Normalen“ eigentlich ebenso als schizophren zu werten sind, werden doch gelebte Widersprüchlichkeiten dadurch negiert bzw. nicht wahrgenommen, als jeder Daseinsvollzug als mit seinem Offenheitsbereich unter ein bestimmtes Leitmotiv gestellt (und somit als einseitig oder perspektivisch verfälscht reflektiert) beschrieben werden kann. Diesem Leitmotiv gemäß wird nun jede individuell erlebte bzw. wahrgenommene Wirklichkeit – der jeweiligen Logik dieses Leitmotivs entsprechend – geordnet (und wird sohin als Daseinserfahrung dem Inidividuum zugänglich), sodaß letztlich nur mehr dem Leitmotiv entsprechend wahrgenommen bzw. reflektiert wird, daher nur die der jeweiligen Motivationslage dienlichen bzw. diese bedrohenden Phänomene wahrgenommen und reflektiert werden. Es gelangt folglich nur das ins Bewußtsein, was ins Konzept paßt, mit dem Ziel, sich -um gleichsam nicht aus dem Konzept gebracht zu werden- der restlichen Daseinswirklichkeit zu verschließen, diese sohin ins Unbewußte zu verdrängen.