Negro - Die Untersuchung einer schwarzen Identität in Brasilien als ethnische Identität

von: Romy Powils

Diplomica Verlag GmbH, 2009

ISBN: 9783836620277 , 98 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: frei

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Preis: 33,00 EUR

Mehr zum Inhalt

Negro - Die Untersuchung einer schwarzen Identität in Brasilien als ethnische Identität


 

Kapitel 4, Gemeinsame Geschichte/gemeinsamer Ursprung:

Ferreira geht bei dem gemeinsamen Ursprung der Afrobrasilianer v. a. von dem gemeinsamen afrikanischen Ursprung aus, da die ehemaligen afrikanischen Sklaven eine entscheidende Rolle sowohl bei der Herausbildung der Wissenschaft und Kultur als auch der Verhaltensweisen und der Umgangsformen der Brasilianer hatten.

44,3 Prozent der Brasilianer sind laut Statistik afrikanischen Ursprungs, was Brasilien zu dem Land mit den meisten afrikanisch-stämmigen Einwohnern außerhalb Afrikas werden lässt. Im Vergleich zu anderen amerikanischen Ländern besaß Brasilien die meisten afrikanischen Sklaven, nach Schätzungen drei bis sechs Millionen.

Die Sklaverei begann Ende des 15. Jahrhunderts und endete 1888. Somit war Brasilien das letzte christlich geprägte Land, das die Sklaverei abschaffte.

Die genaue Herkunft der Sklaven wird noch immer kontrovers diskutiert, aber es wird allgemein davon ausgegangen, dass sie aus den Regionen um den Golf von Guinea und dem Kongo stammen und drei verschiedenen ethnischen Volksgruppen angehören: der islamisierten afrikanischen Kulturgruppe, der kongo-angolanischen Gruppe und der sudanesischen Gruppe.

Kapitel 4.1, Die Sklaverei: Die Sklaven arbeiteten anfangs vor allem auf Zuckerrohrplantagen, später auch in Minen, auf Kaffeeplantagen und Viehfarmen. Einige von ihnen waren als Hausangestellte oder im Fischfang tätig oder halfen den Sklavenbesitzern beim Verkauf ihrer Waren. Der von extremen körperlichen Anstrengungen geprägte Alltag der Plantagensklaven unterschied sich wesentlich von demjenigen der spezialisierten Handwerker- und Dienstbotensklaven, die im städtischen Umfeld über weit größere Bewegungsfreiheiten verfügten.

Die im Herrenhaus (casa grande) tätigen Haussklaven stellten eine Elite unter der Sklavenbevölkerung dar. In einigen Fällen gelang es ihnen, eigene wirtschaftliche Aktivitäten zu entwickeln und sich damit in freien Stunden etwas Geld zu verdienen. Mit diesem Geld schafften sie es, sich nach gewisser Zeit freizukaufen, was in Brasilien einfacher war als in den USA. Die Chancen, den so genannten Sklavenfreibrief (carta de alforria) zu erhalten, hingen letztlich immer vom Verhältnis ab, das zwischen dem Sklavenherrn, dem senhor, und dem Sklaven bestand.

Die besten Chancen auf einen Sklavenfreibrief hatten die Leihsklaven, die meist einen Teil des sich verdienten Geldes für sich behielten und auf diese Weise Geld für den Freikauf ansparen konnten. Ein Großteil der Sklavenfreibriefe enthielt eingeschränkte Klauseln, die den Sklaven zu demütigem Verhalten und meist zu jahrelangen kostenlosen Dienstleistungen für die Familie des Sklavenhalters verpflichteten. Eine Wiederversklavung war möglich.

Der Besitz von Sklaven galt lange Zeit als ein Symbol für Reichtum und Wohlstand und stellte insofern für Menschen der verschiedensten Gesellschaftsschichten so etwas wie einen sozialen Wert dar. Nicht nur kirchliche Institutionen hielten Sklaven, auch befreite Sklaven strebten danach, sich möglichst einen oder mehrere Sklaven zu kaufen.

Bereits im 16. Jahrhundert wurden erste Fluchtversuche der Sklaven dokumentiert. Die erste Sklaven-Siedlung, sog. Quilombo, entstand 1575 in Bahia und gab den Flüchtlingen ein Ziel und eine reelle Chance, außerhalb der Plantagen zu überleben.

Diese Quilombos besitzen bis heute einen wichtigen Symbolgehalt für die brasilianische Schwarzenbewegung, weshalb diese näher erklärt werden.

Kapitel 4.1.1, Quilombos: Der Begriff kilombo kommt aus der Bantu-Sprache Umbundo des heutigen angolanischen Sprachraums. Über die Bedeutung des Wortes herrscht noch keine Einigkeit unter den Sprachwissenschaftlern. Die einen gehen davon aus, dass sich dahinter eine Ansammlung von Hütten verbirgt, die anderen gehen von einer soziopolitischen militärischen Vereinigung von Menschen aus. Die Quilombos lagen in unzugänglichen Gebieten, wo sich die entlaufenen Sklaven von Ackerbau, Jagd und Fischfang ernährten. Gebrauchsgegenstände, insbesondere Waffen, die in den Quilombos nicht hergestellt werden konnten, besorgten sich die sog. Quilombolas bei Überfällen auf benachbarte Dörfer. In den meisten Quilombos entwickelten sich im Laufe der Zeit Organisationsstrukturen mit einer zentralen Entscheidungsinstanz an der Spitze.

Laut Gomes und Munanga blieben die Quilombos am längsten bestehen, die sich in den isoliertesten Gegenden befanden und sich mit Indianern, armen Weißen und anderen Bevölkerungsgruppen verbündeten. Gomes und Munanga wenden sich gegen die Bezeichnung, dass Quilombos ein Fluchtort für geflüchtete Sklaven seien. In ihren Augen sollte es mehr als ein Ort angesehen werden, wo versklavte Schwarze brüderlich und frei zusammenlebten, um ihre Würde aufrechtzuerhalten und gegen die Sklavenherrschaft zu kämpfen und zu rebellieren.

Tratava-se de uma reuniao fraterna e livre, com lacos de solidariedade e convivencia resultante do esforco dos negros escravizados de resgatar sua liberdade e dignidade por meio da fuga do cativeiro e da organizacao de uma sociedade livre. Os quilombolas eram homens e mulheres que se recusavam viver sob o regime da escravidao e desenvolviam acoes de rebeldia e de luta contra esse sistema.

Im Hinterland des heutigen Bundesstaates Alagoas im Nordosten Brasiliens befanden sich die berühmten Quilombos de Palmares, die wegen ihrer Größe und Resistenz in die Geschichte Brasiliens eingegangen sind. Ihr Anführer Zumbi ist zum wichtigsten Helden der brasilianischen Schwarzenbewegung geworden.

Palmares entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem prosperierenden Staat im Staate. Auf den urbar gemachten Böden wurde Mais, Bohnen, Maniok, Zuckerrohr, Kartoffeln und Bananen angebaut. Alles war Gemeinschaftseigentum und wurde von allen bestellt. In seiner Blütezeit sollen zwischen 20.000 und 30.000 Menschen in dem 27.000 Quadratkilometer großen Gebiet gelebt haben. Nach fast hundertjähriger erfolgreicher Verteidigung gegen zahlreiche Angriffe der portugiesischen Truppen wurde Palmares 1694 innerhalb kürzester Zeit durch den Einsatz von Kanonen dem Erdboden gleichgemacht.

Der Fall von Palmares wurde mit einem sechstägigen Fest gefeiert. Der damalige Anführer Zumbi überlebte zwar diesen Angriff, wurde jedoch ein Jahr später verraten und am 20. November 1695 getötet. Sein Kopf wurde auf einer Lanze aufgespießt und in Recife, der heutigen Hauptstadt des nordöstlichen Bundesstaates Pernambuco, zur Schau gestellt. Der Todestag Zumbis wurde 1979 von der Schwarzenbewegung Movimento Negro Unificado (MNU) (Vereinigte Schwarzenbewegung) (siehe Kapitel 4.4.1) zum Dia da Conciencia Negra (Tag des Schwarzen Bewusstseins) ausgerufen. Damit protestierte sie gegen den offiziellen Feiertag der Abschaffung der Sklaverei, den 13. Mai.

Heute feiern verschiedene Gruppen der brasilianischen Schwarzenbewegung den 20. November mit Protestmärschen, Diskussionsrunden, Capoeira (siehe Kapitel 5.1.1) und Tanzveranstaltungen. Auf Initiative der afrobrasilianischen Senatorin Benedita da Silva wurde der Name Zumbi 1996 in das Buch der Helden des Vaterlandes (Livro dos Herois da Patria) aufgenommen.

Bis heute gibt es in unterschiedlichen Regionen Brasiliens Dörfer und Städte mit überwiegend dunkelhäutiger Bevölkerung, die auf Quilombos zurückgehen. In einigen haben sich sprachliche und kulturelle Eigenheiten ihrer Vorfahren erhalten. Die 1988 erneuerte Verfassung garantiert den Quilombolas, die bis dahin noch immer illegal auf den jeweiligen besetzen Gebieten lebten, die Anerkennung ihrer Ansprüche auf das Land.

Die Fundacao Palmares (Palmares-Stiftung) wurde ins Leben gerufen, um die Umsetzung dieser Verfassungsneuregelung in die Wege zu leiten. Unter dem damaligen Präsidenten Cardoso wurden die ersten Quilombos legalisiert. Die Fundacao Palmares hat inzwischen 724 Quilombo-Gebiete registriert, in denen rund zwei Millionen Menschen leben. Bis 2003 wurden 32 davon rechtlich anerkannt und 18 haben die endgültigen Landrechte bekommen.

Sansone beschreibt weiterhin das Bild der Schwarzen, wie sie seiner Meinung nach in den Perioden während und nach der Sklaverei gesehen wurden.

Während der Sklaverei war der Status des Sklaven wichtiger als sein Aussehen. Der Status wurde in verschiedene Kategorien eingeteilt: escravos (Sklaven), escravos alforriados (freigekaufte Sklaven), filhos de escravos nacidos livres (freigeborene Nachkommen von Sklaven) e mulatos (Mulatten – Nachkommen der Vermischung von Schwarzen und Weißen). Außerdem war wichtig, ob sie in Afrika oder Brasilien (sog. Crioulos) geboren waren. Diejenigen, die in Afrika geboren waren, wurden gezwungen, die härtere Arbeit zu verrichten.

Nach der Abschaffung der Sklaverei wurde der Status durch das Aussehen bestimmt und nicht mehr durch den afrikanischen Ursprung oder den Status des ehemaligen Sklaven."