Dem Sterben begegnen - 30 junge Menschen sprechen mit sterbenden Menschen und deren Angehörigen

von: Prof. Dr. Martin W. Schnell, Dr. Christian Schulz

Hogrefe AG, 2015

ISBN: 9783456754628 , 224 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 16,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Dem Sterben begegnen - 30 junge Menschen sprechen mit sterbenden Menschen und deren Angehörigen


 

2. Gespräch mit einem sterbenden Menschen – zwei Jahre danach


2.1 Meine Begegnung mit dem Sterben eines Anderen und der Endlichkeit meiner selbst – Erfahrungsberichte 18 junger Menschen, die Sterbenden begegneten


Zwischen Juni und Dezember 2012 führten 30 junge Menschen ein oder mehrere Gespräche mit einem sterbenden Menschen und dessen Angehörigen. Diese Initiative sollte einen Anstoß bieten, um über die Endlichkeit der eigenen Existenz zu reflektieren.

Im Spätsommer 2014, also etwa zwei Jahre nach der Begegnung mit dem Sterben, wurden die 30 jungen Menschen gebeten, den nachfolgenden Fragenkatalog zu beantworten. Nicht alle 30 waren dazu bereit, da viele für sich selbst inzwischen mit dem Projekt abgeschlossen hatten. 18 junge Menschen legten aber ein aktuelles Zeugnis von ihrer Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens ab. Diese Zeugnisse werden nachfolgend erstmals veröffentlicht.

Fragenkatalog

Wir bitten dich, folgende Fragen und Themen aussagekräftig zu beantworten. Bitte keine bloßen Stichworte! Denke an den späteren Leser des Buches. Er muss dich verstehen können.

Bitte schreibe deine Meinung. Nur Mut! Und: Bitte nutze Texte aus deinen Blogeinträgen, wenn du diese für geeignet hältst. Du kannst z. B. auch Ausschnitte davon benutzen und darüber schreiben, wie sich deine Meinung/Sicht seitdem geändert hat.

  1. Bewerbungsfoto 2012 und ein aktuelles Foto
  2. Name
  3. Aktuelle Beschäftigung (Studium, Beruf, Orientierungsphase …)
  4. Wenn du an das Frühjahr 2012 zurück denkst, was hat dich bewogen, eine Bewerbung für ein Gespräch mit einem sterbenden Menschen abzugeben?
  5. Wie hat dein Umfeld auf diese Bewerbung reagiert?
  6. Als du die Zusage erhalten hattest, wie ging es dir damit in den nachfolgenden Tagen?
  7. Dann kam das Gespräch! Mit wem hast du gesprochen? Charakterisiere bitte den sterbenden Menschen bzw. den Angehörigen!
  8. Wie hast du dich während des Gesprächs gefühlt? Auch wenn es nicht einfach sein sollte – versuch es bitte!
  9. Wie hat sich dein Gesprächspartner wohl gefühlt? Was meinst du?
  10. Würdest du sagen, dass euer Gespräch gelungen war? Wenn nicht, was waren die Gründe aus deiner Sicht? Sei ganz offen!
  11. Was ist dir heute(!) aus dem Gespräch noch besonders in Erinnerung geblieben?
  12. Denkst du oft an deine/n Gesprächspartner/in zurück?
  13. Wollte dein/e Gesprächspartner/in dir etwas mitgeben?
  14. Hast du etwas aus dem Gespräch für dein Leben mitgenommen? Was ist es?
  15. Würdest du das Gespräch irgendwann noch einmal führen wollen?
  16. Eine Freundin berichtet dir davon, dass es eine neue Ausschreibung zu «30 junge Menschen – Teil 2» gibt. Sie denkt darüber nach sich zu bewerben und bittet dich um deinen Rat. Was würdest du ihr sagen?
  17. Möchtest du noch etwas anfügen?

Berichte der 18 jungen Menschen

2.1.1 Anne Strapatsas (Medizinstudentin)


Nach meinem Gespräch habe ich verstanden, dass meine persönliche Sanduhr unwiderruflich kontinuierlich in eine Richtung läuft. Dass ich nur diese eine Chance, diese Möglichkeit habe. Und je mehr ich darüber nachdenke, wie traurig oder tragisch es erscheint, dass alles irgendwann endet, desto mehr Sandkörner fließen während dieser schweren Gedanken immer weiter zu Boden. Ich kann es nicht manipulieren oder ändern, ich kann das Leben oder mein Schicksal nicht austricksen. Mir ist bewusst geworden, dass ich nichts anderes tun kann, als jedes einzelne Sandkorn als Geschenk zu betrachten und es bestmöglich auszunutzen.

Es ist eine andere Form der Erfahrung, mit einem Menschen zu sprechen, der so unmittelbar vom Tode bedroht ist. Das ist so viel eindrücklicher und prägender, als sich auf Distanz damit gedanklich auseinander zu setzen. Die Angst und die Trauer, aber auch die Freude und Dankbarkeit für die unzähligen Möglichkeiten, Momente und Erfahrungen in den Augen des Gegenübers zu sehen, fand ich sehr berührend.

Wie sich mein Gesprächspartner gefühlt haben muss!? Auf einen fremden jungen Menschen zu treffen und ihn derart an der Situation und den Emotionen teilhaben zu lassen. Etwas mitzugeben, was irgendwie ewig bleibt. Wie viel Mut, Kraft und Respekt das bedeutet. Ich bin dankbar, dass ich diese Erfahrung machen durfte und dass mir mein Gesprächspartner dieses Vertrauen entgegengebracht hat.

Vor diesem Projekt war ich so sehr darauf bedacht, eine Sinnsuche zu betreiben und diesen Sinn als solchen bis in jedes Detail ausmachen zu wollen. Aber ist der Sinn des Lebens nicht das Leben selbst?

Natürlich ist das eine idealisierte Betrachtung, die ich nicht jeden Tag tragen kann. Aber egal, wie sehr ich mich dem Schnelllebigen der modernen Gesellschaft hingebe, so schnell kommt auch jedes Mal der Gedanke auf, dass ich nicht zu wenig Zeit habe, sondern dass lediglich die Frage ist, wie man sie bestmöglich nutzt.

Durch dieses Projekt habe ich gelernt, mich in verschiedenen Situationen zu «setten» und darauf zu besinnen, wie wertvoll Zeit und Leben eigentlich ist. Das sind Situationen, in denen man dazu neigt, sich über fehlende Zeit zu beklagen. Dabei gibt es nicht zu wenig Zeit.

Welchen Wert hätte es, wenn Dinge unendlich währen würden? Man wäre viel zu gewöhnt an diesen Status der Beständigkeit, als dass man dessen Wert ermessen könnte.

Dieses Projekt hatte zum Inhalt, Begegnungen zwischen jungen Menschen und Sterbenden bzw. deren Angehörigen herzustellen. Eine Auseinandersetzung mit dem Tod und der eigenen Endlichkeit. Rückblickend war es für mich viel mehr als das. Es war eine Auseinandersetzung mit dem Leben. Eine Auseinandersetzung, die mir gezeigt hat, welches Privileg ich habe. Dass ich jeden einzelnen Tag die Freiheit habe, auszuwählen; mein Leben zu gestalten und das zu tun, was ich mir immer gewünscht habe.

2.1.2 Catherine Kroll (Psychologiestudentin)


Als ich im Internet einen Artikel über das Projekt gelesen habe, fand ich die Idee wahnsinnig spannend. Allerdings stand für mich in dem Moment nicht zur Debatte mich zu bewerben, denn ich persönlich habe mich zu dem Zeitpunkt nicht mit dem Thema verbunden gefühlt. In den folgenden Tagen habe ich bemerkt, dass mich dieses Projekt nicht loslässt. Ich habe ständig daran gedacht – aber auch an mein Leben und den Tod und vor allem an die Menschen, die in der Situation sind, wissend, dass sie in absehbarer Zeit sterben werden, und trotzdem den Mut fassen, sich mit einem jungen Menschen auseinanderzusetzen. Gibt es etwas, das ein Sterbender gerne weitergeben möchte? So etwas wie eine Lektion? Ich wollte es herausfinden und bewarb mich …

Zunächst habe ich meinen Eltern von der Bewerbung erzählt. Meine Mutter war begeistert und hat mich trotz meiner anfänglichen «Angst» ermutigt, da sie selbst beruflich mit sterbenden Menschen zu tun hat und es für sie kaum etwas Bereichernderes gibt. Mein Vater hat mich auf der einen Seite für meine Wissenslust und meine Offenheit bewundert, auf der anderen Seite wusste er, dass er von nun an öfter mit diesem Thema konfrontiert würde und darüber reden muss als jemand, der den Tod als etwas Negatives ansieht und große Angst davor hat.

Meine Freunde reagierten zwiegespalten. Einige fanden die Idee toll und konnten sich gut vorstellen, dass das Projekt etwas Positives bei mir hinterlassen würde. Andere reagierten mit absolutem Unverständnis. Ich erinnere mich an ein Zitat von einer Freundin: «Warum willst du dich mit dem Tod beschäftigen? Du bist 19! Leb’ doch erst mal …»

Als dann die Zusage kam, habe ich mich unheimlich gefreut, dass ich einer der 30 jungen Menschen sein würde und die Chance bekam an dem Projekt teilzunehmen. Relativ schnell kamen zu der Freude und Euphorie aber auch Gefühle wie Angst und Unsicherheit. Angst bzw. unglaublicher Respekt davor, einem Sterbenden gegenüberzutreten, die richtigen Worte zu finden und dem Sterbenden das zu geben, was er sich von dem Gespräch erwünscht. Allerdings auch Angst vor Inszenierung. Ich wusste nicht, ob ich ich selbst sein könnte, wenn Kameras das Gespräch aufzeichnen. Zuerst fühlte ich Unsicherheit – bin ich der Situation gewachsen? Kann ich überhaupt mit einer fremden Person über das persönliche Leben reden, über den Tod? Können wir überhaupt miteinander reden?

Aber ich hatte das große Glück, mit zwei verschiedenen Menschen sprechen zu dürfen. Zum einen mit dem Mann eines im Sterben liegenden Mannes, zum anderen mit einer Dame, die selbst erkrankt war und wusste, dass sie in absehbarer Zeit sterben würde.

Ich habe mich dazu entschieden an dieser Stelle näher auf Frau V. einzugehen. Nicht, weil das Gespräch mit dem Angehörigen weniger bereichernd war, sondern weil die Gespräche mit Frau V. im Nachhinein «mehr» in mir bewirkt haben.

Frau V. war eine ältere Dame, seit fast 20 Jahren an Krebs erkrankt. Ihr Mann ist vor einigen Jahren an Krebs gestorben. Sie hatte zwei Söhne und Enkelkinder, die für sie das Wichtigste im Leben waren, neben ihrem Glauben zu Gott. Frau V. war eine sehr stolze Frau, die genau wusste, was sie wollte und was sie nicht wollte. Äußerlichkeiten und das, was andere über ihr Äußeres denken könnten, waren ihr sehr wichtig. Ich habe Frau V. als eine Dame empfunden, die etwas Unnahbares darstellte, aber dennoch eine unglaubliche Wärme und Liebe ausstrahlte.

Während des Gesprächs war jegliche Angst wie verflogen. Das, was Frau V. gesagt hat, mit welcher...