Agent Storm - Mein Doppelleben bei Al-Qaida und der CIA

von: Morten Storm, Paul Cruickshank, Tim Lister

riva Verlag, 2015

ISBN: 9783864137204 , 416 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Agent Storm - Mein Doppelleben bei Al-Qaida und der CIA


 

Kapitel 1
Die Straße in die Wüste


Mitte September 2009


Ich saß in meinem grauen Hyundai und spähte hinaus in die dickflüssige Finsternis. Ich war erschöpft und angespannt. Die Erschöpfung kam daher, dass mein Tag vor Morgengrauen mehr als 300 Kilometer nördlich in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa begonnen hatte. Der Grund für die Anspannung war, dass ich keine Ahnung hatte, wen ich treffen würde oder wann diese Männer auftauchen würden. Würden sie mich als Kameraden begrüßen oder als Verräter gefangen nehmen?

Die Nacht in der Wüste war von einer Intensität, wie ich sie in Europa nie erlebt hatte. Nirgendwo auf der Straße, die von der jemenitischen Küste in das gesetzlose gebirgige Gouvernement Schabwa führte, war das Licht eines Autoscheinwerfers zu sehen. Teilweise war die Straße kaum zu erkennen, da der heiße Asphalt mit einer dünnen Sandschicht bedeckt war. Noch lange nach Sonnenuntergang waberte eine feuchte Brise vom Arabischen Meer herüber.

In meine Beklemmung mischte sich das Gefühl der Schuld: In dieses Niemandsland, in dem al-Qaida vorrückte und die staatliche Ordnung zurückwich, hatte ich nur vordringen können, weil meine junge jemenitische Ehefrau Fadia an meiner Seite war.2 Der Vorwand, ihren Bruder zu besuchen, hatte die Soldaten an den Straßensperren dazu bewegt, uns zu erlauben, unsere gefährliche Fahrt in den Süden fortzusetzen.

Ich wusste, dass ich mit dem Versuch, den Kontakt zu Anwar al-Awlaki wiederherzustellen, mein Leben aufs Spiel setzte. Dieser charismatische amerikanisch-jemenitische Korangelehrte war mittlerweile eine der einflussreichsten Figuren von al-Qaida. Das jemenitische Militär und der Geheimdienst des Landes bekämpften al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) in jüngster Zeit entschlossener, denn die Gruppe war zu einer der aktivsten und gefährlichsten Fraktionen von Osama bin Ladens Terrornetz geworden. Auf unserer Fahrt nach Süden konnten wir in jedem Augenblick in einen Hinterhalt oder in eine Schießerei an einer Straßensperre geraten – oder einfach einem Missverständnis zum Opfer fallen.

Es bestand auch die Gefahr, dass mir Awlaki, den westliche Medien mittlerweile als »al-Qaidas Rockstar« bezeichneten, nicht mehr vertraute. Ich hatte diese Reise auf seine Bitte unternommen. In einer E-Mail, die er im Entwurfsordner eines von uns gemeinsam verwendeten anonymen Mail-Accounts abgelegt hatte, hatte er geschrieben:

»Komm nach Jemen. Ich muss mit dir sprechen.«1

Seit unserer letzten Begegnung war fast ein Jahr vergangen, und in dieser Zeit hatte Awlaki seinen gnadenlosen und schicksalhaften Weg fortgesetzt. Aus einem radikalen Prediger, der mit al-Qaida sympathisierte, war ein einflussreiches Mitglied der Führung der Terrororganisation geworden. Awlaki beteiligte sich jetzt an den Plänen, den Terror zu exportieren.

Ich hatte bereits ein Treffen verpasst. Awlaki hatte mich eingeladen, in einem abgelegenen Teil der Wüstenregion Marib, der angeblichen Heimat der Königin von Saba, an einem Treffen führender jemenitischer Dschihadisten teilzunehmen. Awlakis jüngerer Bruder Omar hatte diese Reise organisieren sollen, aber er hatte darauf bestanden, dass ich mich in einen Niqab hüllte, einen Ganzkörperschleier, um als Frau verkleidet durch die Kontrollen zu kommen. Aber ich zweifelte an dieser Tarnung, denn ich war 1,85 Meter groß und wog fast 115 Kilo. Ich hatte das Angebot abgelehnt, obwohl der Fahrer, der mich zu diesen polizeilich gesuchten Männern hätte bringen sollen, ein Polizist war. Der Jemen war ein Land voller Widersprüche. Es hatte an mir genagt, nicht an einer derart wichtigen Versammlung von al-Qaidas Führung im Jemen teilnehmen zu können. Also brachen meine Frau und ich einige Tage später zu dieser Odyssee nach Schabwa auf.

Nach wenigen Minuten hörte ich in der Ferne das gedämpfte Dröhnen eines Motors. Dann sah ich die Scheinwerfer. Kurz darauf näherte sich ein Toyota Land Cruiser, in dem sich mehrere grimmig dreinblickende, mit Kalaschnikows bewaffnete junge Männer drängten. Dies war meine Eskorte. Ich drückte die Hand meiner Frau. In wenigen Augenblicken würden wir wissen, ob uns Schlimmes drohte.

Wir hatten den ganzen Tag lang die knappen Anweisungen befolgt, die Awlaki uns per Textmitteilung geschickt hatte. Es war wie eine bizarre Schnitzeljagd. »Nehmt diese Straße, biegt links ab, sagt den Polizisten, dass ihr entlang der Küste nach Mukalla reist.«

Es war fast unmöglich, mich meiner Umgebung anzupassen. Ein massiger Däne mit fuchsrotem Haarschopf und langem Bart fiel inmitten all dieser drahtigen, dunkelhäutigen Araber auf wie ein Außerirdischer. In einem Land, in dem Entführungen und Stammesfehden, schießwütige Polizisten und Dschihadisten jede Reise zu einem unvorhersehbaren Abenteuer machten, bot eine Erscheinung wie meine, ein riesiger Däne, der mit einer zierlichen jemenitischen Frau an der Seite in einem Mietwagen in den rebellischen Süden unterwegs war, einen zumindest ungewöhnlichen Anblick.

Der Tag hatte durchaus gut begonnen. Wir hatten es genossen, in der erfrischenden morgendlichen Kühle aufzubrechen, bevor sich die drückende Hitze über das Land legte. Gleich außerhalb von Sanaa hatten wir die erste Straßenkontrolle passiert, die immer die schwierigste war: Wie kam jemand auf die Idee, die relativ sichere Hauptstadt zu verlassen, um in den gefährlichen Süden zu reisen? Ich plauderte Arabisch mit den Beamten, was jedes Mal Eindruck auf sie machte, während meine Frau, die ihr Gesicht mit dem schwarzen Niqab verhüllt hatte, stumm neben mir saß. Es war kein Zufall, dass ich eine CD mit Koranversen eingelegt hatte. Ich erklärte den Polizisten, wir wollten uns mit dem Bruder meiner Frau treffen und gemeinsam zu einer Hochzeitsfeier an der Küste fahren. Wir wollten über Aden reisen, den wichtigsten Hafen am Arabischen Meer und Drehscheibe des jemenitischen Handels.

Den Polizisten am Kontrollpunkt fiel es schwer, die Angaben in meinem Pass zu entziffern. Die wenigsten dieser Männer konnten die arabische Schrift fehlerlos lesen, geschweige denn, dass sie das lateinische Alphabet beherrschten. Sie hielten mich offenbar für einen Türken, was daran liegen mochte, dass es undenkbar schien, ein Europäer könne durch den Jemen reisen. Mein breites Lächeln und meine scheinbare Vertrautheit mit der Umgebung genügten ihnen. Vermutlich half auch, dass September war, ein Monat von sengender Hitze in diesen Breiten, und dass wir uns obendrein mitten im Ramadan befanden. Die Beamten waren entkräftet vom Fasten.

Nachdem wir den ersten Kontrollpunkt hinter uns hatten, bestand die größte Herausforderung darin, auf der Straße zu bleiben oder zumindest zu vermeiden, von anderen abgedrängt zu werden. Gelegentlich sah ich am Fuß steiler Abhänge das verrostete Gerippe eines Lastwagens oder Busses liegen. Die Straßen im Jemen schienen sehr verlockend auf lebensmüde Fußgänger zu wirken, seien es Kamele, Hunde, Kühe oder Kinder, die unbeirrt von heranrasenden Fahrzeugen in der Mitte der Straße gingen.

Als die Farben des Morgens der weißen Hitze des Nachmittags wichen, fiel es mir zusehends schwer, mich auf die Straße und auf die Gefahren unserer Reise zu konzentrieren. Endlich gelangten wir aus den Bergen ins Küstentiefland der Tihama. In der Ferne lag die Hafenstadt Aden. Die Stadt hatte sehr unter dem rücksichtslosen Feldzug gelitten, den der nordjemenitische Präsident Ali Abdullah Salih nach dem Zusammenbruch des Südjemen in den neunziger Jahren begonnen hatte, um das geteilte Land wieder zu vereinen. Nun musste sich die jemenitische Regierung nicht nur mit den militanten Islamisten, sondern auch mit einer separatistischen Bewegung auseinandersetzen, die im Süden wachsenden Zulauf fand, weil sich die Bevölkerung dieses Landesteils gegenüber dem Norden benachteiligt fühlte.

Im Rückspiegel verschluckten die Berge die verglühende Sonne. Ich versuchte, mich im chaotischen Straßennetz am Stadtrand von Aden zu orientieren und den Weg zu der langen Küstenstraße zu finden, auf der ich nach Osten weiterfahren sollte, wie Awlaki mir in einer weiteren Textnachricht mitgeteilt hatte.

Anwar al-Awlaki gehörte einem einflussreichen Klan an, der in den Bergen von Schabwa beheimatet war. Sein Vater war ein angesehener Gelehrter und Minister in der jemenitischen Regierung gewesen, der mit einem Fulbright-Stipendium einen Doktortitel an der University of Nebraska erworben hatte. Der Sohn hatte nach dem 11. September 2001 in der (begründeten) Sorge, das FBI sei ihm auf den Fersen, die Vereinigten Staaten verlassen und eine Zeit lang an der Universität Sanaa unterrichtet. Anwar hatte sich wenige Monate vor dem Terrorangriff mit zwei der Flugzeugentführer in Kalifornien getroffen, obwohl es keinen Beweis dafür gab, dass er ihre Pläne kannte.2

Sieben Jahre später hatte sich die Situation und mit ihr Awlaki verändert. Präsident Salih bemühte sich verzweifelt um amerikanische Finanzhilfe und stand unter wachsendem Druck, härter gegen die Sympathisanten von al-Qaida vorzugehen. Im September 2008 hatten die Islamisten bei einem Selbstmordanschlag auf die amerikanische Botschaft zehn Menschen getötet, und es war zu Massenausbrüchen von al-Qaida-Terroristen aus »Hochsicherheitsgefängnissen« gekommen. Der Jemen war al-Qaidas ergiebigstes Rekrutierungsgebiet: Vor 9/11 waren zahlreiche ungebildete junge Jemeniten in die Ausbildungslager der Terrororganisation in Afghanistan geschickt worden. (Einige von ihnen waren Leibwächter von bin Laden geworden und wurden bei der Flucht aus dem Gebirgsmassiv Tora Bora gefangen und nach Guantanamo...