Aus kontrolliertem Raubbau - Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren

von: Kathrin Hartmann

Blessing, 2015

ISBN: 9783641156114 , 448 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 11,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Aus kontrolliertem Raubbau - Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren


 

Man kann den Regenwald auch mit solarbetriebenen Kettensägen abholzen.

Hans-Peter Dürr,  Physiker, Umwelt- und Friedensaktivist

VORWORT

GRÜNES WACHSTUM – WELTRETTUNG ODER »AMOKLAUF GEGEN DIE NATUR«?

Die nebelnassen Bäume werfen ihre letzten Blätter von den schwarzen Ästen, ihre Kronen sind im dichten grauen Dunst verborgen. Auch der riesige, düstere Klotz hinter den Bäumen verschwindet fast im Nebel: Die Glasfassade des Maritim-Hotels am Düsseldorfer Flughafen wirkt stumpf und bleiern. Es ist unwirtlich und kalt an diesem tristen Novembermorgen. Doch drinnen, im Saal Düsseldorf, wo sich mehr als tausend Gäste versammelt haben, da wird es gleich leuchten und strahlen.

Ram-tam-tam-ta-ram-tam-ta-ram-tam … Eben saßen noch einige zusammengesunken auf ihren Stühlen und versuchten, das Muster auf dem Teppichboden zu entwirren. Doch als das beschwingte Dreizehn-Sekunden-Intro von Coldplays Superhit Viva La Vida durch den Raum schallt, sind die Gäste wie auf Kommando gut gelaunt und hellwach, sie strahlen und klatschen, als würden sie dafür bezahlt.

Es ist der Deutsche Nachhaltigkeitstag. Und der ist für die Industrie wie ein vorgezogenes Weihnachtsfest. An diesem 22. November 2013 wird in Düsseldorf zum sechsten Mal der Deutsche Nachhaltigkeitspreis verliehen. Deutsche Unternehmen, ihre Verbände, Forschungseinrichtungen, der Rat für nachhaltige Entwicklung und die deutsche Bundesregierung vergeben diesen Nachhaltigkeitspreis für, wenig überraschend, »Spitzenleistungen der Nachhaltigkeit« an, noch weniger überraschend, deutsche Unternehmen, »die vorbildlich wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer Verantwortung und Schonung der Umwelt verbinden«, sowie an Kommunen, Forschung und internationale Popstars.

Stefan Schulze-Hausmann tritt ins Rampenlicht. Der Rechtsanwalt und ehemalige TV-Moderator (»neues«, »nano«, 3Sat) hat den Preis 2008 initiiert. »Nachhaltigkeit ist ein Mega-Thema«, ruft Schulze-Hausmann, »die Zahl der Unternehmen, die krass ignorant sind, sinkt beständig.« Die Gäste applaudieren begeistert. Kein Wunder, sie applaudieren sich schließlich selbst, und sich selbst finden sie gut. Denn da in Düsseldorf im Saal Düsseldorf sitzen keine Ökos mit langen, ungewaschenen Haaren, sondern Männer in Anzügen und Frauen in Kostümen. Viele sind Unternehmensvertreter, und sie repräsentieren die deutsche Industrie von A bis Z: von Allianz, Bayer, BMW, Coca-Cola, Danone, Frosta, Henkel, Lufthansa, Rewe, Siemens und Unilever bis zur Zehnder Group, dazu Vertreter von Verbänden wie dem Deutschen Markenverband, dem Handelsverband, dem Gesamtverband der Kunststoff verarbeitenden Industrie und dem Deutschen Tourismusverband.

Schulze-Hausmann schwärmt von einem »Familientreffen der Nachhaltigkeit«. Auch für mich ist es ein Wiedersehen mit – guten? – na ja, jedenfalls mit alten Bekannten: Einige von ihnen habe ich schon interviewt, nämlich die Vertreter von Unternehmen, zwischen deren proklamiertem »grünem Engagement« und den tatsächlichen Auswirkungen ihres Kerngeschäfts eine Lücke so groß wie der Marianengraben klafft.

»Die Industrie versucht, sich zu engagieren, da lernen alle. Das ist ein Prozess, den müssen wir gestalten.«1 Das hat mir, obwohl solche Formulierungen zum Standardrepertoire der Industrie gehören, ein Nachhaltigkeitsmanager von Henkel erklärt. Der deutsche Chemiekonzern hat als einer der ersten 2008 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis bekommen und ist, wie Coca Cola, Rewe, Siemens und der Deutsche Markenverband, einer der Sponsoren des Events. Man würde nicht sofort draufkommen, dass Henkel ein Ökounternehmen ist. Drum braucht es auch die Teilnahme am Nachhaltigkeitspreis. Was man dem Chemiekonzern lassen muss, der mit 2,2 Millionen Megawattstunden so viel Energie verbraucht wie eine mittlere Großstadt: Er kämpft wirklich engagiert. Zum Beispiel gegen den Ausstieg aus der Atomenergie und für die Kohlekraft, Seit’ an Seit’ mit den großen Stromkonzernen.2 Aber nun, man kann nicht alles haben, und Henkel stellt ja gleichzeitig einen Kleber her, der beim Zusammenkleben von Windturbinen eingesetzt wird, und das hält der Konzern für einen »wichtigen Beitrag zu erneuerbaren Energien«.3 Für Henkel, so erklärt Nachhaltigkeitsmanger Uwe Bergmann später auf dem Podium, »hat Nachhaltigkeit mit Business zu tun«. Und da hat Henkel beste Gesellschaft: auch BASF, Bayer, C&A, General Electrics, Otto, Puma, Siemens, die Axel Springer AG und Volkswagen sind Träger des Weltrettungspreises. Der deutsche Supermarkt-Gigant Rewe hat ihn gleich vier Mal bekommen.

Aber derartige Widersprüche werden auf dem Deutschen Nachhaltigkeitstag nicht kritisiert. Im Gegenteil: Sie werden zelebriert. »Verantwortliches Handeln«, lautet die Parole, helfe nicht nur dabei, »soziale und ökologische Probleme im globalen oder lokalen Maßstab zu lösen«, sondern könne auch »Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit erhöhen«.

Jetzt zeigt Günther Bachmann, der Generalsekretär des Rats für nachhaltige Entwicklung, ein Filmchen über das gut gelaunte Öko-Deutschland: Windräder im Sonnenuntergang, Elektroautos und Menschen im Supermarkt. Ein Unternehmer sagt, »Nachhaltigkeit bedeutet, die Schere zu schließen zwischen Ökonomie und Ökologie«. Lauter tolle Ideen werden präsentiert: Stofffasern aus Milch, Fahrräder aus Holz, Tomaten in einem urbanen Gewächshaus, gedüngt mit dem Abwasser aus Fischtanks, und »Wurst mit Gesicht«, für die sich der Konsument per Mausklick im Internet selbst ein »glückliches Schwein« aussuchen kann, das dafür abgestochen wird. Menschen halten Schilder mit Buchstaben in die Luft, die den Satz »Jeder entscheidet« ergeben.

»Mal ehrlich, jeder von uns könnte mehr für die nachhaltige Entwicklung tun, beim Einkaufen, beim Reisen, auch beim Geldanlegen«, sagt Bachmann in eine Kamera. Alle, die hierhergekommen sind, wollen etwas tun, und sei es nur, sich selbst und allen, die es hören wollen, zu versichern, wie »›Sustainability made in Germany‹ erfolgreich den Herausforderungen der Nachhaltigkeit begegnen und gleichzeitig Wettbewerbschancen eröffnen kann«. Na freilich: Wenn Klima- und Umweltschutz »Wachstumsförderer« sind, dann sind dementsprechend klarerweise die Unternehmen selbst die »Problemlöser«. Das sogenannte »Drei-Säulen-Modell« der Nachhaltigkeit, in dem wirtschaftliche, ökologische und soziale Ansprüche gleichrangig berücksichtigt werden müssten und einander bedingen, findet breiten Zuspruch und wird auch von der Politik beglaubigt – obwohl es schlicht eine Erfindung der Wirtschaft ist, genauer des Verbands der Chemischen Industrie, der diese »Theorie« in die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages »Schutz des Menschen und der Umwelt« eingebracht hat.

Ram-tam-tam-ta-ram-tam-ta-ram-tam … Nach jedem Auftritt fegt das Intro der Stadionhymne von Coldplay über die Bühne, als wäre wieder ein Tor für Umwelt und Klima gefallen. Deutschland – ein Spätherbstmärchen der Nachhaltigkeit. Ich warte nur darauf, dass der freundliche grüne Riese aus der RWE-Werbung kommt, den Unternehmern Windrädchen auf den Kopf steckt und ihnen ein grünes Mäntelchen aus Rollrasen umhängt.

»I used to rule the world. Seas would rise when I gave the word«: sehr im Kontrast zur freundlich beschwingten Melodie handelt der Coldplay-Song von einem paranoiden Herrscher, der seine Macht verloren hat. Genauso verbirgt sich hinter dem dick aufgetragenen Optimismus, dem dröhnenden Hurra-Patriotismus, der »Macher«-Inszenierung samt ihrer abgeschmackten Hauruck-Parolen, wie sich »Deutschland im globalen grünen Wettrennen bewähren« soll, eigentlich nur die tiefe Sorge der deutschen Wirtschaft, dass ihre Profite und ihr grenzenloser Wachstumsdrang durch so etwas unangenehmes wie Klimaschutz gebremst werden könnten. Lieber eignet man sich die Kritik an, schreibt sich selbst dick »Umweltschutz« auf die Fahnen und produziert ordentlich Wind, damit diese Fahnen auch schön flattern. Es passt, dass ausgerechnet die »Klimakanzlerin« Angela Merkel gleich drei Mal Schirmherrin dieser Veranstaltung war.

»Once you’re gone you’re gone, there was never, never an honest word. And that was when I ruled the world.« Tatsächlich sieht die Bilanz des »Vorreiters« in Sachen »Nachhaltigkeitsexzellenz« so aus: Zwischen 2004 und 2012 hat Deutschland den Transport von Waren mit dem Flugzeug, dem mit Abstand klimaschädlichsten Fortbewegungsmittel, um mehr als 50 Prozent gesteigert. Der Export der deutschen Industrie ist zwischen 2007 und 2013 von 35 auf 43 Prozent gestiegen, parallel dazu natürlich auch der CO2-Ausstoß.4 Zugleich importiert Deutschland Agrarprodukte und andere Verbrauchsgüter, deren Herstellung mit knapp 80 Millionen Hektar mehr als das Doppelte der gesamten Fläche Deutschlands benötigen.5 Die...