Die Chronik der Polen des Magisters Vincentius

von: Eduard Mühle

wbg Academic in der Verlag Herder GmbH, 2014

ISBN: 9783534725564 , 424 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 63,99 EUR

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Die Chronik der Polen des Magisters Vincentius


 

INCIPIT PROLOGVS |SVP[ER] CRONICAM POLONORVM VINCENCII CRACOVIEN[SIS] EP[ISPCOP]I|1


[1] (1) Tres tribus ex causis theatrales oderunt sollempnitates; primi nomen Codrus, secundi Alcibiades, tertii Diogenes. Codrus quia pauper et pannosus habitu2, secundus quia specie preinsignis, tertius quia et morum uenustate conspicuus et animi erat grauitate fecundus. Primus ne ridiculam per se pauperiem omnium exponeret ridiculo; secundus ne fascinni reciperet in se periculum; tertius ne castissimam prudentie maiestatem scurrili prostitueret incestui. (2) Maluit enim Codrus aliorum sibi subtrahere spectacula, quam de se aliis despicabile prebere spectaculum, quia nullum est inter purpuras et pannositatem sodalitii fedus. Elegit etiam Alcibiades potius domi delitescere inglorius, quam forme dispendio de forma gloriari, quia nihil tam naturaliter est conspicuum, quod lippientis oculis non uideatur inuidie. Rursus censuit Diogenes uulgi consortia dedignari prudentiam, quia satius est solitudine uenerari quam familiaritate contempni.

 

ES BEGINNT DIE VORREDE ZUR CHRONIK DER POLEN DES BISCHOFS VINCENTIUS VON KRAKAU1


[1] (1) Drei [Männer] hassten aus dreierlei Gründen theatralische Feierlichkeiten; der Name des ersten war Codrus, des zweiten Alcibiades, des dritten Diogenes. Codrus, da er seiner äußeren Erscheinung nach arm und zerlumpt war2; der zweite, da er durch Schönheit besonders ausgezeichnet war; der dritte, da er sowohl durch die Anmut seines Benehmens ins Auge stach als auch an Geistesstärke reich war. Der erste, um seine an sich schon lächerliche Armut nicht dem Gelächter der Allgemeinheit auszusetzen; der zweite, um nicht die Gefahr der Betörung auf sich zu ziehen; der dritte, um die züchtigste Würde der Klugheit nicht der possenhaften Unzucht preiszugeben. (2) Denn Codrus wollte sich lieber den Anblicken der anderen entziehen, als ihnen verächtlich von sich ein Schauspiel bieten, gibt es zwischen Purpur und Lumpen doch kein Freundschaftsbündnis. Auch Alcibiades zog es vor, sich ruhmlos zuhause zu verbergen, anstatt sich bei Verlust der Wohlgestalt seiner Wohlgestalt zu rühmen; denn nichts ist von Natur aus so ausgezeichnet, dass es nicht aus den Triefaugen der Missgunst betrachtet werden kann. Diogenes wiederum schätzte die Klugheit, die gewöhnlichen Gesellschaften des Pöbels zu meiden, da es ziemlicher ist, in Einsamkeit verehrt als im vertrauten Umgang verachtet zu werden.

 

[2] (1) Et huius quidem pagelle rudis macies, ieiuna ruditas ab Alcibiadis est curiositate secura; superstitiosus enim est fascinni timor nec habet deformis, quid de forme existimatione perdat. Set nec Diogenis nos licet diuina urget sententia, quibus nec stillantis guttulam gratiole prudentia indulsit. Codri dumtaxat, Codri territamur imagine, cum publicis assidentium exposita insidiis nostra tenuitas nec etiam pannosum, quo pudori consuleret, habeat amiculum. (2) Non enim adolescentularum inter Musas collasciuire choris, set sacri senatus assistere tenemur suggestui; non umbratiles palustrium harundines, set aureas patrie columpnas, non puppas fictiles, set ueras patrum effigies de sinu obliuionis, de ebore antiquissimo iubemur excidere; immo diuine lampades lucis in arce regia arcemur appendere et bellicis inter hec insudare tumultibus.

 

[2] (1) Nun aber sind die Blättchen dieses [Schreibers] zwar von kunstloser Dürre und ihre nüchterne Unwissenheit ist vor dem Vorwitz des Alcibiades sicher; denn abergläubisch ist die Furcht vor Betörung und es gilt keineswegs als unschön, was nach öffentlicher Meinung seine Schönheit verliert. Und auch Diogenes quält uns nicht mit seinem wenn auch göttlichen Urteil, hat uns die Klugheit doch nicht einmal ein winziges Tröpfchen ihrer Huld gewährt. Nur des Codrus, des Codrus Bild schreckt uns, weil unsere Schlichtheit der Öffentlichkeit und den Nachstellungen der Beistehenden ausgesetzt wird, sie aber nicht einmal ein zerlumptes Mäntelchen hat, mit dem der Scham abgeholfen werden könnte. (2) Denn nicht unter den Musen sollen wir in den Chören der Jungfrauen umherhüpfen, sondern der Beratung des heiligen Senats beistehen; nicht schattiges Sumpfrohr, sondern goldene Säulen des Vaterlandes, nicht tönerne Puppen, sondern wahre Bilder der Väter aus dem Schoß des Vergessens, aus ältestem Elfenbein herausschneiden; ja gewiss werden wir [nicht] abgehalten, Lampen göttlichen Lichts in der königlichen Burg aufzuhängen und zwischen ihnen durch kriegerische Tumulte ins Schwitzen zu geraten.

 

[3] (1) Set aliud est quod incircumspectione precipiti, quod ostentationis libidine, quod questus esurie presumitur et aliud quod imperatrix obsequele necessitas infligit.3 Non enim ea me scribendi cathetes4 exagitat, non ea gloriole instimulat ambitio, non lucelli rabies inflammat, ut post totiens expertas pelagi delicias, post totiens uix enatata laborum naufragia rursus in eisdem delecter Syrtibus naufragari. Non nisi namque asini palato pro lactucis sapit carduus nec nisi prorsus insipiens suauitate capitur insipida.

 

[3] (1) Aber das eine ist, was man sich in überstürzter Unvorsicht, was aus Prahlsucht, was aus Gewinnsucht anmaßt, ein anderes, was die Gebieterin des Gehorsams als Notwendigkeit aufträgt.3 Denn nicht die Schreibsucht4 hat mich aufgehetzt, nicht die Ruhmsucht angestachelt, nicht die Gewinnsucht entflammt, damit ich nach so oft erfahrenen Vergnügungen des Meeres, nach so oft kaum überstandenen Schiffbrüchen Gefallen daran finde, in ebendiesen Syrten von neuem Schiffbruch zu erleiden. Denn wem, wenn nicht dem Gaumen des Esels, schmeckt anstelle des Lattich die wilde Distel, wer, wenn nicht ein völliger Tor, hält Ungenießbares für eine Annehmlichkeit.

 

[4] (1) Set iniusta est iuste preceptionis declinatio. Intellexit nimirum strennuissimus principum omnimode strennuitatis experimenta, omnimoda honestatis insignia ex maiorum exemplaribus uelut ex quibusdam speculis resultare. Certius siquidem iter carpitur duce preuio, luce preambula et uenustior est effigies morum, quam uenustas prefigurat exemplaris. (2) Auitarum itaque uirtutum posteris dilargiens participium, calamo fragili, axi harundineo, humeris Pygmei onus inposuit Athlanteum, non alia forte persuasus ratione, nisi quod auri rutilantia, quod gemmarum nitor artificis ruditate non uilescit, sicut et sidera teterrimis Ethiopum demonstrata digitis non furuescunt, nec subtilis esse artificis, si ferrum purgatur a rubigine, si aurum eliquatur a scoria. (3) Quia igitur stultum est luctari cum onere, quod declinari non potest,5 enitar pro uiribus, dummodo me talium consequatur comitiua, qui huius auspiciis itineris dulci corculo confaueant, qui et casum in precipiti et lapsum non mirentur in lubrico, quorum aggratulatione socia nec onus sit oneri nec dispendium uideatur dispendio. In uia enim iocunda societas est uie uehiculum.6 (4) Illud denique aput omnes precor esse inpetratum, ne omnibus passim de nobis detur iudicium, set eis dumtaxat quos ingenii elegantia uel urbanitatis commendat claritudo, ne cui nos prius liceat despicere quam perdiligentissime dispexisse. Non enim sapit gingiber nisi masticatum nec est aliquid quod in transitu delectet, set est inciuile re inperspecta de re iudicare.7 Qui ergo parce laudat, parcius uituperet.8

 

[4] (1) Doch ist die Ablehnung eines gerechten Befehls unrecht. Der tüchtigste der Fürsten [Kasimir II.] hat nämlich verstanden, dass jegliche Proben der Tüchtigkeit, jedwede Zeichen der Ehre aus den Beispielen der Vorfahren wie aus Spiegeln zurückspringen. Denn durch den vorausgehenden Führer wird der Weg wie durch ein vorausleuchtendes Licht zuverlässiger markiert und anmutiger ist ein Bildnis der Sitten, das von der Anmut des Vorbilds hervorgehoben wird. (2) Daher hat er der zerbrechlichen Schreibfeder, einem aus Schilfrohr bestehenden Wagen, der Schulter eines Zwerges die Last des Atlas aufgebürdet, der Nachwelt die großväterlichen Verdienste reichlich darzulegen – vielleicht aus keinem anderen Grund als der Überzeugung, dass der Goldschein des Goldes, der Glanz der Edelsteine durch die Unwissenheit des Kunsthandwerkers nicht wertlos werden, so wie auch die Sterne nicht dunkel werden, wenn die hässlichen Finger der Äthiopier nach ihnen zeigen; und es bedarf nicht des subtilen Kunsthandwerkers, um das Eisen vom Rost zu reinigen, das Gold von der Schlacke zu befreien. (3) Da es also töricht ist, mit einer Bürde zu ringen, die sich nicht abweisen lässt5, werde ich mich nach Kräften bemühen, möge mich nur eine Gefolgschaft begleiten, die die Aussichten dieses Weges mit geneigtem Sinn begünstigt, die sich nicht über ein Straucheln in steiler Höhe, einen Fehltritt auf schlüpfriger Stelle wundert und durch deren verbündete Freudenbezeugung die Bürde nicht als Bürde, die Beschwerlichkeit nicht als Beschwerlichkeit erscheint. Unterwegs ist eine frohe Gesellschaft das beste Fahrzeug.6 (4) Schließlich bitte ich alle darum, nicht jedem fortwährend über uns ein Urteil zu gestatten, sondern nur denjenigen, die der Kunstsinn der Begabung und der Ruhm der Bildung [dazu] empfehlen. Niemandem...