In der Mitte liegt die Kraft - Mit Zen gelassen bleiben in der Arbeitswelt

von: Hinnerk Polenski

Theseus Verlag, 2014

ISBN: 9783899017694 , 277 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 9,99 EUR

Mehr zum Inhalt

In der Mitte liegt die Kraft - Mit Zen gelassen bleiben in der Arbeitswelt


 

II.


DER
ZEN-LEADERSHIP-
WEG


Was ist Leben?

Wer bin ich?

Was ist der Weg des Lebens hier auf dieser Welt?

Zurück zum modernen Führungsstil, zur Führungskraft im Sinne von Selbstführung. Um sich und andere zu führen, muss der Mensch das Wesen der Dinge (er)kennen. Ohne diese Tiefe bleiben Ethik und Orientierung nur aufgesetzt, relativ, bedingt. Diese sind aber nur ein mikroskopisch kleiner Ausschnitt. Aufrecht zu sich selbst zu stehen, in seiner eigenen Mitte zu sein, bedeutet nicht – wie viele Menschen glauben –, dass ich aus dem Bauch heraus handle (nicht zu verwechseln mit der Intuition des Bauchhirns; das sind zwei ganz verschiedene Dinge).

Es ist keine besonders tolle Leistung, wenn ich einfach versuche, Gefühle ohne Rücksicht auszuleben. Zwar gibt es Menschen, die intellektuell so verstiegen und daher nicht in der Lage sind, ihre Gefühle zuzulassen. Für sie ist es wichtig, einen Weg zu finden, sich auch ihrem „Bauch“ zu öffnen. Doch das ungehemmte Ausleben von Gefühlen ist grundsätzlich nicht anzustreben. Denn Gefühle sind meist auch nur eine andere Form von Verlangen, Ablehnung und Verstrickung, Gier, Hass und Verblendung. Zwischen europäischem „Manager-Bauch-Gefühl“ und der japanischen Kraft, aus der eigenen Mitte zu handeln („Hara-Gai“), ist ein großer Unterschied. Das japanische Wort Hara bedeutet „Bauch“ und meint aber nicht Emotion, sondern Klarheit, Kraft und besonnenes Handeln. Wer, wenn er sagt, dass er „aus dem Bauch heraus handelt“, dies meint, ist auf einem guten Weg.

Führung, und damit ist hier in erster Linie Selbstführung gemeint, besteht also aus Klarheit, Mut und Menschlichkeit. Betrachten wir das deutsche Wort „Führungskraft“, dann stellen wir fest, dass es drei Aspekte beinhaltet: Führung, Kraft und die zu führenden Menschen, das Team. Führung setzt Klarheit, Vision und Orientierung voraus. Kraft bedeutet Meisterung der Selbstführung, Mut und Energie, um diese Klarheit, Orientierung und Vision zu initiieren und zu multiplizieren. Der Umgang mit Menschen fordert den Aspekt der Menschlichkeit.

Führung setzt Klarheit voraus

Um führen zu können, braucht es an erster Stelle Klarheit. Bin ich selbst klar, bin ich in meiner Mitte. Dann erst kann aus dieser Klarheit durch Achtsamkeit, Wahrnehmung und Offenheit eine Orientierung entstehen. Verfüge ich über die Offenheit der Intelligenz des Herzens, der Herzgeist-Ebene, dann eröffnet sich mir schlagartig das Potenzial der Gegenwart. Eine Vision entsteht. Ich meine jetzt nicht die „großen Ziele“. Es geht nicht um die Vision, ein Computer-Imperium zu schaffen oder vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden. Es geht um die leise klingende Vision des Herzens. Es geht um Harmonie und Ausgeglichenheit, um Freude und Freundschaft auch innerhalb des Arbeitslebens.

Das kann zum Beispiel in der Form geschehen, dass ich eine bestimmte Herausforderung klar vor mir sehe und gleichzeitig auch die Lösung dafür. Die Verwirklichung einer solchen Vision entsteht in vollkommener Offenheit. Doch bevor es an die Umsetzung geht, erscheint das Ich, das Ego, auf der Bühne. Und das Ich mit seiner Bedürftigkeit und Bedingtheit vernebelt meine Vision. Das Potenzial der Gegenwart geht verloren und damit auch die der Vision innewohnende Kraft. Jetzt zeigen sich vielmehr der Wille und die Verblendung des Menschen.

Egoistische Menschen mit großen Zielen sind durchaus in der Lage, zahlreiche Menschen zu begeistern, zu motivieren und zu bewegen, auch wenn diese erkennen, dass das Ziel egogebunden ist. Aber am Ende des Tages wird der Egoist „die Toten zählen“ und auf die Zerstörung zurückblicken, die auf seinem Weg der Umsetzung entstand, und wird das billigend in Kauf nehmen. „Wo gehobelt wird, da fallen Späne“, heißt es dann.

Menschen mit echter Vision werden an Menschlichkeit, Nachhaltigkeit und Wohlfahrt für alle gemessen. Dabei geht es nicht um Quantität, es geht immer um Qualität. Ein Grundschullehrer „sieht“ zum Beispiel in einer Schülerin deren Potenzial. Er hilft ihr durch persönlichen Einsatz und Hartnäckigkeit, gegen den Willen der Eltern ihr Abitur zu machen. Der Lehrer sieht im Gegensatz zu den Eltern das Potenzial, etwas Besonderes, in ihr. Er sieht etwas, das er nicht genau beschreiben kann, spürt es auch mehr, als dass er es konkret fassen kann. Später wird aus diesem Mädchen eine brillante Wissenschaftlerin, die ihren Beruf als Berufung lebt. Der Lehrer konnte nicht voraussehen, was aus der Schülerin werden würde, wohl aber sah und spürte er einen Weg, und dafür setzte er sich ein.

Es braucht Kraft, das Unheilsame
in mir zu überwinden

Der zweite Aspekt des Wortes „Führungskraft“ ist Kraft. Kraft meint an erster Stelle Vitalität, Lebensenergie, das energetische Grundaggregat des Menschen. Das ist die Kraft, die notwendig ist, um mich selbst zu besiegen und das Unheilsame in mir zu überwinden. Kraft, um überhaupt einen Weg zu gehen, ohne mich in Befangenheit, Bedürftigkeit und Nebensächlichkeiten zu verstricken.

In dem Begriff „Kraft“ steckt auch die Schaffenskraft. Das ist die Energie, die ich brauche, um dorthin zu gehen, wo noch niemand war, um das Unbekannte zu erforschen, Visionen, Ideen und neue Welten zu kreieren.

Dann ist da noch die Kraft im Sinne von Energie. Das ist die Energie, die nötig ist, um anderen zu helfen, andere zu begeistern, andere mitzunehmen. Das ist die Energie des Wachstums, die die Entwicklung und das Potenzial in anderen öffnet. Deshalb ist es gerade zu Beginn des Weges wichtig, diese innere Energie zu checken. Die Kraftmitte muss vorhanden sein.

Natürliche Führung verbindet:
Führen mit Menschlichkeit

Der dritte Bestandteil des Begriffs „Führungskraft“ bezieht sich auf die zu führenden Menschen. Ein Mensch, der sich selbst führen kann, braucht nicht zwingend ein Podium und Menschen, die er führt – im Gegenteil. Aber wenn er dienen und seine Orientierung weitergeben will, werden Menschen ihm von selbst folgen. Aus Verantwortung, Mitgefühl und dem Wunsch, der Gemeinschaft zu dienen, entsteht eine natürliche Führung. Hier verbindet sich das Führen von Menschen mit Menschlichkeit. Führung, die nicht dem Menschen und der Menschlichkeit dient, ist getarnte Egomanie und pathologische Bedürftigkeit. Sie führt zu Leid und Zerstörung. Sie ist zum Nachteil aller und bringt letztlich auch unendliches Leiden für den Führenden selbst.

Menschlichkeit ist der Weg, Leiden zu vermindern. Unmenschlichkeit ist der Weg, Leiden für sich und andere zu verstärken. Sich entwickelnde Stärke und Klarheit bedeutet immer auch, den Menschen zu dienen. Das bedeutet, Menschlichkeit als Güte, Mitgefühl und Milde, aber auch Klarheit, Weisheit und Mut zu verinnerlichen. Mein Weg als Mensch steht vor dem Weg der Menschen um mich herum und mündet in unseren Weg als Menschheit. Das meint der Buddha, wenn er sagt4:

„Auf sich selber achtend,

achtet man auf die anderen,

ihr Mönche,

auf die anderen achtend,

achtet man auf sich selber.”

Auf einer anderen Ebene heißt das: Sie können sowohl glücklich leben als auch im Beruf erfolgreich sein. Das sind nicht zwei Seiten einer Medaille – im Gegenteil: das IST die Medaille. Arbeit ist Leben und Leben ist auch Arbeit. Nur wer zufrieden und dadurch meistens glücklich ist, hat die Gelassenheit und innere Freiheit, um sich im Beruf erfolgreich zu bewähren, die richtigen Entscheidungen zu treffen und dabei empathisch und kollegial zu sein.

Mein Lehrer Reishin Bigan Roshi sagte zu mir: „Wir sind die Wettermacher unserer Welt, aber meistens sind wir Regenmacher. Auch wenn wir scheinbar erfolgreich sind, so stürmen wir mit irgendwelchen Fahnen durch den Regen, statt in der Sonne das Reifen unserer Saat zu beobachten. Manchmal muss man ringen, sich anstrengen, sein Bestes geben, manchmal muss es regnen, aber doch nicht immer, 365 Tage im Jahr und 24 Stunden täglich.“

Selbstführung ist die wirkliche Kunst:
Selbstentwicklung ist der Weg


Worum geht es also? Es geht um Selbstführung, es geht um Qualität. Bleiben wir zunächst bei dem Begriff der Selbstführung. Gemeint ist die Fähigkeit, die eigene Intuition zu schulen, eine eigene innere Ausrichtung zu finden. Der Weg dahin führt über das Erforschen und Sichtbarmachen des Wesentlichen in uns. Damit entdecken und verändern wir auch das Wesentliche um uns herum.

Dieses Sichtbarmachen und Erforschen (zum Beispiel in der Zen-Meditation) entwickelt sich mit der Zeit zu einem inneren Weg, der sich nicht an intellektuellen Maßstäben orientiert, nach dem sich aber später alles ausrichtet. Es entsteht fast automatisch...