Abgerippt: Frankfurt-Krimi - Kommissar Rauscher 7

von: Gerd Fischer

mainbook Verlag, 2014

ISBN: 9783944124513 , 240 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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Abgerippt: Frankfurt-Krimi - Kommissar Rauscher 7


 

Prolog


Ein Klingeln an der Wohnungstür störte Bernd Kessler. Ausgerechnet jetzt, dachte er, während seiner Lieblingsserie. Aus dem Fernseher erklang bereits die Mike & Molly-Titelmelodie. Er hatte sich zum Mittagessen eine Burger-Pizza im Ofen heiß gemacht und wollte sich gerade mit einer Cola auf seine Wohnzimmercouch begeben, kurz vorm Verhungern.

Obwohl er niemanden erwartete, ging er zur Tür.

Fehler Nummer eins.

Kessler strich sich durch seine graumelierten, schütteren Haare und schaute mit seinen hellwachen Augen durch den Spion. Er sah das Gesicht eines Mannes, der vor seiner Wohnungstür stand und von zwei weiteren Männern flankiert wurde. Kessler erschrak. Der Typ trug einen grauen Anzug und sah nach Anwalt oder Gerichtsvollzieher aus. Keinen der drei Männer hatte er je zuvor gesehen.

Der Schlipsträger hob ein Schreiben hoch und rief: „Herr Kessler, bitte öffnen Sie die Tür! Wir wissen, dass Sie zu Hause sind und wir kommen ohnehin rein. Die Hausbesitzerin hat uns einen Schlüssel gegeben. Es wäre also besser, wenn Sie öffnen würden. Wenn Sie nicht kooperieren, müssen wir Gewalt anwenden. Bitte lassen Sie es nicht soweit kommen!“ Es dauerte einen Moment, dann klingelte der Mann Sturm.

Kessler dachte nicht im Traum daran, den Fremden die Tür aufzumachen. Stattdessen schwieg er, als habe er nichts zu befürchten.

Fehler Nummer zwei.

Eine Weile war von draußen nichts zu vernehmen, ehe wieder die Stimme des Mannes erklang. „Herr Kessler, Sie haben jetzt noch drei Sekunden Zeit. Ich zähle rückwärts. Haben Sie das verstanden, ja? Drei Sekunden, kapiert?“

Kessler blieb stumm und starrte die Tür an.

„Okay, Sie wollen es offensichtlich nicht anders, Herr Kessler. Ich fange jetzt an zu zählen.“ Eine kleine Pause folgte.

„Drei.“

Einige Sekunden vergingen.

„Zwei.“

Und kurz darauf sagte der Mann: „Eins … So, jetzt reicht es, Herr Kessler. Wir kommen jetzt rein!“

Kessler machte immer noch keine Anstalten, die Tür zu öffnen. Danach ging alles sehr schnell. Er hörte, wie die Männer versuchten, mit einem Schlüssel seine Tür zu öffnen, doch seiner steckte von innen. Sie konnten das Schloss nicht öffnen. Gerade wollte sich Kessler ins Fäustchen lachen, als er einen dumpfen Schlag wie von einem Vorschlaghammer hörte. Dann noch einen. Und einen dritten. Das Holz der Tür splitterte, ein Loch entstand und das Schloss sprang aus den Fugen. Jemand hebelte die Tür auf. Die drei drangen in seine Wohnung ein. Der Schlipsträger drückte ihm den Zettel in die Hand. „Zwangsräumung!“

Kessler stellte sich den Männern in den Weg.

Fehler Nummer drei.

Derjenige, der vorneweg preschte, kickte ihn mit seinem bulligen Oberkörper zur Seite. Kessler verlor die Balance, fand mit den Händen keinen Halt und stolperte nach hinten. Sein Kopf schlug auf dem Boden auf und er trug eine schmerzende Platzwunde davon, von der er sich minutenlang nicht erholte.

Die beiden Handlanger brachten Pappkartons in die Wohnung und begannen mit der Arbeit. Kessler hielt sich den Kopf und schaute den Dritten wütend an, der mit den Achseln zuckte. „Sie sind mit der Miete knapp 6.000 Euro im Rückstand und haben die Frist verstreichen lassen“, schleuderte ihm der Mann entgegen. „Sie hätten längst ausziehen müssen. Die Wohnung ist vor einem Jahr gekündigt worden. Auf die Klage haben Sie nicht reagiert und zum Termin vor Gericht sind Sie auch nicht erschienen. Da lässt sich leider nichts mehr machen.“

Drei Stunden später saß Kessler mit pochendem Schädel, knurrendem Magen und verschränkten Armen auf einem Polstersessel vor seinem Haus in der Sachsenhäuser Hedderichstraße. Über dreißig Jahre lang hatte er hier zur Miete gewohnt. Von seinem Platz auf dem Bürgersteig aus konnte er den Frankfurter Südbahnhof sehen. Die hochstehende Sonne über dem südlichen Frankfurter Stadtteil brannte auf ihn nieder. Ihm war heiß. Sein Gemüt kochte ohnehin, seit er seine Wohnung unfreiwillig hatte verlassen müssen.

Hin und wieder tupfte sich Kessler mit einem Taschentuch die Wunde am Hinterkopf trocken. An seinen Schläfen perlten Schweißtropfen hinab, doch das schien ihn nicht zu stören. Er starrte geradeaus. Mit Sack und Pack hatten ihn die Leute des Umzugsunternehmens aus seiner Wohnung geschleppt. Um ihn herum stand der Bürgersteig voller Sachen. Die alte Vitrine aus dem Wohnzimmer. Der Esstisch aus der Küche. Sein Bett. Seine Klamotten waren in Kisten verpackt, die sich fast bis hoch zur Straßenlaterne stapelten.

Seine Nachbarin, Frau Thönnies, kam den Gehweg entlang und musste die Stelle umschiffen. Sie trat auf die Straße und ging um die ganzen Möbel herum zur Haustür. „Bernd?“, rief sie erschrocken. „Was ist denn passiert?“

Er wandte den Blick ab und schwieg.

Die verdattert dreinblickende Frau schüttelte verhalten den Kopf.

Bernd Kessler versuchte, ihr ein Lächeln zu schenken, aber es gelang ihm nicht. Er hätte ihr zu gerne erklärt, was hier vor sich ging, aber er brachte kein Wort heraus. Wenig später verschwand sie mit sorgenvoller Miene im Haus. Die Szene auf dem Bürgersteig schien sie zu überfordern.

Kurz nach ihr kam eine weitere Bekannte den Bürgersteig entlang, die Kessler von seinem Küchenfenster schon des Öfteren beobachtet hatte. Die Rabenfrau, so nannte er die Alte, trug immer die gleichen Klamotten. Eine abgewetzte, fettglänzende Weste, eine Jeans mit Löchern und braune Halbschuhe. Mit ihren langen grauen Haaren, die ihr in Strähnen ins Gesicht hingen, und der fetten dunklen Geschwulst, die auf ihrer Nase thronte, ähnelte sie nicht unwesentlich einer Hexe. Ihre rechte Hand jedoch, die sie hoch in die Luft streckte, zierte ein eleganter schwarzer Handschuh. Begleitet wurde die Rabenfrau stets von einem – manchmal sogar zwei oder drei – Raben, die nach den Essensresten und Müllabfällen gierten, die sie in einer Plastiktüte mitschleppte. Manchmal kam einer der Raben angeflogen und landete auf ihrer Hand. Einmal war Kessler ihr bis zum Stadtwald gefolgt, wo sie mit den Raben ihre tägliche Runde zu drehen schien. Seitdem hegte er den Verdacht, sie wohne vielleicht auch dort.

Als sie Kessler auf dem Sessel sitzen sah, blieb sie stehen und musterte ihn. Etwas schien ihr nicht geheuer zu sein. Ihre Augen leuchteten und wirkten weit weg. Vermutlich war sie einfach verrückt, dachte Kessler, oder – wie das heute genannt wurde – schizophren. Jedenfalls bekam er Muffensausen, wenn er sie zu lange anblickte, denn er musste dann unentwegt an Hitchcocks Vögel denken. Also drehte er den Kopf zur Seite und blieb stumm. Die Rabenfrau registrierte es, zögerte jedoch. Als sie einen Wagen hörte, dessen Fahrer die Hedderichstraße entlang bretterte und vor dem Haus in die Eisen ging, trottete sie weiter. Offenbar witterte sie Gefahr. Sie blickte in die Luft, gurrte zwei- oder dreimal, und die Raben folgten ihr; immer darauf bedacht, keinen der Brösel zu verpassen, die sie auf den Weg streute. Der Wagen, ein neuer metallicblauer Z4, fand eine Parklücke vier Häuser weiter. Ein Mann stieg aus.

Kessler wurde abgelenkt, denn schon kam der Nächste an seinem Sessel vorbei. Es war Thoms, dieser schnöselige neue Hausmeister, den er seit der ersten Begegnung vor einigen Wochen gefressen hatte. Der etwa dreißigjährige Mann kam auf Kessler zu, grinste feist und stemmte die Hände in die Seite. „Na, rausgeflogen?“

Kessler schaute demonstrativ weg, doch Thoms legte nach: „Wollen Sie hier Wurzeln schlagen?“

Anstatt es darauf beruhen zu lassen, drückte er den Finger noch tiefer in die Wunde. „Ich hab’s Ihnen immer gesagt, dass es einmal soweit kommen wird, aber Sie wollten mir ja nicht glauben.“

Kessler zuckte nicht einmal mit einer Augenbraue. Der Hausmeister verharrte noch einen Moment, dann schmunzelte er in sich hinein und schüttelte den Kopf. Bevor er grinsend weiter zog, reckte er seine Hand nach vorne. „Falls wir uns nicht mehr sehen … Machen Sie’s gut!“

Zögernd und widerwillig schlug Kessler ein. Er drückte ihm die Hand, zog sie aber sofort wieder zurück.

Was konnte er jetzt tun? Wohin konnte er mit seinem Kram gehen? Ihm fiel nur eine Möglichkeit ein.

Nie zuvor in seinem 67-jährigen Leben war er so wütend gewesen.

Kommissar Andreas Rauscher stand auf und ging zum Telefon, das klingelte. Er wollte gerade Feierabend machen, um übers Wochenende nach Hamburg zu seinem Sohn zu fahren. Er dachte an seine Freundin Elke, die ihn vor einigen Monaten mit Mäxchen verlassen hatte. Rauscher hatte sie vor dem Traualtar mitsamt der Hochzeitsgesellschaft...