Handbuch Geschlecht und Gesundheit - Männer und Frauen im Vergleich

von: Petra Kolip, Klaus Hurrelmann

Hogrefe AG, 2015

ISBN: 9783456954660 , 448 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 69,99 EUR

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Handbuch Geschlecht und Gesundheit - Männer und Frauen im Vergleich


 

1. Geschlecht und Gesundheit: eine Einführung (S. 8-9)
Petra Kolip und Klaus Hurrelmann

1.1 Einleitung

Im Jahr 2002 erschien dieses Handbuch in erster Auflage (Hurrelmann & Kolip, 2002). Es war die erste umfassende Ausarbeitung, die sich im deutschsprachigen Raum den Themenfeldern Gesundheit und Krankheit aus einer geschlechtervergleichenden Perspektive widmete. Bis dahin waren eher sporadische Publikationen erschienen, die jeweils Teilaspekte des Forschungsgebietes «Geschlecht und Gesundheit» thematisierten und zumeist getrennte Diskurse zur Frauengesundheit und partiell auch zur Männergesundheit führten. Das Handbuch unternahm den Versuch, eine Gesamtschau aus interdisziplinärer Perspektive anzubieten und die Themenstränge zusammenzuführen. Die nunmehr zweite Auflage des Handbuches nimmt die Diskussionen auf und führt sie weiter. Das Handbuch gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Diskussion und zeigt auf, wie sich die Themenfelder entwickelt haben, zu welchen Schwerpunkten mittlerweile differenziertes Wissen vorliegt und wo neue Themen erschlossen wurden. Es will damit einen Beitrag zur Konsolidierung und Stärkung des interdisziplinären Forschungsgebietes «Gesundheit und Geschlecht» leisten.

1.2 Die Entwicklung des Themenfeldes «Geschlecht und Gesundheit»

1.2.1 Der Stand beim Erscheinen der ersten Auflage des Handbuchs

Der Zusammenhang von Geschlecht und Gesundheit wurde zu Beginn des neuen Jahrtausends, als die erste Auflage dieses Handbuches erschien, nicht nur in der Forschung, sondern auch in Praxis und Politik intensiv diskutiert. Kurz zuvor, im Jahr 1998, war nach langer Vorbereitungszeit der erste Gesundheitsbericht für Deutschland erschienen, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt (Statistisches Bundesamt, 1998). Er nahm thematisch eine breite Perspektive ein und führte viele der bisher verstreut vorliegenden Datensätze zusammen. Er wies allerdings auch ein deutliches Defizit auf: Nur sehr wenige der dort aufbereiteten Daten wurden nach Geschlecht differenziert. Dies war umso erstaunlicher, als die Frauengesundheitsforschung und -praxis zu diesem Zeitpunkt auf eine mehr als zwanzigjährige Tradition zurück blicken konnte. Die Befunde, die auf der Grundlage eines feministischen Selbstverständnisses erarbeitet worden waren, wurden seinerzeit noch nicht vom Mainstream der Gesundheitsberichterstattung rezipiert, so dass konzeptionell die Geschlechterperspektive keinen Eingang in den Gesundheitsbericht fand.

Diese Schwäche des Gesundheitsberichts rief zahlreiche Gesundheitsforscherinnen auf den Plan, die vor dem Hintergrund einer intensiven Entwicklung des Themenfeldes Frauengesundheit in Wissenschaft und Praxis im internationalen Diskurs darauf drängten, einen ergänzenden Frauengesundheitsbericht in Auftrag zu geben. Wenige Jahre später hatten sie sich durchgesetzt. Im Jahr 2001 erschien der «Bericht zur gesundheitlichen Lage von Frauen» – herausgegeben nicht, wie man es hätte erwarten können, vom Bundesgesundheitsministerium, sondern vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ, 2001). Dieser Bericht gilt seither als ein erster Meilenstein der geschlechtersensiblen Gesundheitsberichterstattung in Deutschland. Er ist umfassend angelegt und berücksichtigt viele wissenschaftliche Disziplinen, die sich mit Gesundheit und Krankheit beschäftigen. Er legt ein biopsycho- soziales Verständnis von Gesundheit und Krankheit zugrunde, gibt also biologischen Einflussfaktoren auf Morbidität und Mortalität ebenso Gewicht wie den nach Geschlecht variierenden Lebensumständen und Umweltbedingungen, und lenkt den Blick auf Geschlechterunterschiede in Gesundheit und Krankheit sowie auf frauenspezifische gesundheitliche Problemlagen. Mit dem Frauengesundheitsbericht hatte die deutsche Diskussion Anschluss an den internationalen Stand in der Forschung und der gesundheitspolitischen Diskussion gefunden. Im Jahr 2002 verabschiedeten die Mitglieder der Region Europa der Weltgesundheitsorganisation (WHO Euro) in Madrid eine Deklaration, die auf die Relevanz der Kategorie Geschlecht für die künftige Gesundheitsforschung hinwies:

To achieve the highest standard of health, health policies have to recognize that women and men, owing to their biological differences and their gender roles, have different needs, obstacles and opportunities. […] The factors that determine health and ill health are not the same for women and men. Gender interacts with biological differences and social factors. Women and men play different roles in different social contexts. These roles are valued differently, and those associated with men are usually valued more highly. This affects the degree to which women and men have access to, and control over, the resources and decision-making needed to protect their health. This results in inequitable patterns of health risk, use of health services and health outcomes. (WHO Euro, 2002)

Mit dieser Deklaration wurden die Mitgliedsstaaten der WHO Euro aufgerufen, einen Prozess des Gender Mainstreaming in Theorie und Praxis einzuleiten, um den Geschlechterunterschieden in Morbidität und Mortalität und im Zugang zum gesundheitlichen Versorgungssystem stärker Rechnung zu tragen. Gender Mainstreaming wurde dabei eine Kernrolle bei den Versuchen der Qualitätssicherung und -verbesserung zugesprochen (Kuhlmann & Kolip, 2005). Dass hierfür solide, geschlechterdifferenzierte Daten und theoretisch fundierte, geschlechtersensible Studien vorliegen müssen – etwa, um Behandlungsleitlinien geschlechtersensibel entwickeln zu können –, war und ist unbestritten. Auch war unübersehbar, dass 2002 diese Daten nur in Rudimenten vorlagen und es einen erheblichen Nachholbedarf gab.