Kontinenzförderung - Ein Leitfaden

von: Sylke Werner

Kohlhammer Verlag, 2012

ISBN: 9783170279827 , 185 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

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Preis: 15,99 EUR

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Kontinenzförderung - Ein Leitfaden


 

2 Stuhlinkontinenz (Darmschwäche)


Stuhlkontinenz bedeutet die „Fähigkeit, den Darminhalt und Verdauungsgase willentlich zurückzuhalten und abzusetzen“ (Herold et al. 2005, S. 9). Das bedeutet, bei einer Stuhlinkontinenz ist die Fähigkeit, den Darminhalt zu kontrollieren, eingeschränkt oder verlorengegangen. Die Betroffenen leiden an Gasabgang, gelegentlichen, leichten Verschmutzungen der Wäsche mit Spuren von Kot bis hin zum ungewollten Verlieren auch festen Stuhls. Die Symptome sind sehr unangenehm und beeinträchtigen die Lebensqualität erheblich. Das Leben eines Menschen mit Stuhlinkontinenz kann sich dramatisch verändern. Betroffene haben Angst, fühlen sich unsicher, schämen sich und geben sich die Schuld. Aber auch das Umfeld, z. B. Angehörige, kann mit Ekel, Ärger oder vor allem Unverständnis auf den Verlust der Kontrolle über die Ausscheidungen reagieren.

Hinzu kommt die Tabuisierung des Themas Stuhlinkontinenz. Betroffene Patienten leiden möglicherweise über mehrere Jahre darunter, bevor sie sich einem Arzt anvertrauen. Es ist ihnen peinlich und ihre Beschwerden beeinflussen schließlich ihr gesamtes soziales Leben.

Dennoch handelt es sich vermutlich um eine sehr häufige Erkrankung, die eben aufgrund ihres Tabus zu wenig in die Öffentlichkeit gerückt wird. „In Deutschland muss mit einer Zahl von 5 Millionen gerechnet werden, die, in unterschiedlicher Ausprägung, an Stuhlinkontinenz leiden“ (DKG 2011b, S. 4). Die Betroffenen fühlen sich allein und oft hilflos, bevor sie endlich den Schritt zum Arzt wagen. Dabei kann vielen Stuhlinkontinenz-Patienten bereits mittels konservativen (nicht operativen) Therapiemethoden geholfen und ausreichende Behandlungsresultate erzielt werden.

Gerade jüngere Menschen leiden sehr unter den Symptomen einer Stuhlinkontinenz, denn Inkontinenz allgemein wird häufig als Phänomen des Alters gesehen. Dabei kann jeder betroffen sein, egal welchen Alters.

Tatsächlich tritt die Stuhlinkontinenz bei geriatrischen und psychiatrischen Patienten häufiger auf. „Frauen sind im Verhältnis von 4–5:1 häufiger betroffen als Männer“ (ebd.).

Eine Stuhlinkontinenz äußert sich nicht bei jedem Menschen gleich. Es wird zwischen verschiedenen Schweregraden unterschieden (Tab. 2.1). Tabelle 2.1 stellt eine in der Literatur übliche allgemeine Einteilung der Stuhlinkontinenz dar. Häufig treten Mischformen oder Übergangsformen auf.

Tab. 2.1: Verschiedene Schweregrade der Stuhlinkontinenz (Quelle: vgl. Herold et al. 2005, S. 10)

Grad I

  • unkontrollierter Abgang von Darmwinden
  • leichte Verschmutzung der Wäsche (Stuhlschmieren)

Grad II

  • unkontrollierter Abgang von Darmwinden
  • unkontrollierter Abgang von dünnflüssigem Stuhl
  • Durchfall kann nicht mehr zurückgehalten werden

Grad III

  • unkontrollierter Abgang von Darmwinden
  • unkontrollierter Abgang von flüssigem und festem Stuhl

Unabhängig von der Stuhlinkontinenz gibt es eine sogenannte Feinkontinenzstörung, die z. B. bei Hämorrhoidalleiden o. ä. auftritt und sich durch Nässen und Schmieren bemerkbar macht. Hier ist besonders zu differenzieren und diagnostizieren.

2.1 Anatomischer und physiologischer Überblick


Der Schließmuskelapparat (Schließmuskel = griech. Sphincter) bildet den Abschluss des Enddarms und ist in die muskulären und bindegewebigen Strukturen des Beckenbodens integriert. Er spielt eine bedeutende Rolle bei der Stuhl(in)kontinenz.

Der Schließmuskelapparat besteht aus einem inneren und äußeren Schließmuskel. Der innere Schließmuskel (Musculus sphincter ani internus) besteht aus einer glatten (unwillkürlichen) Muskulatur und ist nicht beeinflussbar. Er verschließt den Analkanal unwillkürlich, auch nachts, und öffnet sich nur reflexartig, z. B. bei der Entleerung (Defäkation). Der äußere Schließmuskel (Musculus sphincter ani externus) hingegen besteht aus einer willkürlich zu beeinflussenden quergestreiften Muskulatur. Sie unterliegt der Willkür des Menschen und macht somit die Kontrolle bzw. das Zurückhalten des Stuhles bewusst möglich. Gemeinsam mit dem dehnbaren Enddarm, der als Speicher für den Stuhl dient und den in der Darmwand eingelagerten Nerven sind sie als Funktionseinheit („Kontinenzorgan“) für die Kontinenz verantwortlich.

Eine Erkrankung des Darms, der Darmwand oder des Schließmuskels kann zur Stuhlinkontinenz führen. Wie bei der Harninkontinenz kommt auch bei der Stuhlinkontinenz der Beckenbodenmuskulatur eine besondere Bedeutung zu (siehe Kap. 1.2).

2.2 Wesentliche Ursachen der Stuhlinkontinenz


Viele unterschiedliche Faktoren können das Krankheitsbild prägen und an einer Stuhlinkontinenz sind meist mehrere Faktoren beteiligt (Tab. 2.2). Folgende Ursachen lassen sich zusammenfassen (vgl. dazu auch DKG 2011b, S. 6):

  • Schädigung des Schließmuskels und/oder der Analhaut,
  • chronische Durchfälle,
  • Motilitätsstörungen im Darm/Verstopfung,
  • Nervenschädigungen,
  • verringertes Reservoir im Mastdarm,
  • Beckenbodenschwäche.

Tab. 2.2: Wesentliche Ursachen einer Stuhlinkontinenz (vgl. dazu Herold et al. 2005, S. 12ff)

Verletzungen der Schließmuskel bzw. Analhaut

  • durch Geburtstraumen → Dammriss, wenn auch der Schließmuskel mit verletzt wird
  • anale Fisteln oder Tumoren

Chronische Durchfälle

  • z. B. Morbus Crohn
  • Colitis ulcerosa
  • Darmschleimhautschäden
  • häufige Stuhlgänge → ständige Reizung des Analkanals

Motilitätsstörungen im Darm/Obstipation

  • Kot lange im Enddarm, so dass er von Bakterien zersetzt, flüssig wird und ausläuft → Überlaufinkontinenz

Nervenschädigungen

  • dauerhafte Schädigung sensorischer, wahrnehmender, Nerven im Analkanal, z. B. durch Apoplex, Gehirnstörungen, Hämorridalleiden
  • dadurch:
    • Störung der Impulsverarbeitung
    • Unterbrechung der Pulsüberleitung
    • sensorische Störungen

Verringertes Reservoir im Mastdarm

  • z. B. durch Tumor- und Fistel-OPs
  • chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Weichteilrheuma, Rektumtumoren
  • auch durch Druck von Tumoren außerhalb des Rektums (z. B. im Beckenboden)
  • Rektumcompliance → Fähigkeit des Mastdarms, sich zu weiten, um Exkremente aufzunehmen und zu speichern, bis kontrollierte Entleerung möglich ist → Reservoir im Mastdarm von Bedeutung

Beckenbodenschwäche

  • häufig Nervenschädigungen → entstehen bei Verstopfung durch erzwungenes Pressen
  • Beckenbodensenkung durch nachlassende Muskelkraft (z. B. altersbedingter Muskelschwund)
  • angeborene Defekte im Bereich Rückenmark, Spina bifida oder Fehlen eines Afters
  • auch Diabetes kann Nerven und Blutgefäße des Beckenbodens schädigen

2.2.1 Verletzung der Schließmuskel bzw. Analhaut


Frauen sind allgemein von einer Stuhlinkontinenz häufiger betroffen als Männer, da ihr Schließmuskel schwächer angelegt ist als der von Männern. Die häufigste Ursache einer Verletzung des Schließmuskelapparates ist ein Dammriss bei der vaginalen Entbindung. Schädigungen des Sphincters (Schließmuskel) durch Geburtstrauma können auch oft nach Jahren noch eine Inkontinenz auslösen. Auch beim Durchtritt des kindlichen Kopfes...