Eingeschaltet oder abgemeldet? - Interessen des Publikums im deutschen Radio- und Fernsehmarkt

von: Martina Werle

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN: 9783531909660 , 288 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 38,66 EUR

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Eingeschaltet oder abgemeldet? - Interessen des Publikums im deutschen Radio- und Fernsehmarkt


 

5 Prozessmodell des Rezeptionsmarktes (S. 103-104)

Die vorangegangenen Kapitel haben Rundfunk auf einer strukturellen Ebene (Kapitel 3) und in Rollenbegriffen von Publikum (Kapitel 4) betrachtet. Die Marktmechanismen sind dabei – zusammen mit dem politisch-rechtlichen Rahmen – zunächst Voraussetzungen für die Ausprägung eines bestimmten Rundfunkregimes. In Kapitel 5 soll es nun um die allgemeine Praxis der individuellen Transaktionen zwischen Rezipient und Sender gehen. Kapitel 4 hat die Perspektive der Marktinstitutionen und die individuelle Sichtweise aus Kapitel 5 miteinander verbunden, indem die Nutzungsmuster der Rezipienten betrachtet wurden.

Dabei standen die Ansprüche der Rezipienten an die Marktleistungen zur Diskussion sowie die Adaptionen des Rezipientenverhaltens an die vorgefundenen Marktverhältnisse. Zudem wurden in der Gesellschaft prominente Rollenbilder des Publikums behandelt. Hier ging es umgekehrt zum einen um die Erwartungen und Attributionen der Gesellschaft und der öffentlich-rechtlichen Anbieter (Abschnitt 4.1), der Werbewirtschaft (Abschnitt 4.2) und der privaten Anbieter (Abschnitt 4.3) an das Publikum und zum anderen um die Reaktionen des Marktes auf Regelmäßigkeiten im Publikumsverhalten. Die Rollenbilder vom Publikum und die ko-evolvierten Verhaltensmuster der Sender vermitteln indes kein hinreichend genaues Bild von den Transaktionen zwischen Sendern und Rezipienten.

Diese Transaktion wird maßgeblich von dem Verhalten der Publikumsmitglieder bestimmt: „Der Rezeptionsprozess selbst ist ein komplexes Geschehen und folgt je nach Bedürfnisstruktur des handelnden Ego zumeist einer ‚thematischen Voreingenommenheit‘. Er setzt sich zusammen aus: (a) einem biografisch vorgeprägten, gesellschaftlich situierten Rezipienten, (b) seiner Medienkompetenz beziehungsweise seinem medienspezifischen Vorwissen, (c) seinen aktuellen persönlichen und sozialen Bedürfnissen, (d) der vorbereiteten Rezeptionssituation beziehungsweise dem aktuellen alltagsweltlichen Rezeptionsrahmen, (e) dem konkret gewählten Medienangebot" (Ziemann 2006: 91). Darüber hinaus treten Rezipienten und Sender in verschiedene kommunikative Beziehungen, die mit dem Vorgang der Programmnutzung nur mehr oder weniger eng gekoppelt sind. Diese beiden Aspekte sollen nun in ein allgemeines Modell des Rezeptionsmarktes überführt werden. Im Mittelpunkt steht dabei die individuelle Programmwahl (Abschnitt 5.1)60. Zusätzlich werden soziale Faktoren berücksichtigt. In einem weiteren Schritt (Abschnitt 5.2) werden die Kanäle untersucht, auf denen sich Sender und Publikum über das Programm austauschen.

5.1 Individuelle Programmwahl

5.1.1 Bedürfnisse und Wünsche


Ausgangspunkt von Medienhandeln sind Bedürfnisse und Wünsche einzelner Rezipienten. Wünsche und Bedürfnisse können als individuelle Entsprechung des Knappheitsprinzips gesehen werden, das der wesentliche Antrieb für alle wirtschaftlichen Aktivitäten ist61: Das Individuum verfügt über weniger Ressourcen als es benötigt bzw. als es für nötig hält. Bedürfnisse können demnach als das Ziel betrachtet werden, einen Mangel an Ressourcen auszugleichen, die für das Individuum notwendig sind (needs). Im Unterschied hierzu sind Wünsche (wants) auf Ressourcen gerichtet, über die das Individuum gerne verfügen würde, bei denen jedoch auch schon eine geringere Menge ein Bedürfnis befriedigt (vgl. Karmasin 1993: 66f.).

Nahrung, Kleidung und Wohnraum stellen typische Beispiele für Bedürfnisse dar (vgl. Huber 2006: 14), während etwa in Bezug auf Medien vorwiegend Wünsche – und nicht Bedürfnisse – vorliegen: Sich informieren oder unterhalten zu wollen, kann nicht als notwendig bezeichnet werden. Allerdings macht gerade der Informationswunsch deutlich, dass zwischen Bedürfnissen und Wünschen nur durch eine Operationalisierung eine scharfe Grenze gezogen werden kann. Oberhalb einer rein physischen Ebene existieren jedoch durchaus weitere Notwendigkeiten, die die individuelle Wahrnehmung transzendieren. So korrespondiert das Informationsbedürfnis mit der in der Verfassung garantierten Informationsfreiheit: Der Zugang zu Informationen ist notwendig, damit das Individuum verantwortlich am Gemeinwesen partizipieren kann.