Wir wollten niemals auseinandergehen

von: Mara Andeck, Anja Koeseling, Lucinde Hutzenlaub

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2016

ISBN: 9783732513963 , 256 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Wir wollten niemals auseinandergehen


 

Wie alles begann – In jeder Hinsicht auseinandergegangen


Gläser klirren, Porzellan klappert, Stimmengemurmel. Wir sitzen in einer italienischen Trattoria mitten in Frankfurt.

Wir, das sind Anja, Mara und Lucinde, Freundinnen seit einem denkwürdigen Abend vor ein paar Jahren, an dem wir uns zufällig bei einer sehr langweiligen Party begegnet sind, deren Verlauf wir aktiv zum Positiven verändert haben. Und an dessen Ausgang sich anschließend niemand so richtig erinnern konnte, geschweige denn erinnern wollte. Aber sei’s drum, es war lustig und spät, wir haben gelacht, getrunken, vermutlich gesungen und getanzt (auweia – wie gesagt, die Erinnerung lässt hier eine gnädige Lücke). Und wir haben damals beschlossen, dass diese Freundschaft für die Ewigkeit gemacht sei. Wir wollten niemals auseinandergehen.

Tja, und jetzt sitzen wir Jahre später in figurumschmeichelnden Tuniken in jener Frankfurter Trattoria und erkennen: Das hat nicht so richtig geklappt. Wir sind in jeder Hinsicht auseinandergegangen. Zum einen rein räumlich, denn dank Beruf und Familie leben wir quer über die Republik verteilt. Und außerdem um mehrere Kleidergrößen. Alle drei. Traurig, aber wahr: Früher waren wir dick befreundet, jetzt sind wir dick und befreundet.

Wir starren auf die Speisekarte, betretene Stimmung breitet sich aus.

Und dabei haben wir uns so auf dieses Treffen gefreut! Schon die Terminfindung gestaltete sich extrem schwierig. Ohne Hotelübernachtung geht es nicht, für ein eintägiges Treffen ist die Anreise zu weit. Aber zwei Tage zu finden, an denen wir alle drei Zeit haben, erwies sich als schwierig. Abgesehen von unseren Berufen haben wir nämlich auch noch insgesamt sieben mehr oder weniger anspruchsvolle Kinder und drei ebenso pflegeintensive Hunde zu versorgen. Und Anjas Oma will ja bei der Planung auch gefragt werden! Verabredungen zu dritt erfordern bei uns deswegen ungefähr denselben Organisationsaufwand wie ein Gipfeltreffen der G7-Staatschefs. Aber wir haben es geschafft, auch wenn’s nicht leicht war. Und jetzt nach all den Mühen diese Stimmungsflaute!

Als wir die Karten studieren, fühlen wir uns ziemlich unwohl, aber keine sagt was. Doch dann sehen wir zufällig im selben Moment auf. Unsere Blicke treffen sich, und wir müssen lachen.

»Ich bin ja froh, dass wir alle zugenommen haben.« Mara lächelt in die Runde. »Stellt euch mal vor, eine von uns wäre hier als superschlankes Elfenwesen aufgelaufen und hätte an einem Salatblatt genagt. Das wäre doch schrecklich, oder?« Rasch verdrängt sie den Gedanken an die Grünpflanze im Foyer des Restaurants, die sie beim Reinkommen gesehen hat, ein Gewächs namens Fasspalme, dessen flaschenförmiger Stamm sie irgendwie an ihre eigene Statur erinnert hat. Und um sich davon abzulenken, winkt sie dem Kellner und bestellt Bruschetta mit viel Knoblauch für alle.

Anja grinst. »Wenn ihr wüsstet! Ich habe mir ja solche Mühe gegeben, wenigstens ein bisschen schlanker auszusehen. Sonst hätte ich mich niemals in dieses Ganzkörperkondom alias ›nahtlose, formende Unterwäsche‹ gezwängt. Und da passt maximal noch ein Süppchen rein.«

»Ach Quatsch! Wir sehen großartig aus! Eben einfach nur doppelt so toll wie beim letzten Mal.« Lucinde lacht und blättert in der Speisekarte. »Lecker, das alles. Ich kann mich mal wieder überhaupt nicht entscheiden. Pasta oder Pizza? Wisst ihr schon, was ihr esst?« Sie ist völlig ratlos. »Und der Nachtisch hört sich fantastisch an! Ich nehme auf jeden Fall Panna Cotta. Nein, wartet, oder lieber doch Tartufo? Das sind doch diese kleinen Törtchen mit Eis, oder? Zur Feier des Tages? Mit drei Löffeln?«

Die Stimmung steigt. Das Restaurant ist ja wirklich schnuckelig und vor allem angenehm abgedunkelt. Der Kellner, der ein Küchentuch um seine Hüften gebunden hat, nennt uns »bellissime«, als er unsere Bestellung aufnimmt. Und das wollen wir ihm gerne glauben, egal, ob es der Wahrheit entspricht oder nicht.

Den Anfangsschock betäuben wir dann noch mit Prosecco und Komplimenten an uns selbst (gute Farbe, super Frisur, tolle Tunika!). Und je später der Abend, desto höher der Alkoholkonsum, desto besser die Laune. Lucinde entscheidet sich für einen Nachtisch. Mara vergisst die Fasspalme. Und Anja verzieht sich auf die Toilette, wo sie den Figurformer in ihrer Handtasche verschwinden lässt.

Gegen zehn fühlen wir uns wieder elfengleich und schlank. Und wir erkennen, dass zwei Jahre ohne ein Treffen eindeutig zu lange gewesen sind, um alles an einem Abend aufholen zu können. Wir brauchen mehr.

Spontan beschließen wir, dass dringend ein gemeinsamer Urlaub gebucht werden muss, ja, wir finden die Idee so grandios, dass wir sie sofort in die Tat umsetzen.

Nach einem weiteren Gläschen bucht und bezahlt Lucinde über ihr Smartphone zehn Tage Thailand drei Monate später für uns alle. Selbstverständlich ohne Reiserücktrittsversicherung. Braucht man ja auch nicht, wenn man sich seiner Sache sicher ist. Und ohne Absprache mit Mann oder Kindern. Und ohne an die Folgen zu denken …

Der nächste Morgen ist grauenhaft. Unsere Smartphones wecken uns wie nachts im Rausch vereinbart zeitgleich mit thailändischer Meditationsmusik. Wir erwachen alle drei mit dickem Kopf und Waschbäraugen (man sollte sich abends immer abschminken …). Als wir in unsere Bäder wanken, zeigen uns die gnadenlos grell ausgeleuchteten Hotelspiegel die grausame Realität. Nein, elfengleich und schlank sind wir definitiv nicht. Darauf erst mal einen starken Kaffee. Wir treffen uns im Frühstücksraum und sind für unsere Verhältnisse alle drei auffallend wortkarg.

Doch mit dem Kaffee kommt auch die Erinnerung zurück.

»Moment mal«, sagt Mara plötzlich. »Da war doch was. Gestern. Irgendetwas mit Thailand. Oder hab ich das geträumt?«

Mara, Anja und Lucinde sehen sich entsetzt an. Schock! Mara hat recht! Da war was! Lucinde kneift die Augen zusammen, in der vergeblichen Hoffnung, sich besser erinnern zu können, und Anja erbleicht. »O nein, Mara!«, sagt sie. »Das war kein Traum! Wir haben wirklich eine Reise gebucht!« Sie greift sich an die Stirn. »Was für eine Schnapsidee!«

»Vielmehr Prosecco«, wirft Lucinde sarkastisch ein, während sie aufgeregt in ihrer Handtasche nach ihrem Handy sucht. Als sie es gefunden hat, tippt sie hektisch darauf herum. Dann lässt sie es sinken und schaut die beiden anderen zerknirscht an. »Und abgebucht ist das Geld auch schon, Mädels.«

Stille breitet sich aus, in der sich jede überlegt, wie sie aus dieser Nummer wohl am besten wieder herauskommt. Fakt ist: Die Reise steht. Und auch wenn der Kopf schmerzt, die Planung ein wenig überstürzt ist und die Durchführung möglicherweise nicht ohne Hindernisse ablaufen wird: Die Idee war ohne Zweifel gut.

Sonne, Strand, Wellness, wir drei mit viel Zeit? Warum eigentlich nicht?

Schließlich kommen wir im hellen Morgenlicht und trotz Kater zu dem Schluss: Wir bleiben dabei.

Aber plötzlich ertönt aus unseren Smartphones schon wieder Meditationsgedudel. Mist, war da etwa noch was? Offensichtlich! Unsere Handys erinnern uns daran, dass uns an diesem Morgen noch eine Prüfung bevorsteht, die wir am Vorabend im Prosecco-Rausch gedankenlos beschlossen haben: »Juhuuu, 9:30 Uhr. Bikini kaufen! Thailand, wir kommen!«

Urlaub ohne unsere Tuniken? Dafür mit viel nackter Haut? Autsch! Am liebsten wären wir wieder in unsere Betten gekrochen. Aber nein, wir tun es nicht. Wir nehmen die Herausforderung an.

Bikini? Ähm, nein. Die zarte, blonde Verkäuferin im Wäscheladen rät uns zu einem Tankini, also einem Zweiteiler mit Figur umspielendem Top als Oberteil. Und dabei wird sie ganz rot. Am liebsten hätte sie uns wohl einen Burkini vorgeschlagen, also einen Ganzkörperbadeanzug, aber sie hat keinen da. Selbst als wir gehorsam Tankinis anprobieren (und nein, »Tankini« kommt nicht von »Tanker«, auch wenn es in diesem Fall gut passen würde, sondern von »Tank Top«), wird ihre Miene nicht entspannter, denn unsere weiblichen Rundungen finden immer einen Weg aus den Stoffschichten heraus, und zwar an Stellen, wo sie besser dringeblieben wären. Das sieht nicht schön aus. Gar nicht schön.

Irgendwann reagieren wir mit Trotz. Lucinde kauft einen roten Bikini in Größe 38, egal, wie die Verkäuferin guckt. Mara entscheidet sich für einen Tankini, weil mehr manchmal einfach mehr hermacht, wie sie behauptet. Und Anja sagt zu der blonden Elfe, dass sie einen echten Hingucker sucht und dass es hier leider nichts Passendes für sie gibt, weil ihr alles viel zu schlicht ist. Der Verkäuferin entgleisen die Gesichtszüge.

Nach einer gefühlten Ewigkeit stolpern wir verstört aus der Boutique und sinken in die Stühle des nächstgelegenen Cafés, in dem wir alle nur einen Ingwertee bestellen und sonst nichts, weil wir nie, nie, nie wieder irgendetwas essen wollen. Ja, wir sind verletzt, beschämt und frustriert, ob unseres halb nackten Anblicks im Spiegel.

»Habt ihr meinen Hintern gesehen?« Lucindes Augen sind weit aufgerissen.

»Dein Hintern? Im Vergleich zu meinem Bauch ist der gar nichts!« Anja greift sich an die Körpermitte und verzieht das Gesicht.

Mara reibt sich die Stirn. »Habt ihr zufällig was gegen Kopfschmerzen dabei?«

Lucinde wühlt in ihrer Handtasche und bringt ein Fläschchen mit kleinen Kügelchen zum Vorschein, das sie Mara reicht. »Was mir Sorgen macht, ist mein eigener Anblick. Nackt! Im Bikini!« Sie schüttelt den Kopf. »Manche Bilder wird man sein Leben lang nicht mehr los....