Der Pferde-Knigge - Vom Rüpel zum Gentleman

von: Tamara Ebert

Cadmos Verlag, 2015

ISBN: 9783840462054 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,99 EUR

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Der Pferde-Knigge - Vom Rüpel zum Gentleman


 

VIELE WEGE FUHREN
zu höflichem Benehmen

Pferde lernen durch Zuschauen und Nachahmen. Machen Sie Ihrem Pferd also vor, was Sie von ihm verlangen.

Rolf Becher, der Begründer des ChironSystems, stellte über eine pferdegerechte Ausbildung folgende Grundüberlegungen an: „Jeder physische Vorgang ist psychisch begründet. Wir merken uns also den Grundsatz: Das körperliche Gleichgewicht ist vom seelischen abhängig und umgekehrt. Ein narkotisiertes Pferd würde nicht fähig sein, zu gehen oder irgendwelchen Reiterhilfen zu folgen. Also kommen wir zur Erwägung 1: Ich brauche das Gehirn des Pferdes, um seine Muskulatur in Tätigkeit zu bringen. Erwägung 2: Ich muss den Willen des Pferdes mit meinem Willen in Einklang bringen, denn an Muskelkraft ist es stärker.‟

Wie lernen Pferde?

Wir Menschen teilen uns gerne verbal mit: wir erklären, schimpfen, sprechen lobende Worte. Pferde hingegen kommunizieren mit ihrem Körper. Die Körpersprache ist eine Zeichensprache. Gesten, Bewegungen, ja sogar Körperspannungen werden sehr genau gelesen und verstanden. Auch der Mensch teilt sich zu 90 Prozent nonverbal mit, doch die Fähigkeit, Körpersprache und Mimik in jeder Situation richtig zu deuten, ist uns durch die „einfachere‟ Möglichkeit der verbalen Kommunikation verloren gegangen.

Im Umgang mit Pferden sollten wir uns wieder auf diese Fähigkeit besinnen und sie wieder zum Leben erwecken. Die Gefühlsebene ist bei allen Säugetieren ähnlich. Wir alle können Freude, Ärger und Frustration empfinden. Wir sind jemandem zu- oder abgeneigt und wir verstehen und erfühlen den Gemütszustand unseres Gegenübers. Die einen (Pferde) sind begabter dafür als die anderen (Menschen), aber jeder kann sich auf diesem Gebiet verbessern. Wir neigen im gleichen Maß dazu, seelisch überbeansprucht zu sein, ja sogar seelisch krank zu werden. Unser seelischer Zustand beeinflusst unseren Körper, seinen Ausdruck und seine Verfassung. Gleiches gilt aber auch umgekehrt, wir können über den Körper die Seele beeinflussen. Berührungen können beruhigen oder aufwecken, tiefes Atmen hilft Ängste zu bewältigen. Das Lockern einer angespannten Muskulatur erzeugt ein körperliches und seelisches Wohlbefinden. Ja sogar die bloße Anwesenheit eines anderen kann beruhigend oder aufregend wirken. Pferde sind fest in dieser Gefühlswelt verwurzelt. Ich denke, sie erspüren Gefühle oder zumindest sehen sie sie an unserer Körperspannung und -haltung. Sie lesen unsere Körpersprache, und somit müssen wir diese Art der Kommunikation für unser Zusammensein nutzen. Das geht so weit, dass ein gut aufeinander eingestelltes Mensch-Pferd-Team sich scheinbar unsichtbar verständigen kann. In einem solchen Fall kann man dann wirklich vom „Pferdeflüstern‟ sprechen.

Wie also lernt Ihr Pferd am besten? Pferde lernen durch Zuschauen und Nachahmen. Wenn Sie also möchten, dass Ihr Pferd die Hufe über den Stangen hebt, dann sollten Sie auch die Füße heben. Wollen Sie, dass es sich etwas anschaut, dann begutachten Sie selbst den Gegenstand. Dazu ein wichtiger Hinweis: Pferde betrachten einen Gegenstand erst dann als vollständig erkundet, wenn sie ihn auch mit der Nase berührt haben. Da ein Pferd als Fluchttier ein zweigeteiltes Gesichtsfeld hat, kann es passieren, dass es sich auf der einen Hand fürchterlich vor einem Gegenstand erschreckt, obwohl es vorher auf der anderen Hand gelassen daran vorbeigegangen ist. Daher sollten Pferde auch von beiden Seiten geführt und gearbeitet werden.

Bei Pferden und Menschen, die es nicht gewohnt sind, erfordert dies jedoch erhöhten Übungsaufwand. Einen Vorteil bietet es jedoch, wenn Ihr Pferd bislang nur einseitig geschult ist: Sollte es zu Problemen beim Führen oder Aufsteigen kommen, können Sie dieses auf der bislang nicht „genutzten‟ Seite vollkommen neu schulen.

Um nachhaltigen Lernerfolg zu erarbeiten, brauchen Pferd und Mensch grundsätzlich eine ruhige Arbeitsatmosphäre. Ihr Pferd muss sich wohlfühlen, damit es sich die Zeit nimmt, Verknüpfungen des Gelernten herzustellen. Mit Druck und Zwang kann man nur dressieren, und sobald dieser Stress nicht mehr da ist, wird das Pferd wieder in alte Muster zurückfallen. Pferde tun nur das, was sich für sie lohnt, also machen Sie doch auch mal ein Geschäft mit Ihrem Pferd. Der Ablauf ist immer derselbe: Das Pferd handelt und Sie verstärken diese Handlung durch eine positive Reaktion. Ihr Pferd wird nach einigen Wiederholungen schnell lernen, wenn eine Aktion seinerseits die erhoffte Reaktion Ihrerseits nach sich zieht.

Diese Konditionierung funktioniert im Guten wie im Schlechten. Gut oder schlecht ist hier jedoch nur die Anschauungsweise des Menschen. Pferde unterscheiden zwischen „nützlich‟ und „nicht nützlich‟. Je nachdem, wie experimentierfreudig Ihr Pferd ist, probiert es häufig neue Handlungen aus und lernt schnell, sobald es die Verknüpfung von Handlung und Reaktion begreift. Solche „Schnellmerker‟ können dann zu wahren Entfesselungskünstlern, Riegelknackern oder Futterkistenräubern werden, ohne dass es ihnen jemand wissentlich beigebracht hat. Demzufolge ist jede sogenannte Unart Ihres Pferdes lediglich das Produkt eines Lernprozesses, den der Mensch wissentlich oder unwissentlich möglich gemacht hat. Handeln Sie also in Gegenwart Ihres Pferdes immer bewusst und verlässlich einschätzbar. Lassen Sie Verhaltensweisen nicht durchgehen, die Sie an einem anderen Tag bestrafen. Sprunghaftes Verhalten ist für Ihr Pferd sehr schwer einzuschätzen.

Da Ihr Pferd nicht in der Lage sein wird, den Nutzen dessen, was Sie ihm beibringen möchten sofort zu erkennen, müssen Sie etwas Lohnendes in Aussicht stellen können. Ansonsten kämpfen Sie nicht nur gegen das eigentliche Problem an, sondern zusätzlich gegen den Unwillen Ihres Pferdes. Und ist ein Pferd unwillig, verkrampft es sich – da geht es den Pferden wie den Menschen. Die einfachste Form der Belohnung ist das Wegnehmen des Druckes und das Gewähren einer Pause, ergänzt durch ein stimmliches Lob. Sollte Ihr Pferd stärkere Motivation benötigen, ist Futter ein einfaches und bewährtes Mittel.

Betrachten wir die Belohnung durch Futter jedoch einmal aus Sicht der Pferde. Das Überlassen von Futter ist, anders als bei Wölfen oder Hunden, im Sozialverhalten der Pferde nicht vorgesehen. Selbst eine Stute würde nicht zugunsten ihres Fohlens auf Futter verzichten, denn es ist wichtiger, dass sie überlebt, um im traurigsten Fall im nächsten Jahr ein neues Fohlen zur Welt bringen zu können. Der Stärkere beansprucht das Futter für sich, denn die Stärksten sichern auf Dauer den Arterhalt. Im strengen Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass das Überlassen von Futter gleichbedeutend ist mit der Anerkennung der größeren Stärke des anderen. Daher hat sich bei einigen Forschern die Meinung entwickelt, dass Futterbelohnung für die Erziehung eines Pferdes kontraproduktiv sei.

Früher gehörte ich auch zu denjenigen, die die Belohnung mit Leckerlis eher vermieden. Durch die vielen unterschiedlichen Erfahrungen, die ich machen durfte, verfahre ich jedoch mittlerweile so, wie es mir bei dem jeweiligen Pferd am sinnvollsten und effektivsten erscheint. Den sehr resoluten und etwas aufdringlichen Haflinger Ben belohne ich eher sporadisch mit Futter, meine Tinkerstute Eireen (sie kann sehr zauberhaft und zart betteln) verwöhne ich hingegen regelrecht mit Leckerlis. Sie müssen anhand Ihrer Ausbildungserfolge oder -misserfolge entscheiden, wie Sie mit der Futterbelohnung verfahren. Selbst ein bissiges Pferd, das nicht aus der Hand gefüttert werden sollte, kann sich im Laufe seiner Erziehung so verändern, dass Futterbelohnungen später kein Problem mehr darstellen.

Brauchbares Fördern und Unbrauchbares ignorieren!

Wenn Sie ein so gieriges und ungeschicktes Pferd haben, dass Sie beim Füttern aus der Hand regelmäßig Ihre Finger riskieren, aber die Vorteile des Futterlobs nutzen wollen, dann füttern Sie so, wie Eva Wiemers es empfiehlt: Nehmen Sie das Leckerli in Ihre Faust und halten Sie diese geschlossen Ihrem Pferd hin. Halten Sie sie ruhig und ziehen Sie sie nicht weg. Falls Ihr Pferd in die Leckerli-Faust beißt, bekommt es diese kurz gegen sein Maul gestoßen und Sie bieten sie ihm weiter an. Erst wenn es sein Maul geschlossen gegen Ihre Faust lehnt und maximal mit den Lippen daran spielt, öffnen Sie die Finger und geben die Belohnung heraus. Vermeiden Sie es, die Hand beim Füttern aus Angst vor Verletzung wegzuziehen oder Ihr Pferd für seine Ungeschicklichkeit mehr als mit dem kurzen Knuff Ihrer Faust zu strafen. Dadurch würde es nur noch unsicherer und ungeschickter in seiner Gier nach dem Leckerli.

Das Schulungsprinzip sollte vorzugsweise lauten: „Brauchbares fördern und Unbrauchbares ignorieren‟. Dass dies funktioniert, beweist die Pferdeausbildung mithilfe des Clickertrainings. Clickern ist eine besondere Form des Lobens. Das Lob wird mittels Konditionierung antrainiert. Jeder Click bedeutet, dass das Pferd sich korrekt verhalten hat. Zunächst bekommt das Pferd mit jedem Click ein Leckerli, bis es lernt, bereits den Click als Belohnung wahrzunehmen. Das Pferd...