Der Crash des Kapitalismus - Warum die entfesselte Marktwirtschaft scheiterte. Was jetzt zu tun ist

von: Ulrich Schäfer

Campus Verlag, 2008

ISBN: 9783593415505 , 330 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Der Crash des Kapitalismus - Warum die entfesselte Marktwirtschaft scheiterte. Was jetzt zu tun ist


 

Kapitel 1 Kapitalismus am Abgrund (S. 11)

»Wir haben bereits in der Weltwirtschaftskrise gelernt, dass der Markt allein es nicht richtet. Aber das ist 80 Jahre her. Und irgendwann ist das Bewusstein dafür verloren gegangen.«

Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger, 2008


Die Angst vor dem Absturz lässt sich in Zahlen messen, in langen Zeitreihen und düsteren Kennzahlen. Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) muss nur auf seinem Computer nachschauen, in einem riesigen Datenpool, dann weiß er, wie sehr die entfesselte Marktwirtschaft die deutsche Gesellschaft durcheinandergewirbelt hat.

In seinem Büro in Berlin-Mitte kann er auch erahnen, wie sehr die große Krise dieses Gefüge durchschütteln wird – und wer am meisten leiden wird. Grabka, einer der führenden Einkommens- und Vermögensforscher der Republik, beobachtet schon seit Jahren, wie Arm und Reich auseinanderdriften: Die oberen 10 Prozent der Bürger konnten ihre Einkommen immer schneller steigern, während die unteren 10 Prozent weniger zum Leben haben als Anfang der neunziger Jahre.

Das obere Zehntel hat 60 Prozent des Volksvermögens angehäuft, Geld, Wertpapiere und Immobilien, während die untere Hälfte fast nichts hat. Die Entwicklung seit dem Jahr 2000 sei »erschreckend«, sagt Grabka. »Bis zur Jahrtausendwende hatte Deutschland eine eher moderate Einkommensungleichheit. In den letzten fünf Jahren haben wir aber viele Länder überholt, es gibt eine dramatische Zunahme der Ungleichheit. « Und das war noch vor dem Crash.

Vor dem großen Bankenkrach, vor dem Schock an den Finanzmärkten. Heißt das: Nun wird alles noch schlimmer? Werden diejenigen, die ohnehin viel haben, sich retten? Und werden diejenigen leiden, die schon in den letzten Jah- ren hinterhergehechelt sind? Eines ist jedenfalls sicher: Das Goldene Zeitalter, das die westlichen Industrieländer seit den späten neunziger Jahren erlebt haben, ist Geschichte. Aus. Vorbei. Beendet.

Im Herbst 2008 ist diese Ära des Glücks abrupt zu Ende gegangen. Der Finanzmarkt ist zusammengebrochen, der Traum vom ewigen Wohlstand zerplatzt. Das Börsenbeben vom Herbst 2008 war schlimmer als alles, was die Finanzmärkte seit der Großen Depression und dem Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Der Kapitalismus, der unser Leben geprägt hat, steht am Abgrund. Wir werden Zeugen einer spektakulären Zeitenwende. Eines historischen Umbruchs, der womöglich noch dramatischer ist als jener nach dem 11. September 2001.

Der Staat stemmt sich gegen eine Krise, die außer Kontrolle gerät. Er rettet eine Bank nach der anderen und verstaatlicht Institute. Er pumpt unvorstellbare Geldsummen in die Wirtschaft. Und es bleibt doch ungewiss, ob dies den Absturz verhindern kann. Doch was heißt das für unser Einkommen, unsere Jobs, unser Vermögen?

Was können wir behalten? Was werden wir verlieren? Droht uns ein Zeitalter des Unglücks? Vor allem die Mittelschicht wird die Folgen dieses gewaltigen Umbruchs zu spüren bekommen. Sie ist das Herz der Gesellschaft. Sie trägt die Wirtschaft. Sie trägt die Demokratie. Sie ist durch die Marktwirtschaft erst entstanden. Aber dieses Herz der Gesellschaft blutet seit Jahren aus.

Im Jahr 2000 gehörten noch 49 Millionen Bundesbürger der Mittelschicht an, sieben Jahre später sind fünf Millionen Menschen aus ihr verschwunden – mehr als jeder Zehnte. Ein kleiner Teil hat es nach oben geschafft, der bei weitem größere ist dagegen abgerutscht ins untere Drittel. Die Absteiger haben den Job verloren. Oder sie mussten auf einen Teil ihres Lohns verzichten. Oder sie wurden an eine andere Firma verkauft, die mies bezahlt. Die Bürger der Mittelschicht haben vom Aufschwung vielfach nicht profitiert.

Und sie werden nun leiden. Der Sturm an den Finanzmärkten und der Abschwung, der ihm folgen wird, könnten in Europa und den USA Millionen Jobs hinwegfegen. Einfache, aber auch anspruchsvollere. Schlecht bezahlte, aber auch besser und gut dotierte. Diese Furcht vor dem Absturz macht sich in allen Industrielän- dern breit: in Frankreich, Großbritannien und Italien, in Österreich, der Schweiz und den Vereinigten Staaten. Und selbst in Schwellenländern wie China oder Russland. Sie hat sich von den Rändern der Gesellschaft ins Zentrum hineingefressen. Die Bürger verfolgen verunsichert, mit welcher Wucht sich der Kapitalismus entfaltet.