Einfach. - Erfolgreich führen

von: Thomas Hochgeschurtz

iKotes Verlag, 2012

ISBN: 9783941626140 , 232 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 21,99 EUR

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Einfach. - Erfolgreich führen


 

II Wiesbadener Sommer

6 – Die Spefo

„Spefo Wiesbaden GmbH“ stand auf dem Reiter des Kalenders, der den 1. Juli anzeigte. Tim starrte hinaus in den Regen und auf die tief hängenden Wolken. Um 14 Uhr würde er sich der Belegschaft als neuer Werksleiter vorstellen. Der erste Eindruck ist nicht immer der richtige, aber der lange Zeit bestimmende. Daher war ihm sein erster Auftritt sehr wichtig.

Das Wochenende war mit Internetrecherchen bezüglich eines neuen Domizils für Klara, Moritz und ihn schnell vorbeigegangen. Am Sonntagabend hatte er ein Zimmer im Waldhotel Rheingau bezogen, wo er unter der Woche wohnen würde, bis eine eigene Wohnung gefunden war.

Peter von Marienthal hatte einen Prokuristen der Gotar-Holding zur Begrüßung geschickt. Dieser ging mit Tim die notwendigen Formalitäten durch, vom Handelsregistereintrag über die Unterschriftsberechtigungen für die Bank bis hin zur Postvollmacht.

Es folgte ein Rundgang mit dem Produktionsleiter Franz Schrauber. Putz bröckelte von den Wänden, Spinnweben verbanden die Stahlträger und Rost zog sich über die Versorgungsrohre. Mit Klebeband geflickte Halterungen, Pornokalender und zugemüllte Fensterbänke rundeten den ersten Rundgang ab. Es wartete eine Menge Arbeit auf ihn.

Tim wurde dem restlichen Team vorgestellt, zumindest denen, die anwesend waren. Von fünf Abteilungsleitern lernte er nur drei persönlich kennen, neben Franz Schrauber den Marketingleiter Björn Kaiser und den Leiter der Finanzen Thomas Koch. Der Vertriebsleiter war bei einem großen Kunden und der Personalleiter seit Wochen arbeitsunfähig.

Vor der Betriebsversammlung nutzte Tim die Zeit, um seine Kennzahlen, die er in Waldkirch erhalten hatte, mit denen von Thomas Koch abzugleichen. Zunächst die Kennzahlen zur Arbeitssicherheit, dann die Qualität und Liefertreue, Produktivität und Kosten und zu guter Letzt die Mitarbeiterkennzahlen. „Unsere Zahlen sind gleich“, bestätigte Koch Tims Zusammenstellung.

Sandra Schneider, eine Personalreferentin, lugte durch den Türspalt. „Herr Kaiser, der Marketingleiter, bat mich, Sie in die Kantine zu begleiten, bevor Sie in die Schlacht ziehen.“

Nach Schlacht war Tim nicht zumute, aber nach Essen, also ließ er sich von der Referentin in die Kantine begleiten. Thomas Koch entschuldigte sich wegen einer Telefonkonferenz mit der Rüdesheimer Zentrale.

Mit seinem gefüllten Tablett setzte Tim sich an den ersten freien Platz. Sandra Schneider folgte zögerlich.

„Sie sitzen am falschen Tisch“, bemängelte eine mit einem weißen Kittel bekleidete Mitarbeiterin des Kantinenservices diplomatiefrei.

„Wieso?“, stutzte Tim, „ist der Platz reserviert?“

Die Mitarbeiterin verdrehte die Augen und zeigte in den entlegensten Winkel des Raums. „Das ist Ihr Tisch.“ Der gedeckte Tisch in der Ecke wirkte einsam und verloren.

„Darf ich nicht hier sitzen?“, fragte Tim amüsiert zurück.

„Wie Sie wollen“, raunzte die Kantinenmitarbeiterin, „aber ich bringe Ihnen jetzt nicht noch die ganzen Getränke hinterher.“ Tim schaute auf sein Tablett, auf dem eine große Apfelschorle stand. Kopfschüttelnd drehte sich die Kantinenmitarbeiterin um und verschwand in der Essensausgabe.

„Der Werksleiter sitzt üblicherweise am gedeckten Tisch“, erklärte Sandra Tim das Verhalten der Kantinendame. „Ich wollte es Ihnen noch gesagt haben, aber da hatten Sie sich schon an diesen Platz gesetzt.“

„Sind Sie bitte so nett und sagen dem Kantinenservice, dass er in Zukunft diesen Tisch nicht mehr decken soll?“ Sandra nickte mit einem breiten Grinsen.

„Wie lange sind Sie schon bei der Spefo?“, fragte Tim.

„Nach meinem Studium der Betriebswirtschaft an der Uni Freiburg kam ich genau vor vier Jahren hierher“, erzählte Sandra. „Angefangen habe ich im Controlling, aber seit der Personalleiter vor sechs Monaten erkrankt ist, arbeite ich in der Personalabteilung. Momentan versuchen wir das ganze Personalgeschäft mit zwei Referenten und zwei Lohnsachbearbeitern zu bewältigen, das ist aber nicht zu schaffen“, zwinkerte sie Tim mit einem Lächeln zu, das Spielraum zur Interpretation ließ. Wollte sie Tim die Botschaft übermitteln, dass die Personalabteilung unterbesetzt war, dass sie eine geeignete Personalleiterin war oder einfach nur Konversation machen?

Wer führt, ist einsam, wusste Tim. Trotzdem oder gerade deswegen brauchte er Verbündete, mit denen er die Spefo entwickeln konnte. War Sandra eine loyale Mitarbeiterin mit Potenzial? Tim wollte schnell herausfinden, wer auf seiner Seite stand und wer sich gegen ihn stellte.

„Was werden Sie auf der Betriebsversammlung erzählen?“, fragte Sandra interessiert.

„Ich bin neu hier, was soll ich erzählen? Ich werde mich vorstellen und mir in den nächsten Wochen ein umfassendes Bild von der Situation machen. Vorher werde ich nichts unternehmen, und das werde ich heute auch so ankündigen.“

Tims Plan war es, sich einige Monate anzuschauen, wie das Unternehmen funktionierte und welche Verhaltensweisen üblich waren. Dann wollte er ein Nicht-Technisches-Training (NTT) zusammenstellen, um seine Erwartungen anhand von Beispielen aus dem Unternehmen zu erläutern. Schon bei seinen vorhergehenden Tätigkeiten war es ihm mit NTT gelungen, die Unfallrate und die Reklamationen zu senken, den Krankenstand zu halbieren und die Produktivität zweistellig zu steigern. Er hoffte, dass das Führen mit Erwartungen auch bei Spefo funktionierte.

„Kann ich bitte Ihre Präsentation für die Betriebsversammlung haben?“, unterbrach ein IT-Techniker Tims Gespräch mit Sandra.

„Ich habe keine Präsentation“, sagte Tim.

„Keine Präsentation?“, entfuhr es dem IT-Techniker verunsichert.

„Was erwarten Sie?“, fragte Tim.

„Ich? Äh, nichts.“ Bevor Tim weiterfragen konnte, hatte sich der Techniker umgedreht und war verschwunden.

Tim schaute Sandra an: „Was glauben Sie, welche Fragen in der Betriebsversammlung kommen werden?“

„Keine.“

„Haben Sie nicht einen Mitarbeiter, der stellvertretend für die ganze Belegschaft ein paar unangenehme Fragen stellt?“, wollte Tim wissen.

„Nein, und wenn ich mich recht entsinne, hat, seit ich hier bin, niemand auf einer Betriebsversammlung je eine Frage gestellt.“

7 – Erste Betriebsversammlung

Ungefähr 200 Mitarbeiter verloren sich in der großen Lagerhalle. Bei aktuell 600 Mitarbeitern eine schlechte Beteiligung. In den goldenen 80ern waren es laut Sandra sogar über 1.000 Mitarbeiter gewesen. Betriebsbedingte Kündigungen waren für die Spefo ein Fremdwort und die Bezahlung galt in der Region als überdurchschnittlich, informierte sie ihn leise, während der Betriebsratsvorsitzende Norbert Roth die Versammlung eröffnete. Nach der Verlesung der Mitarbeiterzahlen ging Norbert Roth auf den Wechsel in der Geschäftsleitung ein. Dabei gab er eine wenig schmeichelhafte Zusammenfassung der Leistungen des ehemaligen Werksleiters. Offensichtlich hatte der Betriebsrat Tims Vorgänger nicht besonders geschätzt.

Die Aufforderung an Tim zur Vorstellung beendete Norbert Roths Rede. Tim bedankte sich für die einleitenden Worte und begann mit seinem Lebenslauf:

„Mein Name ist Tim Simon, ich bin 32 Jahre alt, verheiratet und habe einen dreijährigen Sohn. Meine Berufslaufbahn begann ich 1994 bei Brackets, einem Hersteller von Spülmaschinen-Tabs. Dort startete ich als Leiter der Inbetriebnahme und übernahm nach Abschluss meines Projekts ein Anlagenpaar als verantwortlicher Teamleiter. Im Oktober 1997 bekam ich die Gelegenheit, meine Berufslaufbahn bei Maertens-Folien in Waldkirch als Betriebsleiter fortzusetzen. Seit Anfang 1999 war ich für die gesamte Produktion und Technik in Waldkirch verantwortlich.“

Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Auf unsere Zusammenarbeit hier freue ich mich und hoffe, gemeinsam mit Ihnen das Unternehmen sicher in die Zukunft zu steuern. Wie das im Detail aussieht, kann ich Ihnen heute noch nicht sagen, aber sobald ich eine klare Vorstellung von unserem zukünftigen Weg habe, werde ich Sie darüber informieren.“ Tim übergab das Mikrofon wieder an Norbert Roth.

„Kommen wir zu Tagesordnungspunkt 3: Verschiedenes. Gibt es Fragen oder Anmerkungen?“

Vollkommene Ruhe in der Halle, nur das Rauschen der Lüftungsanlage und ein leises Pfeifen waren zu hören. „Gibt es Fragen an Herrn Simon?“ Norbert Roth suchte nach Handzeichen in der unruhiger werdenden Mitarbeiterschaft.

Zur Überraschung aller trat ein grauhaariger Mann in den Mittelgang zwischen den beiden Stuhlblöcken.

„Luca, was willst du?“, raunzte Norbert Roth den Mitarbeiter an.

Die Frage war im aufkommenden Gemurmel nicht zu verstehen.

Während Norbert Roth unschlüssig seine Betriebsräte ansah, war Tim mit seinem Mikrofon zu dem Mann gegangen. „Wären Sie so freundlich, Ihre Frage zu wiederholen?“

Der Mann blickte Tim trotzig in die Augen und nahm das Mikrofon.

„Herr Simon, wollen Sie viel verändern?“

Das Gemurmel wurde lauter. Tim lächelte den Mann freundlich an und nahm das Mikrofon wieder in Empfang, während sein Gehirn nach Zeit schrie. Er wollte keine falschen Erwartungen wecken. In solchen Situationen halfen oft Gegenfragen oder eine Erklärung, warum er diese Frage momentan noch nicht ausreichend beantworten konnte. Er entschied sich...