Exklusion in der Marktgesellschaft

von: Daniela Klimke

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN: 9783531908625 , 322 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 34,99 EUR

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Exklusion in der Marktgesellschaft


 

‚Soziale Ausschließung’: Produktionsweisen und Begriffs-Konjunkturen (S. 19)

Heinz Steinert

1 Die Karriere von ‚Soziale Ausschließung’

‚Soziale Ausschließung’ hat eine schnelle Karriere gemacht: Bis in die 1980er Jahre gab es den Begriff in der Soziologie und in der Kriminologie nur als Randerscheinung. Durchgesetzt wurde er in den 1990er Jahren durch ein EU-Forschungs-Programm „TSER – Targeted Socio- Economic Research, mit einem Teil-Bereich „soziale Integration und soziale Ausschließung. Mit anderen Worten: Er wurde mit etwa 30 Millionen ECU (wie der Euro damals, 1994-98, noch hieß) erkauft.

Von Brüsseler Insidern wird berichtet, dass in den dortigen diplomatischen Anstrengungen, keine europäische Sozialpolitik zu machen, dieser Begriff (von der französischen ‚marginalisation’ ausgehend) präferiert wurde, weil man damit nicht von ‚Armut’ sprechen musste. Die Durchsetzung des Begriffs wurde vor allem dadurch erreicht, dass (geschätzt) etwa tausend Sozialwissenschaftler in ganz Europa veranlasst wurden, sich gegen Bezahlung ein bis zwei Jahre mit ‚Ausschließung’ zu beschäftigen.

Der Großteil davon waren Projekte zur Sozialpolitik und zu Sozialen Problemen, in denen die Autoren ihre bisherige Arbeit zu diesen Themen unverändert fortführten, sie aber ab jetzt in die Begrifflichkeit packten, die der Auftraggeber verlangte und ohne die man am Wettbewerb um die Forschungsgelder (die aus dem jeweils nationalen Zugriff nach Brüssel verschoben wurden) nicht teilnehmen konnte.

In der Kriminologie dauerte es noch ein wenig länger: Noch 1995 wurde im Kriminologischen Journal unwidersprochen ‚Ausschließung’ als Dramatisierungsbegriff abgelehnt und dagegen ‚Kontrolle’ als der angemessene kriminologische Begriff stark gemacht (Scheerer 1995). Das hat wenig daran geändert, dass in den Jahren seither ‚soziale Kontrolle’ in der Literatur immer seltener auftaucht und ‚Ausschließung’ Konjunktur hat.

Völlig durchgesetzt hat sich der Begriff ‚Ausschließung’ in Großbritannien, wo die Labour-Regierung einen interministeriellen „Social Exclusion Unit eingerichtet hat und ihre Sozialpolitik an ‚exclusion’ orientiert: Nicht Armut, sondern Ausschließung – die wieder operationalisiert etwa als Obdachlosigkeit, teenage pregnancy oder unregelmäßiger Schulbesuch, also ausgewählte ‚soziale Probleme’ – soll vermieden oder kompensiert werden. Überhaupt nicht durchgesetzt hat er sich in den USA: Die Phänomene der Marginalisierung werden dort unter ‚underclass’ verhandelt und ‚exclusion’ gibt es so gut wie gar nicht.

2 Die kapitalistische Produktion von ‚Ausschließung’

Nun ist der Begriff ja – von den Bemühungen der EU-Diplomatie abgesehen – nicht ganz willkürlich erfunden worden: Er beruht auf gesellschaftlichen Erfahrungen, die seit dem Ende von Fordismus die neue Produktionsweise des Neoliberalismus prägen. Das 20. Jahrhundert wurde von der fordistischen Variante von Kapitalismus bestimmt und war in diesem Sinn ein „kurzes 20. Jahrhundert3: Es endete in den 1980ern.

Fordismus lässt sich an den Erfindungen in der Organisation von Produktion illustrieren, die Henry Ford in seinen Fabriken eingesetzt hat: Massenfertigung von Konsumgütern (in seinem Fall von Automobilen) in einer autoritär (von ihren Proponenten lieber „wissenschaftlich genannten) tayloristisch organisierten Arbeitsteilung am Fließband mit dadurch entqualifizierten, aber hoch disziplinierten und relativ gut bezahlten Arbeitskräften, die zugleich als mögliche Konsumenten gesehen werden.

Die Arbeiterschaft wurde, im Gegensatz zum Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts, nicht mehr verelendet, sondern auch im Konsum gesellschaftlich integriert. In Europa gehörte dazu die staatlich organisierte Sozialpolitik, die wirtschaftlich gesehen die Arbeiter- Einkommen und damit ihren Warenkonsum verstetigte.