Das Geheimnis der Bäume

von: Gerd Haerkötter, Marlene Haerkötter

Anaconda Verlag, 2016

ISBN: 9783730691304 , 320 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 3,99 EUR

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Das Geheimnis der Bäume


 

Biologie und Ökologie des Baumes


Wie lebt der Baum?


Ich höre schon alle sagen, ein Baum,
was ist das schon,
ein Stamm, Blätter, Wurzeln,
Käferchen in der Rinde und eine
manierlich ausgebildete Krone, wenn’s
hochkommt – na und?

(Jurek Becker)

Wie alle Pflanzen sind auch Bäume autotroph, d. h. sie sind »Selbstversorger« und nicht auf die Hilfe anderer Lebewesen bei der Nahrungsversorgung angewiesen. Sie benötigen lediglich Kohlendioxid, Wasser, einige Mineralien und das Sonnenlicht, um »satt« zu werden, besser gesagt, um ihren Energie- und Baustoffbedarf zu decken. Dies geschieht durch die Photosynthese, bei der aus einfachen chemischen Bausteinen komplizierte, energiereiche Moleküle wie Zucker, Stärke, Zellulose, Eiweiß und Fett aufgebaut werden. Dieser für das gesamte Leben auf der Erde grundlegende Vorgang spielt sich in den Blättern aller grünen Pflanzen ab, weil das Blattgrün (Chlorophyll) die Energie des Sonnenlichtes einzufangen und in chemische Energie umzuwandeln vermag.

Bäume nehmen in der Pflanzenwelt im Laufe der Evolution eine Sonderstellung ein, da sie eine um vieles größere Blattoberfläche ausbilden als andere Pflanzen – ein Baum kann bis zu 1000 Quadratmeter Blattoberfläche erreichen – und dieses Blätterdach zur Energiegewinnung weit nach oben heben, wo ihm kein Konkurrent das lebensnotwendige Sonnenlicht streitig macht. Daher beherrscht überall dort, wo genügend Wasser, mineralische Nährstoffe und Wärme vorhanden sind, der Baum die Szene.

Auch andere Pflanzen wollen hoch hinaus. Sie schaffen an Höhenwachstum in einem Jahr viel mehr als Bäume (Sonnenblume, Mais u. a.); sie sterben aber im Herbst ab und nutzen diesen Vorteil nicht auf Dauer. Bäume wachsen zwar langsamer, dennoch sind sie effizienter, weil sie in jedem Jahr auf bereits Erbrachtem aufbauen können.

Damit Bäume alljährlich weiterwachsen können, müssen die Fragen der Stabilität und des Stofftransports gelöst sein. Die Bäume können ihre blattreiche Krone nur dann in großer Höhe ausbreiten und tragen, wenn sie über einen außergewöhnlichen Unterbau verfügen. Dieser Unterbau, der Stamm, ist im Kern tot. Das eigentliche Leben des Baumes spielt sich unmittelbar unter der äußeren Oberfläche des Stammes ab. Sowohl Stamm, Astwerk als auch Wurzeln werden von einem Zellgürtel umgeben, der so dünn ist, daß man ihn mit bloßem Auge gar nicht sehen kann: das Kambium. Die Kambiumzellen behalten zeitlebens die Fähigkeit, sich zu teilen; aus diesem Teilungsprozeß gehen die Bauelemente des Baumes hervor. Sie lagern jedes Jahr neue Holzzellen an ihrer Innenseite ab und vergrößern damit den Umfang des Stammes (»Jahresringe«). Das so nach innen abgelagerte »Holz« besteht in der Hauptsache aus Zellulose und Lignin; erstere gewährleistet eine genügende Zugfestigkeit, letzteres ist für ausreichende Druckfestigkeit im Gesamtverband des Stammes und der Äste verantwortlich. Beide Eigenschaften wirken zusammen und geben dem Holz wie kaum einem anderen Material seine hohe Stabilität und eben auch die Möglichkeit, das mächtige Blätterdach zu tragen und den Biegekräften von Wind und Sturm zu widerstehen.

Das Kambium muß zudem ständig neue Innenrinde (Phloem) produzieren. Wächst das Phloem zu stark an, so wird die nach außen gerichtete Spannung auf die Baumrinde so stark, daß sie schließlich platzt, in der Rinde entstehen Risse. Diese Wunden werden aber sofort wieder geschlossen. Schon vorbereitete dickwandige Zellen flicken die Risse und liegen nun als Pflaster auf der Wunde, es entsteht die Borke.

In der schmalen Zone zwischen Rinde, Kambium und neugebildetem Holzteil (Xylem) ist das gesamte Leitungssystem eines Baumes untergebracht. Der »Saft« (Wasser mit den darin gelösten Nährstoffen) steigt im jungen Holz, also auf der Innenseite des Kambiums, hoch. In den Leitungsbahnen des Phloems fließt ein anderer »Saft« zurück, der enthält die in den Blättern gebildeten Kohlenhydrate und andere Produkte der Photosynthese.

Wie kommt es zum Saftstrom nach oben? Früher war man der Meinung, die Wurzeln drückten die Wassersäule hoch, eine Erklärung dafür blieb man schuldig. Die Wurzeln kurbeln zwar im Frühjahr den Kreislauf an, aber die eigentliche Regulierung des Wasserstroms übernehmen die Blätter. Ihre große Oberfläche und ihr besonderer Bauplan setzen sie in die Lage, viel Wasserdampf abzugeben, so daß der Innendruck (Turgor) in den Blattzellen sinkt. Sie müssen sich per Osmose neues Wasser besorgen, die Nachbarzellen werden angezapft. Die wiederum versorgen sich aus ihren Nachbarzellen, und so pflanzt sich die Wassersuche fort, bis die feinsten Ausläufer des Xylems erreicht sind. Dort besteht unmittelbarer Anschluß an die Hauptwasserleitung, die das Wasser aus den Wurzeln hochzieht. Das geschieht nach einem anderen physikalischen Prinzip. In der Hauptleitung steht eine zusammenhängende Wassersäule, der »Wasserfaden«: Er wird im Normalfall nicht abreißen, da Kohäsionskräfte die Wassermoleküle aneinanderbinden. Geschieht das trotzdem, indem z. B. Luft in das Röhrensystem gelangt, so ist der Wasserstrom unterbrochen. Das ist der Grund dafür, daß manche Schnittblumen schnell welken, auch wenn man sie in Wasser stellt. Auch bestimmte Pilze, die auf Bäumen siedeln, können den Wasserstrom blockieren – so geschehen bei der Amerikanischen Kastanie, die deshalb vom Untergang bedroht ist. Ähnliches könnte auch unseren heimischen Ulmen zustoßen.

Die großen Wassermengen, die die Baumwurzel dem Boden entnimmt, sind im wesentlichen dazu bestimmt, verdunstet zu werden. »Nebenbei« werden mit dem Wasser die gelösten Mineralsalze (Stickstoff-, Phosphor-, Calcium- und Kalium-Ionen) zu den Blättern noch in den äußersten Winkel der Krone transportiert, und das mit einer Steiggeschwindigkeit von 45 Metern in der Stunde, wie man an einer Eiche gemessen hat. Das ist eine beachtliche Leistung, wenn man bedenkt, daß das Wasser in den Gefäßleitungen, die auch noch mit Querwänden ausgestattet sind, hohe Reibungswiderstände überwinden muß.

Das meist sehr umfangreiche Wurzelwerk der Bäume hat mehrere Aufgaben zu erfüllen. Zunächst muß es dem Baum Halt geben. Die Wurzeln graben sich tief in den Boden ein und sorgen so für eine feste Verankerung der mächtigen oberirdischen Baumgestalt. Die starken Belastungen durch die Biege- und Zugkräfte des Windes machen es erforderlich, daß die dem Wind zugekehrten Wurzelstränge auf Zug reagieren können und die dem Wind abgekehrten Wurzeln auf Biegefestigkeit angelegt sind. Dennoch ist der Wurzelstock nicht so stabil wie der Stamm; nach heftigen Sturmböen sieht man mehr Bäume, die mit dem ganzen Wurzelwerk abgerissen wurden, als solche, die der Wind abknickte.

Der Wurzel kommt eine weitere wichtige Aufgabe zu, sie muß das Wasser und die darin gelösten Nährsalze aus dem Boden aufnehmen und dem Baum zuführen. Das geschieht über feinste Wurzelhärchen, dünne, langgestreckte Zellpartien, die sich zwischen die kleinsten Bodenteilchen schieben und in die Kapillarröhrchen eindringen. Dort saugen sie das Wasser auf und leiten es in die Wurzelstränge. Die Arbeit der Wurzelhärchen wird vielfach noch unterstützt durch die Tätigkeit bestimmter Pilze, die sich an den Wurzelenden ansiedeln; für ihre Arbeit bekommen die Pilze die Photosyntheseprodukte der Blätter zur Verfügung gestellt. Man nennt diese Symbiose zwischen Pilz und Baumwurzel Mykorrhiza. Wurzelhärchen und Pilze schaffen es immerhin, pro Hektar Buchenwald täglich dem Boden 40 000 Liter Wasser zu entnehmen und über die Wurzeln dem Xylem zuzuführen. Mit dem Wasser werden die in Ionenform vorliegenden Mineralsalze transportiert. Für den Baum lebensnotwendig sind die Elemente Stickstoff, Phosphor, Kalium, Calzium, Magnesium und Eisen; dazu kommen noch einige Spurenelemente. Fehlt einer dieser Stoffe, kann sich der Baum nicht normal entwickeln. Auch für den Waldboden haben diese Elemente in ihrer Gesamtheit große Bedeutung: sie verhindern eine Versauerung des Bodens. Tritt eine solche Versauerung nämlich auf – z. B. durch zu hohe Immissionen von Schwefel- und Stickstoffsalzen aus Industrie, Kraftwerken, Haushalten und Autos –, werden große Mengen an anderen Nährstoffen ausgewaschen und gehen den Bäumen verloren. Gleichzeitig werden Stoffe aus dem Bodensubstrat herausgelöst, die für den Baum giftig sind (Aluminium- und Schwermetallionen). Diese chemischen Vorgänge im Waldboden sind ein Grund dafür, daß unsere Bäume krank werden und sterben müssen.

Aus dem bisher Gesagten geht hervor, daß der Bauplan der Bäume für eine lange Lebensdauer ausgelegt ist. Unter günstigen Bedingungen können Bäume sehr...