Ziemlich bester Schurke - Wie ich immer reicher wurde

von: Josef Müller

Fontis, 2014

ISBN: 9783038485889 , 320 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 14,99 EUR

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Ziemlich bester Schurke - Wie ich immer reicher wurde


 

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Es stimmt, ich war ein Schurke

Zwischen mir und meinem Gesprächspartner am Telefon mochten gut und gern 3000 Seemeilen liegen. Aber die knappe, kalte Drohung, die der Mann aus sich herauszischte, schoss mir wie glühende Lava ins Ohr.

Am anderen Ende der Leitung befand sich einer, mit dem nicht zu spaßen war. Der Name des Mannes war Bruce. Es gab Zeiten, da hielt ich Bruce für einen «Good Guy», einen verrückten Hund, einen coolen Typen, einen Superkumpel, auch für einen Freund, oder was ich damals so «Freund» nannte.

Bruce war großzügig; er verbreitete internationales Flair um sich herum, und er sah nun wirklich nicht schlecht aus: jung, drahtig, erfolgreich. Man konnte prima mit ihm in Bars abhängen, die Weltpolitik kommentieren oder mit sündhaft teuren Motoryachten die küstennahe See durchpflügen. Zu den Ritualen gehörte auch, dass man permanent ein paar dieser parasitär herumhängenden Models startklar machte für die Nacht – und ab und an eine Nase Kokain miteinander teilte, wenn der Kick nachließ.

Jetzt drohte mir «mein Freund» mit einem Killer, den er mir ganz gewiss auf den Hals schicken würde, wenn ich nicht innerhalb kürzester Zeit eine hohe Summe seiner Millionen, die er mir anvertraut hatte, an seine Frau transferieren würde – Geld, das ich dummerweise gerade an der Börse verzockt hatte.

Die Illusion, dass es sich bei meinem Freund Bruce um einen soliden amerikanischen Geschäftspartner handelte, dem ich bei einer größeren interkontinentalen Geldtransaktion behilflich war, besaß ich schon lange nicht mehr. Bruce war einer der gesuchtesten amerikanischen Drogengangster. Und ich war sein Geldwäscher. Er war der Gangster, und ich war der …

Ja, was war ich bloß? Ich ließ es in der Grauzone, denn ich wollte nicht darüber nachdenken, wer ich war und welches Mäntelchen ich mir umhängen müsste. Mein Dasein bestand aus einem Mix aus Sein und Schein, mit dem es sich prächtig leben ließ: Josef Müller, der vitale «Dreadnought», der Fürchtenichts und Kraftprotz im Rollstuhl, der es allen, allen, allen gezeigt hatte. Josef Müller, der clevere, unorthodoxe Geschäftsmann, der aus dem Nichts kam, aber einen untrüglichen Riecher für Geld und Erfolg besaß. Josef Müller, der Selfmademan, der ökonomisch durch jede Wand ging. Josef Müller, der Grandseigneur – Botschafter von Zentralafrika, Konsul von Panamá, Mann von Welt –, der sich aus kleinen Verhältnissen in Fürstenfeldbruck bei München in den internationalen Jetset hochgebeamt hatte. Josef Müller, der Genussmensch und Frauenliebhaber …

So ungefähr sah mein Selbstbild aus. Identität konnte man das nicht nennen, denn ich war gar nicht bei mir. Ich lebte ein Puzzle von geliehenen Identitäten, in denen ich mich pausenlos spiegelte. «A Hund is er scho» – sagen die Bayern, wenn sie finden, dass jemand ganz besonders unangepasst, clever und stark ist. Ja, «a Hund» wollte er sein, der Müller! Den Daumen sollten sie heben, mit den Augen sollten sie zwinkern bei der Nennung seines Namens. Zwanzig Sekunden genügten, und der Hund kam auf den Hund.

Ich sackte in mich zusammen; ein Nervenbündel, dessen schweißnasse Hände einen Hörer umkrallten. Alles, was ich war und zu sein glaubte, wurde in einem Moment zerschossen. Zerschossen durch die zischende Stimme von Bruce, dem Drogenboss, zerschossen durch einen mysteriösen Anruf aus der Zelle des Hochsicherheitstraktes eines Gefängnisses in Florida.

«Bruce ist kein Killer … Bruce ist doch kein Killer, he!, er doch nicht», beschwor ich mich selbst. Aber eigentlich hatte ich genug gesehen. Bruce agierte in einem Umfeld, in dem ein Menschenleben nichts zählte. Die diskrete Bande von Kubanern und anderen Latinos, die ihn, seine Familie und seine Freunde umgab, ob man sich nun am Pool, auf Reisen oder an der Bar befand, trug Waffen unter den Sakkos. Die geschniegelten Herrschaften dienten offiziell der Personensicherung, waren aber lebensgefährlich für alle, die sich den Anweisungen des Clans nicht willenlos ergaben. Für 1000 Dollar plus Tickets einen, besser zwei Latinokiller zu engagieren, sie über den Teich zu schicken, um mich hinzurichten – das, so konnte ich mir ausmalen, musste für Bruce, sogar vom Knast in Florida aus, ein Kinderspiel sein.

Die nächsten Wochen waren Horror pur. Ich wagte kaum, das Haus zu verlassen, schreckte zusammen, wenn es nur klingelte, wollte partout nicht zur Tür gehen. Verließ ich trotz meiner panischen Ängste das Haus, sah ich hinter jeder Ecke einen Pistolero lauern. Ich fixierte jede Gestalt, die in meine Nähe kam. Hatte der Mann da nicht dunkle Haare? Dieser Typ da, mit der Sonnenbrille! Sah er nicht aus wie ein Latino? Wie viel hatte ihm Bruce versprochen? In Parkhäusern meinte ich das dumpfe Ploppen einer schallgedämpften Waffe zu hören. Wenn ich mit dem Auto durch die Stadt fuhr, schreckte ich schon zusammen, wenn jemand neben mir an der Ampel hielt. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete ich den Fahrer. He!, sah er nicht wie ein gedungener Mörder aus? Ganz sicher würde er gleich das Seitenfenster herunterlassen, blitzschnell die Waffe auf dem Beifahrersitz ergreifen, das Mündungsrohr auf mich anlegen, abdrücken und mit Vollgas durchstarten.

Mit der Zeit stieg in mir die Hoffnung, dass sie mich nicht gleich umlegen würden. Bruce wollte ganz bestimmt wissen, wo seine Millionen sind. Denn dass er mir die Geschichte mit dem Pech meiner Börsenspekulation nicht glaubte, war mir klar. Er musste annehmen, dass ich ihn übers Ohr gehauen hatte.

So bekam ich über Nächte hinweg Albträume, in denen ich mich immer wieder von zwei seiner düsteren Jungs gefoltert sah, und zwar drehbuchmäßig, brutal, blutig. Ganze Thriller, von denen ich wohl in meinem Leben zu viele gesehen hatte, liefen in meinem Hirn ab. Mein inneres Filmzentrum erfand physische Qualen, mit denen mich meine Peiniger zwingen wollten, den Aufenthaltsort des Geldes preiszugeben.

Wie sollte ich ihnen aber klarmachen, dass es das schöne Geld von Bruce, all die vielen Millionen, die ich auf so abenteuerliche Weise nach München geschmuggelt hatte, gar nicht mehr gab? Es hatte sich in nichts aufgelöst. Weggeschmolzen, wie Schnee in der Sonne. Hier, Jungs, die Auszüge! Seht doch selbst. Keine Dollar mehr. Null, absolut null – Zero. Bitte glaubt mir doch!

Nacht für Nacht wachte ich auf, schweißgebadet, und hatte schreckliche Angst vor der Rache von Bruce, Angst sogar vorm Wiedereinschlafen, denn mich erwartete nur die Hölle neuer, schlimmer Träume.

In Wahrheit existierte die Gefahr nicht. Aus irgendeinem rätselhaften Grund musste Bruce entschieden haben, (jetzt) nicht gegen mich vorzugehen. Es genügte, dass die Angst da war. Dass sie da war und zur großen, bedrohlichen Macht in meinem Alltag wurde.

Im Feuer dieser Angst verstand ich langsam, wer ich wirklich war: ein Mitspieler des Bösen. Das Böse war keine Fiktion in schlechten Kriminalromanen; es existierte, quoll aus allen Ritzen, brach in meine sauber kontierte Welt ein, entwickelte eine unsichtbare, aber tödliche Omnipräsenz. Ich stand in aktiver Geschäftsverbindung mit dem Bösen, war Teil des bösen Systems, das sich jetzt gegen mich richtete und mich zu vernichten drohte. Morgen Früh vielleicht – auf dem Parkplatz von Edeka. Oder im Wald. Oder an einem Sommertag im Biergarten. Kopfschuss. Ende.

Als ich noch ein Kind war, hatte meine Mutter immer den alten Spruch zur Hand gehabt: «Sag mir, mit wem du umgehst – und ich sage dir, wer du bist.» Wie alle Kinder mochte ich den Spruch nicht. Ich wusste schon selbst besser, wer zu mir passte und wer nicht. Das musste ich mir nicht von den Eltern sagen lassen. Jetzt aber – im Feuer der Angst – kam mir zu Bewusstsein, dass ich einen Gangster meinen «Freund» genannt hatte. Wie weit war ich denn heruntergekommen? War ich selbst zum Gangster geworden? Ich habe das ehrlich erwogen. Damals zum ersten Mal, später immer wieder. In Morgenstunden, in denen mir der Suff und die Drogen des Vortages noch in den Kleidern hingen, in einsamen Nächten auf der Flucht, im Gefängnis.

Ich habe es hundertmal durchgekaut, und ich kann sagen, ein Gangster – nein, das war ich nicht. Die Mädels hatten es immer gut bei mir. Ich war nie kalt, bin nie über Leichen gegangen. Ja, ich bin sicher, es gab Gesetze, gegen die ich nicht verstoßen habe. Trotzdem hätte mir mit ein wenig Fantasie aufgehen können, dass all das schöne Geld, das mir zufloss wie der Mississippi dem Ozean, mit Blut und Tränen bezahlt wurde, mit Hunger, Elend, Ausbeutung, Suchtverfall, Menschenhandel und eben mit Mord. Trotzdem – ein Gangster war ich nicht.

Aber damit ist meine mühsame Ehrenrettung auch schon zu Ende. Es stimmt, ich war ein Schurke. Ich war Teil des Systems, habe schief in einer schiefen Welt gelebt, habe fünfe grad sein lassen, habe gelogen, betrogen und getrickst, Bilanzen...