Experten für Humankapital - Die Entdeckung des Personalmanagements in der Bundesrepublik Deutschland (Ordnungssysteme, Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, Band 26)

von: Ruth Rosenberger

De Gruyter Oldenbourg, 2008

ISBN: 9783486586206 , 489 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 69,95 EUR

Mehr zum Inhalt

Experten für Humankapital - Die Entdeckung des Personalmanagements in der Bundesrepublik Deutschland (Ordnungssysteme, Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, Band 26)


 

Der Mensch im Mittelpunkt?
Die Entstehung des personalpolitischen Felds, 1945–1955 (S. 113-116)

Auf der Suche nach einer neuen betrieblichen Sozialordnung

In der vom Mangel einer gültigen Ordnung und daher maßgeblich von Ungewissheit geprägten Nachkriegssituation versuchten nicht nur Gewerkschaften und Unternehmer Abhilfe zu schaffen. Während ihre Bemühungen in erster Linie auf übergeordnete ordnungspolitische Strukturen abzielten und so den betrieblichen Sozialraum zwar indirekt, aber nicht intentional prägten, gab es gleichzeitig auch Akteure, deren Ansätze konkret auf den betrieblichen Sozialraum ausgerichtet waren. Dabei handelte es sich großteils um akademisch ausgebildete Experten, die auf der Basis (human-)wissenschaftlichen Wissens Lösungen zu entwickeln versuchten. Diese Experten müssen als zentrale Akteure von sozialem Wandel nach 1945 in westdeutschen Unternehmen in den Blick genommen werden.

Das neue Feld betrieblicher Humanexpertise unterlag in der unmittelbaren Nachkriegszeit einer ungeheuren Dynamik. Zunächst gelang es nämlich Rationalisierungsingenieuren relativ schnell und problemlos, sich trotz der Auflösung ihrer bisherigen Verbände und Organisationen durch die Alliierten wieder zu etablieren. Sie schienen somit weiterhin die Experten zu sein, die auch aus den Unternehmen heraus nachgefragt wurden. Von Rationalisierungsingenieuren erwartete man traditionsgemäß vermittels technisch und ökonomisch optimierter Produktionsverfahren und Organisationsformen wissenschaftlich fundierte Hilfe beim möglichst schnellen und effizienten Wiederaufbau der (west-)deutschen Wirtschaft, der in der Rangskala anstehender Probleme höchste Priorität einnahm. Neben den Ingenieuren gab es aber auch noch eine zweite, wenn auch zunächst noch kleine Gruppe von Experten, die – ebenfalls ausgehend von wissenschaftlichem Wissen – betrieblichen Sozialraum gestalten wollten. Diese neuen Experten waren weder technisch orientiert, noch wurden sie aus den Unternehmen heraus nachgefragt. Einzelne Praktiker aus betrieblichen Personal- und Sozialabteilungen, die ich als „Personalexperten“ bezeichne, und Psychologen waren die wichtigsten dieser neuen Experten. Wenn auch unterschiedlich in der jeweiligen Argumentation, so hielten es diese beiden Gruppen im Ergebnis übereinstimmend für notwendig, den neuen Bedingungen der Arbeitsbeziehungen auch im Unternehmen Rechnung zu tragen. Mit Verweis auf die spezifische Kriegs- und Nachkriegserfahrung kritisierten sie die herkömmliche Praxis betrieblicher Sozialbeziehungen und forderten dazu auf, mit Hilfe wissenschaftlichen Wissens neue „angemessene“ Formen und Maßnahmen zu entwickeln.

Im Unterschied zu Rationalisierungsingenieuren bezogen sich Personalexperten und Psychologen auf humanwissenschaftliches Wissen und beanspruchten, es zum Ausgangspunkt betriebspraktisch relevanter Verfahren, respektive Ordnungsvorstellungen zu machen. Betriebliche Humanexperten traten nach 1945 in Westdeutschland erstmals nachhaltig in Erscheinung. Nicht nur der technische Denkstil der Rationalisierungsexperten erhielt dadurch unignorierbare Konkurrenz. Gleichzeitig gerieten damit auch Grundfesten der herkömmlichen betrieblichen Sozialordnung unter Druck. Die daraus resultierenden Auseinandersetzungen wurden von unterschiedlichen Akteuren auf verschiedenen Ebenen, aber mit zahlreichen Wechselwirkungen geführt. Im Ergebnis entstand so ein neues Handlungsfeld: das personalpolitische Feld.