Phänomenologie und Soziologie - Theoretische Positionen, aktuelle Problemfelder und empirische Umsetzungen

von: Jürgen Raab, Michaela Pfadenhauer, peter stegmaier, Jochen Dreher, Bernt Schnettler

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN: 9783531910376 , 409 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 33,26 EUR

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Phänomenologie und Soziologie - Theoretische Positionen, aktuelle Problemfelder und empirische Umsetzungen


 

Intersubjektivität bei Schütz – oder: Ist die Frage nach dem Anderen aus der Phänomenologie entlassen? (S. 187-188)
Nico Lüdtke

Die Ansätze in der Traditionslinie der phänomenologisch fundierten Soziologie von Schütz nehmen eine besondere Stellung innerhalb der Soziologie ein. Eines der hervorstechendsten Merkmale und zugleich Vorzüge dieser Konzeptionen ist, Grundlagenfragen (in Form von Konstitutionsfragen) und die empirische Forschung nicht gegeneinander auszuspielen, sondern beides gleichermaßen als Bestandteil soziologischer Forschung auszuweisen. Die konstitutiven Bedingungen des Sozialen stellen in diesem Zusammenhang eine Schwierigkeit dar. Hierbei sind zwei Aspekte zu berücksichtigen: Intersubjektivität und Fremdverstehen.

Das Problem des Fremdverstehens bedeutet die Frage danach, wie ein Anderer (anhand dessen Äußerungen) verstanden werden kann. Eine Analyse intersubjektiver Verhältnisse versucht hingegen zu klären, wer als Anderer überhaupt infrage kommt. Es geht dabei um die Untersuchung, welche Entitäten als Sozialwesen die konstitutiven Elemente sozialer Beziehungen sind. Diese Frage nach den »Grenzen des Sozialwelt« (Luckmann 1980 [1970]) zielt damit auf einen Problemkomplex ab, der deutlich von Fremdverstehen abzuheben ist. Die Auseinandersetzung mit dem Problem der Intersubjektivität ist der Herkunft nach der Philosophie zugehörig.

Die Übernahme von philosophischen Ansätzen in eine soziologische Sozialtheorie ist jedoch durchaus nicht unproblematisch: Die Suche nach der Möglichkeit, dass ego und alter sich gegenseitig als alter ego erkennen, ist eines der Grundsatzprobleme der abendländischen Philosophie – insbesondere aufgrund des großen Einflusses der cartesianischbewusstseinstheoretischen Philosophie. Vor dem Hintergrund, dass einem Ich-Bewusstsein immer nur Eigenpsychisches und niemals fremdes Bewusstsein zugänglich ist, wird die Frage aufgeworfen: Wie kann Ich sicherstellen, dass der Andere kompetenter Handlungspartner und nicht seelenloser Zombie ist?

In dieser Form führt die Frage nach dem alter ego geradewegs in eine Aporie für die Soziologie. Aus jener skeptischen Haltung heraus, die einzig eine Sphäre des einsamen Ich als sicheren Boden hat, lässt sich kein gesellschaftliches Miteinander begründen. Eine solipsistische Perspektive auf den Anderen unterläuft die notwendige soziologische Grundannahme, dass eine Verständigung von ego und alter wahrscheinlich ist, denn eine Wissenschaft des Sozialen muss die Möglichkeit einer gemeinsamen Welt voraussetzen.

Diese Schwierigkeit wird anhand Husserls einflussreicher Auseinandersetzung über das Problem des alter ego deutlich, die er im Rahmen der Entfaltung einer transzendental-phänomenologischen Philosophie – vor allem in dessen V. Cartesianischer Meditation (1977) – geführt hat. Insbesondere von Schütz, den Husserl selbst als großen Phänomenologen geschätzt hat, wurde versucht, diesen Ansatz für eine Fundierung von Intersubjektivität in den Sozialwissenschaften fruchtbar zu machen. Kann Husserl aus Sicht der Soziologie eine überzeugende Lösung des Intersubjektivitätsproblems aufweisen? Der Ausgangspunkt zur Beantwortung dieser Frage soll im Folgenden die kritische Auseinandersetzung sein, wie sie Schütz betrieben hat. Die Kritik von Schütz, die explizit in das Problem der Intersubjektivität hineinführt, ist eine gute Folie, auf der sich die Schwierigkeiten der Husserlschen Konstruktion abheben lassen.