Was Jesus wirklich gesagt hat - Eine Auferweckung

von: Franz Alt

Gütersloher Verlagshaus, 2015

ISBN: 9783641166304 , 352 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 18,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Was Jesus wirklich gesagt hat - Eine Auferweckung


 

II.

48 fundamentale Jesus-Worte

1. Der Geist macht lebendig!

Urvertrauen in Jesu Lehre und in seinen Abba, also Gottvertrauen, können wir nur dann aufbauen, wenn wir sicher sein können, dass wir dem, was Jesus wirklich gesagt hat, so nahe wie möglich sind. Nur dann finden wir Antworten auf die zentralen Fragen unserer Existenz: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Warum bin ich hier? Was erwarte ich? Wie finde ich das Glück? Wird alles gut? Wie werde ich im Tod Gott begegnen?

In den real existierenden Kirchen von heute sind freilich die Dogmen, Lehrsätze, Vorschriften, Befehle von oben, Richtlinien, Erlasse und Konstitutionen oft wichtiger als das Evangelium. Das kirchliche Gesetzbuch, also der Codex Juris Canonici, ist viel umfangreicher als die vier Evangelien zusammengenommen. Das Evangelium Jesu ist gesetzlich eingeschnürt und verdrängt. Jesus hat wohl gewusst, warum er seinen Anhängern diese Warnung vor den Kirchenjuristen aller Zeit mitgegeben hat:

»Wehe euch, ihr Schriftgelehrten, die ihr die Menschen belastet mit schweren Lasten! Denn ihr! – Ihr rührt sie nicht an mit einem eurer Finger« (Lk 11,46 RÜ).

Als Journalist arbeite ich nach dem Grundsatz, dass unsere Fragen in den meisten Fällen wichtiger sind als unsere Antworten. »Wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt, bleibt dumm«, heißt es in einer Kindersendung im Fernsehen, die bei Kindern nicht zufällig sehr beliebt ist. Und jede Talkrunde im Fernsehen beweist: Wer die besten Fragen stellt, kommt den Lösungen eines Problems am nächsten. Nach aller Philosophie ist das Fragen die Kunst der Wahrheitsfindung. Welche Antworten finde ich bei Jesus auf meine zentralen Lebensfragen?

Lassen Sie uns Antworten suchen bei 48 Urworten, die Jesus in seiner Muttersprache, also auf Aramäisch, gesprochen hat. Hans Küng schreibt in seinem letzten Jesus-Buch: »Wer im Neuen Testament den dogmatisierten Christus sucht, lese Ratzinger, wer den Jesus der Geschichte und der urchristlichen Verkündigung, lese Küng. Dieser Jesus ist es, der Menschen damals wie heute betroffen macht, zur Stellungnahme herausfordert und nicht einfach distanziert zur Kenntnis genommen werden kann.« Wer aber die Urworte des »aramäischen« Jesus kennenlernen will, muss sich mit nüchterner Leidenschaft an Jesu Muttersprache halten. Für Juden ist die Thora »der Weg, die Wahrheit und das Leben«, für Muslime der Koran, aber für Christen ist es Jesus von Nazareth, nicht das Kirchenrecht. Die historische Existenz Jesu kann heute von keinem ernsthaften Wissenschaftler mehr bestritten werden.

Jesus war weder Priester noch Theologe – wir hätten ihn wahrscheinlich längst vergessen, wenn er eines von beiden gewesen wäre –, aber leidenschaftlicher Gottsucher, ein Fragender. Deshalb konnte er Menschen in den Innenraum ihrer Seele führen. Und deshalb kann er auch heute Antwort geben auf unsere existenziellen Fragen. Jesus inmitten eines Hochamts im Petersdom in Rom? Undenkbar. Er war kein Mann des gesellschaftlichen oder kirchlichen Establishments, sondern ein »nicht studierter Dörfler« – wie ihn Hans Küng nennt.

Nach Jesu Urteil beginnt mit seiner Taufe ein neues Zeitalter: Das Zeitalter, in dem Gott ein guter Vater ist und alle Menschen seine Kinder. Bei seiner Taufe hört Jesus Gottes Stimme zu ihm sagen: »Mein Sohn bist du, mein Einzigartiger. An dir habe ich Gefallen« (Mk 1,11). Von jetzt an fühlte er sich vom Geist ergriffen und von Gott bevollmächtigt.

Auch Jesu Taufe ist kein Mythos, sondern eine Tatsache: »Es geschah« (Mk 1,9). Wer sich bewusst taufen lässt, kann sich nicht für Gott halten. Seine Taufe beweist, dass er ein bescheidener Gottsucher war. Kirchenfromme Christen wollen diese Tatsache bis heute nicht gelten lassen. Was im Neuen Testament »Menschensohn« heißt – so nannte er sich selbst –, heißt in Jesu aramäischer Umgangssprache »Barnascha«, »einfacher Mensch« oder einfach »Mensch«. Das passt zu Jesus. Er verbat sich ganz entschieden eine Vergottung seiner Person. Als ihn im Markus-Evangelium (Mk 10,17-18 RÜ) der »reiche Jüngling« mit »Guter Meister« anredet, fährt er sofort dazwischen: »Warum nennst du mich gut? Keiner ist gut außer dem Einen – Gott.« Immer wollte Jesus auf Gott hinweisen, aber niemals mit Gott verwechselt werden. Er wollte ihn vermitteln, aber nicht vertreten. Er wollte, dass wir seinem Vater vertrauen und mit ihm versöhnt werden als »Kinder Gottes«.

Was nicht zu Jesus passt, ist Personenkult. Jesus war kein Mann des gesellschaftlichen oder kirchlichen Establishments, sondern eben ein »nicht studierter Dörfler«. Er war ein »öffentlicher Geschichtenerzähler« (Hans Küng), wie man sie heute noch im Hyde Park in London, auf Kabuls Hauptplatz oder auf Straßen in Indien erleben kann. Doch bevor er als Wanderprediger auftrat, führte ihn »ein Geistwesen hinaus in die Wüste Judäa. Dort fastete er vierzig Tage und Nächte. Danach zeigt sich ihm der Satan« (Mk 1, 13 RÜ) und führte ihn in Versuchung, indem er ihm empfahl, gewissermaßen als Politiker aufzutreten und weltliche Macht anzustreben. Nachdem Jesus den Satan bezwungen hatte, waren plötzlich Gottesboten bei ihm, um ihn zu stärken, schreibt Markus. Er folgte nicht der politischen Versuchung nach Macht und Ämtern, sondern seinem Gewissen.

2. Die entscheidende Sekunde der Weltgeschichte

Jesu Versuchungsgeschichte und Taufe sind die Quellen, um ihn zu verstehen. Er hatte alle Anlagen zu einem charismatischen Politiker, zu einer politischen Heilsfigur. Aber in seiner Versuchungsgeschichte überwindet er diese Projektionen. So wurde er der erste wirklich neue Mann der Weltgeschichte. Er setzte auf das Reich Gottes und nicht auf Macht und Geld und äußere Karriere, die ihm der »Versucher« in der Wüste angeboten hatte. Das Reich Gottes beschreibt er nicht mit Begriffen aus der Politik, sondern mit Naturgleichnissen: die wachsende Saat, der fruchtbare Baum oder der Leben spendende Weinstock – das sind alles ökologische Bilder. Und Frauen waren für ihn selbstverständlich Menschen mit gleichen Rechten wie Männer. Vor Gott sind wir als seine Kinder alle gleich. Deshalb waren viele Frauen »verrückt« nach diesem Mann. Er ging sogar in die Schule von Frauen, damals völlig außergewöhnlich. Maria Magdalena wurde seine Vertraute und Freundin.

Sein Freund Johannes der Täufer hatte noch gelehrt: »Kehrt um und tut Buße.« Jesus aber: »Kehrt um und vertraut.« Jesus trennt sich schließlich von Johannes und geht seinen eigenen Weg. Was er bei seiner Taufe »gesehen« und »gehört« hatte, war die wichtigste Erfahrung seines Lebens: Wir sind Geliebte Gottes, von ihm angenommen und versöhnt.

»Geliebter« hatte er seinen Abba sagen hören. Geliebte spüren eine unheimliche Kraft. Geliebte können die Welt aus den Angeln heben. Jesus war wie neu geboren – und mit ihm ein neues menschenfreundliches Gottesbild und ein neues gottesfreundliches Menschbild. Aus dem strengen Richter-Gott des Alten Testaments war ein liebender Vater geworden – mit mütterlichen Eigenschaften. Für mich ist das bisher die entscheidende Sekunde der Weltgeschichte, die sich später auf dem Berg Tabor bei seiner »Verklärung« wiederholte.

Auf meinen Wegen zwischen Nazareth und dem See Genezareth staune ich im November 2014 über den Berg Tabor. Er ist der schönste und geschichtsträchtigste aller schönen Berge dieses gesegneten Landstrichs: Als wenn ihn Gott mit Künstlerhand modelliert hätte, steigt er wie ein abgerundeter Höcker aus der Ebene auf, bemerkenswert und einzigartig, von allen Richtungen zu erkennen. Ich stehe zur Mittagszeit auf dem Berg. Eine Stunde zuvor hatte es noch in Strömen geregnet. Auch jetzt sind die galiläischen Berge ringsum grau und wolkenverhangen. Nur über Nazareth, der Stadt Jesu, sieben Kilometer vom Tabor entfernt, strahlt die Sonne und taucht die Stadt in ein beinahe überirdisches Licht. Die Wolken haben ein winziges Fenster offen gelassen: Sonne über dem Heimatort Jesu! Licht über Nazareth! Inmitten grauer Dunkelheit.

Der »Berg der Verklärung« erhielt seinen Namen, weil sich Jesus mit Petrus, Johannes und Jakobus hierher zurückzog und vor ihren Augen »verklärt« wurde. Wie bei seiner Taufe hörte er auch hier die – wohl innere – Stimme seines Vaters, der ihm seine Liebe versicherte und ihm die »Schlüssel des Himmelreichs« übertrug – so wie es angeblich später Jesus gegenüber Petrus getan haben soll, was Günter Schwarz als Fälschung erkannt hat. (Siehe die Kapitel II, 37 und 38)

Neues Gottesbild! Neues Menschbild! Neues Weltbild! Dabei muss es Jesus bei seiner Taufe am Jordan und bei seiner »Verklärung« auf dem Berg Tabor so ähnlich ergangen sein wie einem Neugeborenen. Es fühlt sich an der Brust seiner Mutter und auf dem Arm seines Vaters geliebt und angenommen. Wortlos. Neugeborene können es nicht verstehen, aber sie spüren es: Ich bin geliebt.

Wir wissen heute, wie wichtig der Hautkontakt mit den Eltern in den ersten Augenblicken nach der Geburt für das ganze Leben eines Menschen ist, für das Entstehen von Vertrauen als Basis einer glücklichen Entwicklung. Auf Michelangelos berühmtem Bild von der Erschaffung des Menschen durch Gott in der Sixtinischen Kapelle bleibt zwischen der ausgestreckten Hand Gottes und der Hand Adams ein kleiner Abstand. Das Einmalige und Einzigartige bei Jesus: Dieser kleine Abstand zu Gott ist weg. Er hat – wohl erstmals in seinem Tauferlebnis – den »Finger« Gottes berührt. Die beiden hatten »Hautkontakt«. Und Gottes Liebesenergie floss durch Jesus....