Die Merowinger

von: Sebastian Scholz

Kohlhammer Verlag, 2015

ISBN: 9783170250345 , 342 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 24,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Die Merowinger


 

1          Die Frühzeit der Franken


 

 

 

 

 

In historischen Abhandlungen zum frühen Mittelalter haben die Franken unter den Völkern der damaligen Zeit ihren festen Platz. Doch wer waren sie? Woher kamen sie? Gregor von Tours, der sein Werk Decem libri historiarum (»Zehn Bücher Geschichten«), die wichtigste Quelle für diese Zeit, zwischen 573 und 594 verfasste, verweist auf eine mündliche Überlieferung, laut der die Franken aus Pannonien kamen, sich zunächst am Rhein niederließen, dann den Rhein überschritten und nach Thoringia zogen. Dort hätten sie in den verschiedenen Gauen und Städten Könige aus ihrer vornehmsten Familie gewählt. Wo das von Gregor genannte Thoringia gelegen haben könnte, ist bis heute in der Forschung umstritten.1 Eine andere Erklärung bietet eine Legende, die zum ersten Mal im 7. Jahrhundert schriftlich festgehalten wurde, aber vielleicht schon um die Mitte des 6. Jahrhunderts entstand, und derzufolge die Franken Nachfahren der Trojaner waren. Diese Konstruktion diente dazu, durch eine gemeinsame Abkunft von den Trojanern die Gleichwertigkeit der Franken mit den angeblich ebenfalls von den Trojanern abstammenden Römern zu propagieren.2 Eine weitere Legende des 7. Jahrhunderts erklärt den Namen »Merowinger«:

»Man sagt, Chlodio (ein fränkischer König) habe sich zur Sommerzeit mit seiner Frau an den Strand des Meeres gesetzt; als die Frau mittags zum Baden ins Meer ging, habe sie ein Ungeheuer, ähnlich einem im Meer lebenden Minotaurus, angegriffen. Ob sie daraufhin entweder von dem Ungeheuer oder ihrem Mann schwanger wurde, sie gebar jedenfalls einen Sohn namens Merowech, nach dem später die Könige der Franken Merowinger genannt wurden.«3

Der Ursprung dieser Erzählungen liegt ebenso im Dunkeln wie die tatsächliche Ethnogenese der Franken, über deren Situation in der Frühphase ihrer Entstehung kaum etwas bekannt ist. Nur wenige Erkenntnisse über ihre Organisation sind gesichert und vieles bleibt Spekulation.4 Die Franken selbst haben aus dieser Zeit keine schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen, da sie noch keine Texte anfertigten.

Die römischen Quellen, die allein über die Frühzeit der Franken berichten, sagen nichts darüber, wie sich die Franken allmählich formierten und organisierten. Man kann aufgrund der Quellenlage lediglich vermuten, dass in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts ein Prozess begann, in dem aus kleineren Stämmen langsam eine größere Einheit, das Volk der Franken, entstand. Dabei behielten die einzelnen Stämme zunächst ihre eigenen Anführer. Unklar ist, ob sich die Mitglieder dieses Verbands selbst schon als Franken verstanden und bezeichneten. Wahrscheinlicher scheint, dass ihnen der Name erst aus einer später erfolgten Rückschau beigelegt wurde, denn die frühesten, heute noch fassbaren Belege für den Begriff Frankus finden sich erst in einer 291 gehaltenen Lobrede (Panegyricus)5 auf Kaiser Maximian und 297 in einer weiteren Lobrede auf den Cäsar Constantius Chlorus (293–306), den Vater Konstantins des Großen.6 Spätere römische Quellen sprechen dann immer wieder von den gentes Francorum, also den Stämmen der Franken.

Isidor von Sevilla erklärt den Namen Frankus in seinem zwischen 620 und 630 entstandenen Werk Etymologiae sive origines auf folgende Weise:

»Man glaubt, dass die Franken nach einem gewissen eigenen Anführer benannt wurden. Andere sind der Meinung, sie würden wegen der Wildheit ihrer Sitten so genannt. Es herrschen nämlich unter ihnen raue Sitten, eine natürliche Zügellosigkeit der Gemüter.«7

Vermutlich lag Isidor mit seiner zweiten Erklärung gar nicht falsch. Die Namenkunde geht heute davon aus, dass der Name »Franke« aus dem germanischen Wort *freka »gierig, heftig« hergeleitet wurde.8 Welche Stämme sich unter diesem Namen zusammenfanden, ist allerdings immer noch nicht völlig geklärt, denn nur wenige Quellen stellen einen eindeutigen Bezug zwischen den Franken und den zu ihnen gehörenden Stämmen her.9 Auf der wohl um die Mitte des 4. Jahrhunderts entstandenen Tabula Peutingeriana, einer spätantiken Straßenkarte der römischen Welt, die nur in einer Abschrift des späten 12. Jahrhunderts erhalten ist, steht auf der rechten Rheinseite der Name Francia und der Eintrag: »Die Chamaven, die auch Franken sind«.10 Der römische Historiker Ammianus Marcellinus bezeichnet um 392 ebenfalls die Chamaven sowie die Chattuarier als fränkische Stämme.11 Gregor von Tours zitiert eine Stelle aus dem verlorenen Geschichtswerk des Sulpicius Alexander, das vermutlich um 400 entstand. Dort werden neben den Chamaven und Chatten (= Chattuarier?) als weitere fränkische Stämme die Brukterer und Amsivarier genannt.12 Die Salier werden bereits in einem Brief Kaiser Julians an die Athener von 361 erwähnt, doch erst Ammianus Marcellinus bezeichnet sie um 392 als einen fränkischen Stamm.13 Als solchen nennen sie im 5. Jahrhundert auch Claudian, Sidonius Apollinaris und Zosimos.14 Matthias Springer hat die Existenz eines fränkischen Stamms mit dem Namen Salier jedoch infrage gestellt. Julian, der die Salier als Erster erwähnt, habe das unter Franken als Anrede gebrauchte Wort *saljon (Gefährte, Freund, Kamerad) als Völkernamen missverstanden. Alle späteren Quellen seien von Julian abhängig.15 Das Echo auf diese These ist geteilt. Ein Teil der Forschung weist die Annahme Springers vor allem unter Hinweis auf die Notitia dignitatum (eine Art Staatshandbuch des Römischen Reiches) zurück, in der Truppenabteilungen mit dem Saliernamen benannt werden. Dazu passt eine Stelle bei Sidonius Apollinaris, der die Salier als Kämpfer zu Fuß bezeichnet.16 Doch ist Springer auch vorsichtige Zustimmung zuteilgeworden.17 Festzuhalten bleibt sicherlich, dass die Salier nur sehr spärlich in den Quellen erwähnt werden. Die Zugehörigkeit der in weiteren Quellen genannten Tenkterer und Usipeter zu den Franken scheint möglich, während eine Verbindung der Chauken zu den Franken umstritten bleibt.18

Anhaltspunkte über die Siedlungsgebiete einzelner Stämme geben Berichte römischer Geschichtsschreiber über die Kämpfe der Römer mit den Germanen seit dem 1. Jahrhundert nach Christus. Demnach siedelten die Chamaven in der heutigen niederländischen Provinz Gelderland sowie im westlichen Münsterland, wo auch die Amsivarier heimisch gewesen sein könnten. Die Chattuarier lebten im rechtsrheinischen Vorland von Xanten und an der Ruhr, die Brukterer im Vorland von Köln und vermutlich auch im Neuwieder Becken. Die Tenkterer und Usipeter besiedelten die rechtsrheinischen Gebiete zwischen Lahn und Sieg und der Stamm der Salier soll in den heutigen Niederlanden zwischen Deventer und Kampen gelebt haben.19

Die Formierung der genannten Verbände zu einem Volk der Franken war ein länger andauernder Prozess. Bedingt durch die anhaltenden Kämpfe mit den Römern scheint es zu einer engeren Verbindung der einzelnen Stämme untereinander gekommen zu sein. Im Jahr 257 (oder 259) kam es an der Rheingrenze zu einem Einfall germanischer Gruppen, für den um 360 der römische Schriftsteller Aurelius Victor die Franken und Alemannen verantwortlich machte.20 Vermutlich handelte es sich aber um Stämme, die erst später im Volk der Franken beziehungsweise der Alemannen aufgingen. Kaiser Gallienus (260–268) bekämpfte sie wohl zunächst mit gewissem Erfolg, doch als er Truppen vom Rhein abzog, um sich gegen den Usurpator Ingenuus in Pannonien zu wenden, scheint dies zu weiteren Einfällen der Germanen geführt zu haben.21

Die Lage an der Rheingrenze blieb im weiteren Verlauf des 3. Jahrhunderts unruhig und parallel kam es zu einer Krise im römischen Reich.22 Geschwächt von inneren Machtkämpfen brachten die Kaiser die nötigen ökonomischen und militärischen Mittel nicht mehr auf, um die Grenzen des Reichs zu schützen. Dies führte zu einem Kontrollverlust über das riesige Imperium, sodass 260 das sogenannte gallische Sonderreich mit eigenen Kaisern entstehen konnte. Für die einheimische Bevölkerung Galliens waren die vor Ort anwesenden Kaiser wahrscheinlich die einzige Garantie für einen gewissen Schutz vor den Angriffen der Germanen, denn die legitimen römischen Kaiser bündelten ihre Kräfte im Osten des Reichs, wo die Bedrohung durch die Perser...