Wenn die Liebe tanzen lernt - Roman

von: Jean Kwok

Goldmann, 2015

ISBN: 9783641159221 , 480 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,99 EUR

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Wenn die Liebe tanzen lernt - Roman


 

Eins

Mein Name ist Charlie Wong, und ich bin die Tochter einer Tänzerin und eines Nudelmachers. Meine Mutter war Primaballerina an der berühmten Pekinger Tanzakademie, bevor sie durchbrannte, um meinen Vater zu heiraten: den bestaussehenden Nudelmacher von ganz Peking – so hat sie ihn zumindest immer beschrieben, bevor sie starb. Hand in Hand flüchteten die beiden nach Amerika, um dort eine Familie zu gründen. Leider schien ich nichts von den Genen meiner Mutter mitbekommen zu haben. Stattdessen kam ich ganz nach Pa, von seinem guten Aussehen einmal abgesehen. Und von seinen geschickten Händen, denn es gelang ihm trotz aller Bemühungen nicht, zumindest seine bemerkenswerten Nudelmacherfertigkeiten an mich weiterzugeben. Mit meinen zweiundzwanzig Jahren arbeitete ich daher als Tellerwäscherin in dem Restaurant in Chinatown, in dem Pa der große Nudelmeister war. Die Kunden standen Schlange an der Hintertür, um seine Nudeln ungekocht nach Hause mitzunehmen.

An jenem Tag entdeckte ich Mrs Lee an der Hintertür, als ich von meiner winzigen Spülküche durch das Fenster in die Nudelküche hinüberspähte. Sie hatte für Pa eine Extraschicht Lippenstift aufgetragen und heftete den Blick nun fest auf seine gebräunten Hände, die die Bambusstange umschlossen.

»Können Sie die Nudeln für mich bitte besonders lang machen?«, fragte sie auf Mandarin. Sie stand ein wenig steif da, bemüht, nicht an den fettigen Türrahmen zu stoßen.

Pa nickte, während er das schwere Bambusrohr anhob und es dann erneut auf seinen Teig herabsenkte, der mit jedem Durchgang immer dünner wurde. Das Ende des Rohrs steckte in einem Loch, das oberhalb der Arbeitsfläche in die Wand gebohrt war. Nudelmachen war harte Arbeit, und ich wusste, dass Pas Hände voller Schwielen waren. War der Teig flach genug, schnitt er ihn mit seinem Hackmesser in vollkommen gleichmäßige Streifen und fing an, diese von Hand langzuziehen. Er drehte sie zu einem Strang und zog sie immer weiter in die Länge. Es war wie Magie.

Er blickte auf und lächelte Mrs Lee an. »Heute ist wohl Ihr Geburtstag.«

Sie kicherte doch tatsächlich, eine Frau in ihrem Alter! »Sie sind ein kluger Mann.«

Ich hätte verächtlich geschnaubt, hätten die Kellner nicht in diesem Moment eine weitere Plastikwanne mit gestapelten Schüsseln durch das andere Fenster hereingeschoben, das das Restaurant mit der Spülküche verband. Jeder wusste, dass es Glück brachte, am eigenen Geburtstag lange Nudeln zu essen, schließlich symbolisierten sie ein langes Leben. Genauso bekannt war in Chinatown, dass Mrs Lees Mann bereits vor etlichen Jahren gestorben war. Ich kratzte die Speisereste aus den Schüsseln und stapelte dann alles in einer weiteren Wanne. Dass die Frauen Pa Komplimente machten, war nichts Neues für mich. Viel Glück bei dem Versuch, ihn sich zu angeln, Mrs Lee, dachte ich. Seit Mas Tod hatte sich Pa mit keiner Frau mehr getroffen – und so würde es vermutlich auch bleiben, denn er war noch immer in sie verliebt. Ich stemmte die schwere Geschirrwanne mühelos hoch und beförderte sie ins Spülbecken. Seit mehreren Jahren arbeitete ich nun schon als Tellerwäscherin, genau genommen, seit ich die Highschool abgeschlossen hatte – und mein gestählter Bizeps zeugte eindrucksvoll von der Plackerei. Ich senkte den Kopf, um erneut durch das niedrige Fenster in die Küche spähen zu können. Ich war neugierig, was Mrs Lee mit meinem Vater im Schilde führte. Mir schlug eine aromatische Dampfwolke entgegen, weil gerade einer der Köche Ingwer und Knoblauch in einen Wok geworfen hatte.

Pa hatte das Ende des Nudelteigs inzwischen seinem Hilfskoch in die Hand gedrückt, und gemeinsam zogen sie die Nudeln durch die ganze Küche, während ihnen der dritte Koch geschickt auswich. Mrs Lee strahlte, als Pa die fertigen Nudeln für sie aufrollte.

»Leisten Sie uns doch Gesellschaft! Ich verspreche auch, dass die Nudeln ganz zart sein werden«, säuselte sie.

Pa überreichte ihr das Nudelpaket mit einer altmodischen Verbeugung aus der Hüfte. »Sie sind wirklich sehr freundlich, aber ich habe alle Hände voll zu tun mit meinen beiden Töchtern. Sie wissen ja, wie es ist.«

»Natürlich«, entgegnete sie und ließ die stark geschminkten Mundwinkel hängen. »Dann eben beim nächsten Mal.«

»Ja. Ich wünsche Ihnen ein langes, glückliches Leben«, sagte Pa und wandte sich an seinen Hilfskoch. »Holst du mir bitte einen Sack Mehl aus dem Keller?«

Eigentlich hätte ich diejenige sein müssen, die ihm beim Nudelmachen assistierte. Seit ich ein kleines Kind war, nahm mich Pa schon mit ins Restaurant, damit ich ihm zusah und von ihm lernte. Doch so sehr ich mich auch bemühte, mir fiel immer alles auf den Boden. »Du musst dem Teig gut zureden«, erklärte Pa stets, und ich malträtierte ihn stattdessen. Als Nudelmeister brauchte man magische Finger. Meine waren so ungeschickt, als würde ich Fausthandschuhe tragen. Genau wie Pa war ich groß und schlank, aber während seine ausgeprägte Nase und die scharf gezeichneten Wangenknochen bei einem Mann stark und attraktiv wirkten, waren sie für ein Mädchen wie mich zu markant – zumindest behaupteten das Tante Monica und Onkel Henry. Wie Pa und der Rest seiner Familie hatte ich eine eher dunkle Haut und war für ein chinesisches Mädchen zu hager und knochig. Außerdem hatte ich von klein auf gelernt, keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, und das gelang mir in den meisten Fällen auch.

Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Im Restaurant war es nachmittags ruhiger, aber meine Beine schmerzten bereits, weil ich seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen war. Ich spritzte Spülmittel ins Becken und drehte dann das Heißwasser auf. Anfangs war es für mich unerträglich gewesen, meine Hände in das kochend heiße Wasser zu tauchen, selbst dann, wenn ich zuvor ein wenig kaltes Wasser beigemischt hatte. Ich hatte es mit Handschuhen versucht, bis mir aufgegangen war, dass das dampfende Wasser ohnehin am oberen Ende der Handschuhe hereinsickerte, wenn ich die Arme tiefer eintauchte. Ich hatte also die Wassertemperatur Tag für Tag erhöht, bis meine Hände und Arme sich daran gewöhnt hatten. Wenn ich schon zu nichts anderem taugte, wollte ich wenigstens die beste Tellerwäscherin sein, die ich nur sein konnte. Dass meine Hände dabei rot und spröde wurden, machte mir nichts aus – das war nun einmal der Preis, den ich zu zahlen hatte.

Der aufsteigende Dampf sorgte zusammen mit den hohen Augusttemperaturen für drückende Hitze. Ich ließ einen Stapel Schüsseln ins Wasser gleiten und tauchte meine Hände und Unterarme ein. Meine Haut war inzwischen so rau und unempfindlich geworden, dass ich kaum noch zusammenzuckte. Je heißer das Wasser, desto schneller konnte ich arbeiten. Das Restaurant verfügte zwar über eine Spülmaschine, aber die war so antiquiert, dass ich das Geschirr vor dem Beladen so gut wie möglich vorreinigen musste, statt meine Zeit damit zu vergeuden, die Auffangsiebe von Rückständen zu befreien. Spülte ich die Schüsseln nicht gründlich genug vor, musste ich jede Waschladung noch einmal kontrollieren, wenn sie aus der Maschine kam. Vor allem während des Mittags- und Abendansturms zählte jede Sekunde, sonst ging uns rasch das saubere Geschirr und Besteck aus.

Ich hob einen weiteren Stapel benutzter Schüsseln aus der Plastikwanne und erstarrte, als ich feststellte, dass eine große Kakerlake daran hing. Auf keinen Fall wollte ich den Stapel ins Spülwasser befördern und hinterher die verbrühte Kakerlake herausfischen müssen. Das Insekt machte sich meine Unschlüssigkeit zunutze und krabbelte meine Hand und anschließend meinen Arm hinauf.

Ich kreischte. Der Geschirrstapel fiel scheppernd zu Boden, während ich wild auf die Kakerlake einschlug und versuchte, sie von meinem T-Shirt zu verjagen, bevor sie mein Gesicht erreicht hatte. Plötzlich erschien ein weißes Geschirrtuch in meinem Blickfeld und fegte die Kakerlake von meinem Körper. Sie landete auf dem Boden und blieb mit den dicken Beinen strampelnd auf dem Rücken liegen, bevor sie von einem Männerschuh zerdrückt wurde.

»Du bist wirklich die ungeschickteste Tellerwäscherin, die wir je hatten!«, schimpfte Mr Hu, der Inhaber des Restaurants. Seine runden Wangen schienen stets von einer Ölschicht bedeckt zu sein. »Beseitige das sofort!«

»Es tut mir leid«, stammelte ich. »Ich wollte …«

»Ich will es nicht hören!«

Pa tauchte in der Tür auf. »Mr Hu, sie arbeitet wirklich hart.«

Mr Hu war sofort besänftigt, als er meinen Vater sah. Ohne Pa hätte sein Restaurant einen Großteil seiner Kunden verloren. »Ich weiß, ich weiß. Und kräftig ist sie auch. Räum einfach schnell die Sauerei weg, Charlie. Und gib dir in Zukunft mehr Mühe. Porzellan ist teuer, das weißt du.«

Ich begann umgehend damit, das zerbrochene Geschirr aufzufegen. Als Mr Hu weg war, sagte ich auf Englisch: »Danke, Pa.« Ich verstand zwar Chinesisch, sprach es jedoch nicht sehr gut, und Pa und ich kommunizierten deswegen normalerweise auf Englisch. Manchmal sagte er auch etwas auf Chinesisch zu mir, und ich antwortete auf Englisch.

»Mit Seifenhänden kann jedem einmal eine Schüssel entgleiten. Der Mann braucht dringend Urlaub.« Pa gab mir einen liebevollen Klaps auf die Schulter, bevor er in seine Nudelküche zurückkehrte.

Ich wusste nicht, ob das Restaurant mich auch weiter beschäftigt hätte, wenn Pa nicht gewesen wäre, denn an billigen Arbeitskräften herrschte in diesem Teil New Yorks wahrlich kein Mangel. Aber ich gab mir wirklich Mühe, und das Restaurant hatte schon einige...