Das gekaufte Web (TELEPOLIS) - Wie wir online manipuliert werden

von: Michael Firnkes

Heise Verlag, 2015

ISBN: 9783957889966 , 324 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 18,95 EUR

Mehr zum Inhalt

Das gekaufte Web (TELEPOLIS) - Wie wir online manipuliert werden


 

2 Google und das große Geld


Nicht die Qualität bestimmt darüber, was wir
online konsumieren, sondern der Preis.

Auf die Plätze, fertig, los!


Das Angebot kam per E-Mail. Es klang harmlos. Die Marketingagentur eines bekannten Handelsunternehmens wollte einen Hintergrundbericht für meinen Blog bereitstellen, den ich gerne kostenlos publizieren dürfe. Die einzige Voraussetzung: In meinem Beitrag sollte ein vordefinierter Textlink untergebracht werden, der zum Portal des Kunden der Agentur führt. Andere Angebote dieser Art waren schon weit weniger zurückhaltend. Sie forderten eine Berichterstattung durch mich, bei der ausschließlich positive Meinungen über das Zielunternehmen und seine Produkte erlaubt waren. Oder ich sollte mich fälschlicherweise als Kunde des betreffenden Unternehmens ausgeben, um die Glaubwürdigkeit des Beitrags zu erhöhen. Als Gegenleistung bot man mir Geld oder sonstige materielle Güter. Solche Offerten erhalte ich täglich, selbst für meine kleineren, völlig unbekannten Blogs. Doch was haben die Absender und deren Auftraggeber davon?

Auf welchem Platz ein Unternehmen in den Google-Suchergebnissen gelistet wird, das entscheidet über Milliarden-Umsätze. Um die 40 Prozent der Google-Nutzer klicken auf den begehrten Platz eins der Suchresultate. Platz zwei muss sich mit maximal 20 Prozent der Klicks begnügen, 10 Prozent entfallen auf den dritten Eintrag. Danach geht es rapide abwärts.1 Ein Hersteller oder ein Dienstleistungsunternehmen muss es also schaffen, möglichst weit oben bei Google gelistet zu werden, um am Markt bestehen zu können. Und das bei möglichst vielen thematisch passenden Suchanfragen. Da bis zu 96 Prozent des Suchmarkts hierzulande über den Branchenprimus abgewickelt werden, schielt jedes online werbende Unternehmen auf seine Platzierungen bei Google, die man auch »Rankings« nennt.

Vor allem für die stark wachsende Anzahl der Anbieter, die den Großteil ihrer Umsätze online generieren, steht und fällt der Geschäftserfolg mit diesen Rankings. Ein digitaler Händler, der bei zahlreichen relevanten Suchanfragen in der Gunst der Suchmaschine verliert, ist in seiner Existenz bedroht. Man kann es sich wie bei einem Ladenlokal vorstellen, vor dessen Eingang und Schaufenstern eine Baustelle errichtet wird: Die Wahrnehmung bei den potenziellen Kunden sinkt rapide und nachhaltig, gleichzeitig gehen die Einnahmen zurück. Nur über bezahlte Werbeblöcke bei Google lässt sich ein solcher Verlust wieder ausgleichen. Doch diese sind teuer. Eine eigene kleine Industrie ist damit beschäftigt, die Not der Werbetreibenden im Netz zu lindern. Onlinemarketing-Spezialisten und -Agenturen bieten kleinen und großen Unternehmen an, sie mittels Suchmaschinenoptimierung (SEO) auf die vorderen Plätze bei Google zu bringen. Man geht davon aus, dass alleine in Deutschland über 3,5 Millionen kleine und mittelständische Betriebe bis zu 52 Millionen Internetnutzer als ihre potenziellen Kunden ansprechen, wobei nicht jeder dieser Betriebe auch tatsächlich über eine eigene Onlinepräsenz verfügt. Um die 97 Prozent der Nutzer informieren sich mehr oder weniger regelmäßig auf den unterschiedlichsten Onlineportalen, bevor sie einen Kauf abschließen oder bevor sie eine Dienstleistung in Auftrag geben.2 In Zeiten, in denen man selbst den Arzt oder den Handwerker online recherchiert, ergibt sich hieraus ein riesiger SEO-Markt. Früher sicherte der möglichst prominente Eintrag in den gedruckten »Gelben Seiten« den stetigen Zufluss neuer Kunden oder aber die Zeitungsbeilage des Einzelhandels. Heutzutage müssen es Onlinemarketing-Fachkräfte richten.

Es gibt offizielle, von Google geduldete oder gar empfohlene Maßnahmen, das eigene Ranking positiv zu beeinflussen. In diese Kategorie fallen beispielsweise eine suchmaschinenfreundliche Webseitenstruktur, »sprechend« gestaltete Onlinetexte, für den Besucher unsichtbare Metainformationen, die eine eindeutigere Einstufung der Inhalte durch Google erlauben, die nutzergerechte Gestaltung des Portals und weiteres mehr. Und es gibt inoffizielle Wege, die sich dem Grau- oder gar Schwarzmarkt zurechnen lassen. Diese laufen darauf hinaus, dass man sich eine günstige Platzierung bei Google & Co. erkauft. Genau deswegen sind sie nach den Richtlinien des Suchmaschinenprimus verboten.

Was bringt eine Webseite auf Platz 1 bei Google?

Experten gehen davon aus, dass Hunderte von Faktoren darüber entscheiden, auf welchem Platz ein Onlineportal gelistet wird. Dabei kann diese Platzierung bei jeder Suchanfrage unterschiedlich ausfallen. Rund um diese Faktoren halten sich zahlreiche Mythen. Die SEO-Industrie überbietet sich gegenseitig darin, den Google-Code – oder zumindest Teile davon – zu knacken. Es ist ein aussichtsloser Kampf. Zum einen hütet das Unternehmen seine Algorithmen wie einen Schatz. Ein Schatz, der durch seine Umsätze steuernde Wirkung extrem wertvoll ist – man könnte ihn mit dem gut gehüteten Geheimnis der Coca-Cola-Rezeptur vergleichen. Mit dem Unterschied, dass nicht nur die Zutatenliste um einiges länger ausfällt, sondern dass sämtliche im Internet aktiven Branchen ein Interesse daran haben, der geldbringenden Formel näher zu kommen. Zum anderen ändert Google fortlaufend die Gewichtung der einzelnen Faktoren, welche über das Ranking oder Nicht-Ranking entscheiden. Ständig neue Einflussgrößen sorgen dafür, dass die Komplexität der Algorithmen zusätzlich steigt.

Nach wie vor spielen externe Verweise, die auf ein Onlineportal verlinken, eine zentrale Rolle im Spiel um die vorderen Plätze bei Google. An einem Beispiel erläutert bedeutet dies: Verlinken drei Webseiten auf Portal A, aber nur eine Webseite auf Portal B, dann erscheint Portal A in den Suchergebnislisten vor Portal B. Dieses Beispiel ist sehr vereinfacht und idealtypisch dargestellt. In Wirklichkeit spielen zahlreiche weitere Faktoren eine Rolle, etwa wie die verweisenden Webseiten selbst in der Gunst von Google stehen. In diesem Zusammenhang gibt es Portale, denen die Suchmaschine besonders vertraut. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia ist ein Beispiel für solch eine Seite. Aber auch kleine, eher unbedeutende Onlineprojekte wie Nischenblogs können einen hohen Stellenwert bei Google erlangen. Dieser Stellenwert lässt sich über zahlreiche Werkzeuge auslesen, zumindest in ungefährer Form. Er beeinflusst zugleich den Marktwert des jeweiligen Portals. Wenn man einen Verweis von einer »guten« Webseite erhält, wirkt sich das besonders positiv auf das eigene Ranking aus. Ich selbst erhalte – wie viele andere Blogger auch – täglich bis zu Dutzende von Anfragen von Unternehmen und anderen Portalen, die einen Gastbeitrag oder ähnliche Inhalte auf meinen Blogs unterbringen wollen. In dem Gastbeitrag verlinken die Urheber auf ihre eigene Webseite. Das stärkt die SEO-Kraft des Zielportals. Im Gegenzug verspricht man mir »spannenden Content für meine Leser«. Denn auch Blogger sind ständig auf der Jagd nach neuen Texten, um ihre Leser zufriedenzustellen, aber auch um neue Klicks und damit Werbeeinnahmen zu generieren.

Den Anbietern von Gastbeiträgen, Experteninterviews etc. geht es rein um den Verweis zum eigenen Portal, den sie in den gelieferten Text einarbeiten. Verweisen am Ende genügend kleine Blogs auf die Webseite des Autors oder Interviewpartners, so wird diese von Google bevorzugt behandelt. Der Gastbeitrag selbst ist meist von minderer Qualität und demnach schnell geschrieben, oder er wird für 10 Euro bei den bereits erwähnten Contentbörsen bestellt. Alles in allem handelt es sich um ein einträgliches Geschäft, bei dem sich viele unerfahrene Blogger zu willfährigen und vor allem billigen Sklaven der Onlineindustrie machen. Ich selbst weiß noch ganz genau, wie sehr ich mich freute, als mir das erste Unternehmen einen Gastbeitrag für meinen Blog angeboten hatte. Heute – Tausende Anfragen später – reagiere ich längst nicht mehr auf die Offerten, die lediglich den Interessen der anfragenden Unternehmen dienen.

Der Link-Schwarzmarkt und seine Folgen


Links, die für die Google-Platzierung so wichtig sind, lassen sich erschleichen. Gastbeiträge, die an unerfahrene Webseitenbetreiber und Blogger lanciert werden, und sonstige vorformulierte Inhalte – individuell auf die Leserschaft des jeweiligen Portals zugeschnitten – sind nur eine Möglichkeit. Man kann Links auch kaufen. Mit zunehmender Frequenz entsprechender Anfragen verspüren die meisten Webseitenbetreiber nur noch wenig Lust, sich umsonst vor den Werbekarren der Unternehmen spannen zu lassen. Dann hilft ein kleiner finanzieller Anreiz nicht selten weiter. Verpackt in eine E-Mail klingt er in etwa so:

»Wir sind auf der Suche nach Webmastern und Bloggern, die Interesse daran haben, einen Gastbeitrag auf ihrer Webseite zu veröffentlichen. Unser Klient ist ein angesehener Anbieter für xyz. Wir würden Ihnen einen informativen, unterhaltsamen und gut formulierten Artikel zur Verfügung stellen, der lediglich einen Link zur Seite unseres Klienten beinhaltet und keinesfalls nach Werbung aussieht. Dieser Artikel muss nicht zwingend die...