Meine Zeit steht in deinen Händen - Biografie

von: Peter Strauch

SCM Hänssler im SCM-Verlag, 2015

ISBN: 9783775172547 , 592 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 14,99 EUR

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Meine Zeit steht in deinen Händen - Biografie


 

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Teil 2

1962–1966:

Theologische Ausbildung in Ewersbach


Mein Weg auf den »heiligen Berg«


In pietistischen Kreisen redet man oft vom »vollzeitlichen Dienst«. Gemeint ist in der Regel eine hauptberufliche Tätigkeit innerhalb der christlichen Welt. Ich liebe diesen Begriff nicht, weil er schnell zu Missverständnissen führen kann. Schließlich lebt jeder Christ vollzeitlich für Christus, egal in welchem Beruf er tätig ist. So sollte es zumindest sein.

Der Gedanke an eine theologische Ausbildung begleitete mich schon vor meiner Lehre als Werkzeugmacher. Mit 17 Jahren schrieb ich zum ersten Mal die »Bibelschule Bergstraße« an und erkundigte mich dort nach den Aufnahmebedingungen. Vermutlich durch meinen Gemeindepastor angeregt, richtete ich dann den Blick auf die theologische Ausbildungsstätte des BFeG in Ewersbach. Allerdings waren damit für mich einige Barrieren verbunden. Ich hatte ja weder Mittlere Reife noch Abitur – würde ich mit einem einfachen Volksschulabschluss das dortige Lernpensum bewältigen können? Außerdem war ich seit über einem Jahr in ein Mädchen verliebt, und für sie und mich war das von Anfang an keine Spielerei. Ich hatte gehört, dass eine Liebesbeziehung in Ewersbach unerwünscht sei, dachte aber nicht daran, sie deshalb aufzugeben. Offen gesagt, war die Liebe zwischen meiner Freundin Edelgard und mir in dem Jahr, seit wir uns kannten, erheblich tiefer und stärker geworden. Als ein umfangreicher Fragebogen des Ewersbacher Predigerseminars (heute: Theologische Hochschule) bei mir eintraf, fand ich dort unter anderem die Frage: »Sind Sie verlobt – heimlich oder öffentlich?« Ich kreuzte »heimlich verlobt« an, beantwortete auch die anderen Fragen und schickte den Bogen zurück. Einige Wochen später bekam ich die Zusage zum Studium. Es sei alles für mich bereit, las ich. Anfang Oktober 1962 sollte es losgehen.

Am Wochenende davor hatten wir in Ronsdorf noch unseren »Hollandabend«. Dafür wurde jeweils eine umfangreiche Tonbildserie zusammengestellt. Hier führte mein Cousin Hans-Hermann Regie, in seinen VW-Bus hatte er ein ganzes Studio eingebaut, mit dem er während der Hollandfreizeiten viele Foto- und Tonaufnahmen machte. Da eine ganze Reihe Kinder aus kirchen- und gemeindefremden Familien kam, erreichten wir über diese Abende auch Eltern, die sonst kaum Berührung mit der FeG oder einer Kirche hatten.

Auch Edelgard hatte an der Hollandfreizeit im Sommer 1962 mit ihrer Mädchenjungschar aus Halver teilgenommen und war deshalb ebenfalls beim Hollandabend dabei.

Nie vergesse ich den herbstlichen Montagmorgen danach, als ich sie in der Frühe zum Bus nach Lennep brachte. Es war ja ungewiss, wann wir uns wiedersehen würden. Nach der Ewersbacher Seminarordnung sollte eine Heimreise erst in den Weihnachtsferien möglich sein. Der Abschied von ihr schmerzte mich geradezu körperlich, und als der Bus meinen Blicken entschwand, heulte ich wie ein Schlosshund. Dann musste auch ich mich auf den Weg machen. Es war eine aufwendige Reise mit der Bahn über Siegen nach Dillenburg, von dort mit einem Bummelzug durchs Dietzhölztal bis nach Ewersbach. Immer noch habe ich die Stimme eines älteren Seminaristen im Ohr, der uns auf dem Ewersbacher Bahnsteig mit lauter Stimme willkommen hieß und einige organisatorische Anweisungen gab. Dann begann der Aufstieg auf den »heiligen Berg«.

Ewersbach liegt fast am Ende des Dietzhölztals. Das Tal ist nach dem kleinen Fluss »Dietzhölze« benannt, der nach ca. 15 Kilometer bei Dillenburg in die Dill mündet. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges befand sich die »Predigerschule« noch in Wuppertal, erst nach Kriegsende verlegte man die theologische Ausbildungsstätte des BFeG nach Ewersbach. Dabei wurden die Baracken eines ehemaligen Arbeitslagers umfunktioniert. Anfang der 60er-Jahre baute man auf dem weitläufigen Gelände ein Seminargebäude mit Unterrichtsräumen und ein Altenheim. Aber die Seminaristen (heute: Studierenden) wohnten nach wie vor in den nicht einmal ungemütlichen Holzbaracken. Das Gelände des Predigerseminars liegt am Hang des fast 700 Meter hohen Eichholzkopfes auf dem »Kronberg« und ist umgeben von weiten Wäldern. Hin und wieder hatte es Diskussionen gegeben, ob das Seminar nicht in einer Großstadt besser aufgehoben sei. Doch trotz eifriger Befürworter blieb man in dieser relativ abgelegenen Gegend.

Nun sollte das weitläufige Gelände also für vier Jahre mein Zuhause sein – eine große Umstellung für jemand, der das Leben auf dem Land nicht kennt. Ich kann nicht behaupten, dass ich meine Zeit dort mit großer Begeisterung begann. Mein Zimmer teilte ich mit einem anderen Wuppertaler. Wir kannten uns nur flüchtig, waren aber beide hocherfreut, uns zu begegnen und zusammen zu wohnen. Gerhard kam aus Vohwinkel und war ein großer, fürsorglicher und sehr verlässlicher Zimmergenosse.

Der erste Morgen begann mit einer Begrüßungsfeier im Seminargebäude, alle Lehrer und Seminaristen nahmen daran teil (Seminaristinnen gab es nicht, sie waren noch nicht zugelassen). Unser Anfängerjahrgang bestand aus zwölf Personen, die aus sechs verschiedenen Nationen kamen: Brasilien, Dänemark, Griechenland, den Niederlanden, der Schweiz und aus Deutschland. Nicht alle wollten das komplette Studium absolvieren, einige wie der Däne Frede und der Grieche Spiros hatten von Anfang an einen kürzeren Aufenthalt geplant. Allerdings wurden beide – trotz ihres kürzeren Aufenthaltes – sehr beschenkt: Beide fanden nämlich ihre Ehefrauen in Ewersbach. Sie waren Mitglieder der dortigen FeG und halfen manchmal bei diakonischen Arbeiten auf dem Kronberg aus. In diesen Zusammenhang gehört der damals gebräuchliche Satz: »Schwestern schlagt die Augen nieder, um die Ecke kommen Brüder …«

Von Anfang an faszinierte uns die Vielfalt in unserer Klasse, in ihr kamen ja ganz unterschiedliche Typen, Frömmigkeitsstile und Kulturen zusammen. Das war ein Reichtum, den es über das Unterrichtspensum hinaus zu entdecken galt. Also hockten wir nicht nur auf unseren Buden und paukten griechische und (im zweiten Jahr) hebräische Vokabeln. Wir trafen uns auch bei Rik und Walter, denn sie bewohnten das größte Zimmer, und darin hatten alle Platz.

Aber wir lernten auch unsere Lehrer und ihre Eigenheiten kennen. Da war Hermann Ruloff, den wir ein wenig respektlos »Onkel Hermann« nannten; er versuchte uns die griechische Sprache und Kirchengeschichte nahezubringen. Heinrich Wiesemann war ein beeindruckender Alttestamentler, der nicht nur Hebräisch, Archäologie und Altorientalische Völkerkunde unterrichtete – er lebte auch (fast) wie ein Patriarch des Alten Testamentes und sah entsprechend aus. Mit seinem schlohweißen gewellten Haar erinnerte er uns an die Väter Israels, ganz zu schweigen von seiner großen Familie (16 Kinder) und den Schafen auf seiner Weide. Friedhelm Schirmer war der Jüngste im Lehrerkollegium, er unterrichtete Griechisch, Deutsch und Literaturgeschichte. Da er außerdem ein begeisterter Musiker war und den »Brüderchor« leitete, fand ich zu ihm besonders schnell Kontakt. Manchmal begleitete ich ihn sonntagnachmittags bei seinen Predigtdiensten und spielte in den Gemeinden die Orgel. Das waren meist elektronische Instrumente, die in den 60er-Jahren in Mode kamen.

Der Lehrer, von dem ich geistlich am meisten profitierte, war Dr. Fritz Laubach. Er unterrichtete Dogmatik, Ethik, Neutestamentliche Exegese und Philosophie. Fritz Laubach kam ursprünglich nicht aus frommen Verhältnissen, erst als junger Mann hatte er zum Glauben gefunden und daraufhin Theologie studiert und promoviert. Einige Jahre war er in der Studentenmission (SMD) tätig, dann wurde er Prediger einer Freien evangelischen Gemeinde im Siegerland. Seit einigen Jahren unterrichtete er nun in Ewersbach und machte uns unter anderem mit den Irrwegen der sogenannten »modernen Theologie« bekannt. Manchmal teilte er uns sehr persönlich mit, worauf es im Glauben wirklich ankommt.

Arthur Katzenmeier war der »Hausvater« des Predigerseminars, wenigstens wollte er das gerne sein. Er teilte uns während der Woche zum Arbeitsdienst ein. Dieser Dienst bestand in der Regel aus einer praktischen Tätigkeit am Montagvormittag und jeweils zwei Mittagsstunden an den übrigen Wochentagen. Es gab Jahreszeiten, da ging es dabei ausschließlich um die Beseitigung herbstlicher Blätter und großer Mengen von Schnee. Aber es gab (manchmal) auch sehr nützliche Tätigkeiten. Zum Beispiel arbeitete ich monatelang mit Werner zusammen, der von Haus aus Anstreichermeister war. Wir haben viele Wände und Decken gemeinsam tapeziert und gestrichen. Deswegen war ich später bei unseren Wohnungsumzügen nie mehr auf einen Tapezierer oder Anstreicher angewiesen und konnte viele Kosten sparen. Eine besondere Beziehung hatte ich zu Rik. Er lebte zwar in der Schweiz, war aber Niederländer, und durch unsere Hollandfreizeiten fühlte ich mich zu ihm besonders hingezogen. Rik und ich verbrachten zeitweise unseren Arbeitsdienst im Altenheim. Freitags badeten und wuschen wir einen älteren Herrn, der sein Leben im Rollstuhl zubringen musste und zur Ganzkörperwäsche allein nicht fähig war. Nicht immer trafen wir die für ihn richtige Wassertemperatur, manchmal war ihm das Wasser in der Wanne zu kalt. Heute frage ich mich: Waren wir sensibel genug, um ihm unseren Badedienst so angenehm wie möglich zu gestalten? Hin und wieder gingen wir sicher zu locker mit ihm um.

Gute Voraussetzungen für den »Hirtendienst«


Aber vor allem waren wir in Ewersbach, um zu studieren und uns auf unseren späteren »Hirtendienst« vorzubereiten. Wenn ich mich richtig erinnere, hat es...