Das Science Fiction Jahr 2015

von: Hannes Riffel, Sascha Mamczak

Golkonda Verlag, 2015

ISBN: 9783944720494 , 648 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 14,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Das Science Fiction Jahr 2015


 

Wolfgang Jeschke zum Gedenken

WOLFGANG

Wolfgang – was für ein wohlbekannter, was für ein wohltönender und wunderschöner Name! All diejenigen unter uns, die Besonderes tun, haben besondere Namen verdient.

Wie ich, der ich nach einem Erlenbaum – einem »alder tree« – benannt bin, welcher in Norfolk wuchs, der englischen Grafschaft, in der ich geboren bin.

Aber um wie viel großartiger klingt WOLFGANG! Ich sehe es vor Augen, wie dieses Rudel prächtiger Tiere aus dem Wald hervorbricht, aus dem Unbekannten dem Ruhm entgegen.

Es erfüllt mich mit Trauer zu erfahren, dass er nicht mehr ist, und so übersende ich meine Freundschaftsgrüße an alle Übriggebliebenen dieses prächtigen Rudels.

Brian Aldiss O. B. E.

Geschichten aus tausend und einer Welt

Das Universum ist ungerecht. Die Schlechten leben zu lange, und die Guten sterben zu früh. Und Wolfgang Jeschke war nun wirklich einer von den Guten. Die Nachricht von seinem Tod – nichts ahnend ging ich morgens zum Briefkasten, ein schwarz umrandeter Brief, der Inhalt wie eine herabsausende Guillotine – war ein Schock. Schwere Betäubung, die Karte mit der Todesanzeige immer wieder in der Hand gewendet, als könnte sich das alles als Missverständnis erweisen oder wie durch Magie ein anderer Name darauf erscheinen. Fassungslosigkeit, Frustration und eine große Leere.

Dass ich Wolfgang Jeschke mochte, war mir in all den Jahren unserer Zusammenarbeit und Freundschaft schon klar. Aber wie sehr ich ihn mochte, begriff ich erst in diesem Augenblick. Es war wie so häufig im Leben: Erst der Verlust lässt einen den Wert erkennen. Und das gibt einem ein Gefühl des Versagens. Da wäre noch so viel gewesen, worüber man hätte reden können, als man noch Zeit dafür hatte. Warum hat man sie nicht genutzt?

Die Zeit. Das war Wolfgang Jeschkes großes Leitmotiv. Er hatte einen Riesenspaß daran, sich an dieser von der Wissenschaft nur unzulänglich erklärten Dimension die Zähne auszubeißen, an ihren Geheimnissen, Verästelungen, Paradoxien. Die Idee, die scheinbar unerschütterliche Linearität der Zeit zu durchbrechen, etwas Nicht-Lineares daraus zu machen, Schleifen daraus zu binden, Vergangenheit und Zukunft reversibel zu machen, Logik auszuhebeln, das alles faszinierte ihn. Er mochte es, spielerisch an den Grundfesten zu rütteln, um zu sehen, was dabei herauskommt.

Diese Haltung war das Ergebnis einer glücklichen Kombination besonderer Fähigkeiten. Zu einer grenzenlosen Neugier gesellte sich eine intellektuelle Abenteuerlust, gebettet auf ein enormes Wissen. Wolfgang war einer der letzten Enzyklopädisten, ein idealer Telefonjoker für jede Quizsendung, wenn ihn je einer gefragt hätte. Er wusste wirklich unglaublich viel, und das war kein modisches, schnell gegoogeltes Kurzzeitwissen, das nach ein paar Minuten verweht wie Asche im Wind, sondern substanzielles Wissen über Epochen, Techniken, Zusammenhänge, Ursachen und Wirkungen. Mit ihm konnte man gut über Science Fiction reden, aber genauso gut über Science (ohne Fiction) und über Fiction (ohne Science).

Wenn wir uns gelegentlich abends trafen, um über Gott und die Welt zu reden, ist das durchaus wörtlich zu nehmen. Neben einem klaren soziologischen Blick auf die Welt hegte er, bis hin zu seinem letzten Roman Dschiheads, eine tiefe Faszination für Religionen, ihre Versprechen, ihre Mechanismen, ihre Propheten, ihr (häufig erbärmliches) Bodenpersonal.

Obwohl er allen Religionen, auch der christlichen, sehr kritisch gegenüberstand, war er in seiner eigenen Art, mit seinem eigenen Wertesystem einer der christlichsten Menschen, die man sich vorstellen kann. Nie habe ich jemanden getroffen, der ein böses Wort über ihn verloren hätte. Alle mochten ihn. In der an Selbstdarstellern nicht gerade armen Kulturbranche war er geradezu irritierend unprätentiös. Er war sanft, freundlich und hilfsbereit, in der Summe ein Mensch, dem man vertrauen konnte wie einer Mutter: Nie würde er einen täuschen oder hintergehen. Ich hätte ihm jederzeit unbesehen eine gebrauchte Zeitmaschine abgekauft.

Mit dieser großen Schnittmenge an guten Eigenschaften und einem eingespielten, kleinen Team hat er im sehr speziellen Biotop der Heyne-SF-Redaktion jahrzehntelang eine, durch STAR TREK und andere Erfolgstitel quersubventionierte, Literaturreihe geschaffen, deren Qualität, Bandbreite, Mut und manchmal fast selbstmörderische Experimentierlust immer beeindrucken werden.

Nun hat Wolfgang Jeschke zum letzten Mal die Segel gesetzt. So hat es Sascha Mamczak in seiner klugen und warmherzigen Totenrede formuliert, in der er auch darauf hinwies, dass Wolfgang Jeschke so von der Zukunft erzählen konnte, als wären es Sagen aus der Vergangenheit. Das ist schön beobachtet. Viele seiner Erzählungen und Romane und auch seiner Lieblingsbücher hatten diesen Legendenton. Das waren Lagerfeuergeschichten aus tausend und einer Welt, liebevoll erzählte Oral History aus der Zukunft. Nun ist die Zeitreise des Geschichtenerzählers beendet. Nach achtundsiebzig erfüllten Jahren voll guter Erinnerungen bei allen, die dich kannten, Wolfgang, bist du noch einmal aufgebrochen und an neuen Gestaden gelandet. Ich hoffe, dass es dort so schön ist, wie du es verdienst.

Karl Michael Armer

Dead »Pope« Trippin Thru the Galaxies,

oder: When An Old Cricketer Leaves the Grass

Wolfgang Jeschke: Wohl jeder Erdling sollte sich dir zu Dank verpflichtet fühlen angesichts deines zwar emotional, aber intellektuell nur bedingt fassbaren und dennoch nachhaltigen »Zwischenstopps«, den du während deiner intergalaktischen Reise durch den Raum auf Terra eingelegt hast. Solltest du wo auch immer den Sibyllen des Herkules begegnen: schöne Grüße! Ebenfalls an Lucy in the Sky, ob nun mit oder ohne Diamonds.

Und dort, hinter Deneb links, da muss auch noch was sein ...

Hat einfach etwas Tröstliches, die Vorstellung, dass du mit deinem angestaubten Motorroller in good ol Bradbury-Manier die Milchstraße entlangbretterst und dabei ebenso spielerisch wie neugierig die Tiefen des Alls erkundest ... »still alive, on a moonlight drive«.

Dir konnte keiner so schnell was vormachen – höchstens nach. Andererseits: Wie sollte das letztlich möglich sein bei jemandem, der stets das war und auch weiterhin bleibt: ein-zig-ar-tig? Du warst/bist Mensch, Institution, Legende. Bewundernswert (in der Vorkonzern-Ära des Heyne-Verlags) deine Ausdauer, etwas im guten bajuwarischen Sinne »auszusitzen« – stets der urgewaltige Vollblutstoiker mit der messerscharf geschliffenen Feder/Zunge!

Dieser Tage ist mir in einem Übersetzungstext der »Tsunami des Schmerzes« begegnet. Manch einer mag diesen bildhaften Begriff vielleicht für kitschig oder sonst was halten – mir egal, trifft er doch das Wesentliche mitten im Kern. Denn dieser Tsunami wird – nicht nur in mir, denke ich mal – noch eine ganze Weile wüten.

Einen Lobgesang auf deine Werke anstimmen, das mögen andere tun; für mich bleibst du in erster Linie der Macher – im schöpferischen Sinn, logo! Dass dein Roman Der letzte Tag der Schöpfung weitaus mehr zu bieten hat als nur einen guten Titel und dass dein Hörspiel Der Wald schlägt zurück keine Zukunftsmusik ist, sondern beinharte Realität, muss eigentlich nicht extra erwähnt werden.

Gar nicht selten, »das muss man ganz klar sagen« (O-Ton Wolfgang Jeschke), bewegtest du dich am Rande des Chaos – und wo sonst sollte etwas erwähnenswert Bleibendes kreiert und auch in die Tat umgesetzt werden können?

Danke für deinen genre-immanenten und durchaus darüber hinausführenden Dauerimpuls und auch für die vielen bunten, von dir gern so genannten »Hardcoverchen«. Und und und.

»Dawn, dawn, oh beautiful dawn ...«

Ancient gods, they share a yawn ...

(frei zitiert nach »Die Brücke am Tay« von Theodor Fontane)

Gute Reise, alter Freund!

Werner Bauer

Ein weiser Mann

Anfang der Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts wohnte ich seit knapp zehn Jahren in Italien, als Wolfgang Jeschke und seine Frau mich besuchten. Es war kein Arbeitsbesuch, das Paar war gewissermaßen auf der Durchreise, aber ich fühlte mich sehr geehrt. Wolfgang Jeschke, dieser Name bedeutete Science Fiction in Deutschland. Er war die zentrale Figur, er gab bei Heyne die wichtigste deutsche SF-Reihe heraus, und er war nicht »nur« Herausgeber, sondern auch selbst Autor. In den Siebzigerjahren hatte er dafür gesorgt, dass wichtige Werke der SF erstmals ungekürzt auf Deutsch erschienen – die bis dahin oft auf Heftromanlänge zusammengeschrumpfte phantastische Literatur konnte erstmals ihr ganzes Potenzial entfalten. Mit zahlreichen Anthologien bot er deutschen Autoren eine Plattform jenseits der engen dramaturgischen Grenzen von Heftromanen. Mit anderen Worten: Er holte die Science Fiction aus dem Ghetto der »Schundliteratur«, ließ sie reifen und erwachsen...