Business Coaching - Wie man Menschen wirksam unterstützt und sich als Coach erfolgreich am Markt etabliert

von: Silvia Richter-Kaupp

Gabal Verlag, 2014

ISBN: 9783956231179 , 312 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 20,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Business Coaching - Wie man Menschen wirksam unterstützt und sich als Coach erfolgreich am Markt etabliert


 

2. Selbstführung

Wie Sie in Kapitel I. 8. gelesen haben, ist die Beziehung zwischen dem Coach und dem Coachee der zentrale Erfolgsfaktor im Coaching. Coachs tun also gut daran, an ihrer Beziehungsfähigkeit zu arbeiten. Die Fähigkeit der Selbstführung spielt dabei eine entscheidende Rolle, denn wer mit anderen gut klarkommen will, muss erst einmal mit sich selbst im Reinen sein. Und wer andere führen will, muss sich zunächst selbst führen können.

Selbstführung ist die Fähigkeit, sich selbst bewusst und zielgerichtet zu steuern, statt unreflektiert zu reagieren. Dies beinhaltet die Bereitschaft, Verantwortung für sich zu übernehmen, und die Fähigkeit, sich selbst wahrzunehmen und zu regulieren und die eigenen Gefühle und Stimmungen durch einen inneren Dialog zu beeinflussen.

Eine gute Selbstführung ist die Basis für ein konstruktives und kooperatives Miteinander, denn die bewusste Wahrnehmung und Steuerung der eigenen Gefühle und die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, machen es erst möglich, authentisch zu agieren und sich der jeweiligen Situation entsprechend angemessen zu verhalten. Die Fähigkeit zur Selbstführung ist nicht nur für Coachs von überragender Bedeutung. In einer Zeit, in der sich das Führungsverständnis immer weiter in Richtung einer freiwilligen Folgschaft verändert, müssen auch Führungskräfte mehr und mehr Bewusstheit und Verständnis für die eigene Person und deren innere Dynamiken erlangen und lernen, ihre Emotionen und Stimmungen, ihr Denken und Handeln zielgerichtet zu steuern. Nachfolgend nun einige Theorien, Konzepte und Modelle, die unserer Meinung nach hilfreich für eine gute Selbstführung sind.

Konstruktivismus

Wahrnehmung und Kommunikation sind die grundlegenden Werkzeuge eines Coachs, denn er nimmt den Klienten während eines Coaching-Gesprächs fortwährend wahr und kommuniziert mit ihm. Dass Menschen unterschiedliche Wahrnehmungen und Wirklichkeiten haben, zählt zu den Grundannahmen im Coaching.

Konstruktivismus nennen sich mehrere Strömungen in der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Sie gehen davon aus, dass ein erkannter Gegenstand vom Betrachter durch den Vorgang des Erkennens selbst konstruiert wird. In anderen Worten: Aus konstruktivistischer Sicht konstruiert sich jeder Mensch durch sein Wahrnehmen und Denken seine eigene Wirklichkeit. Die (eine) Wirklichkeit gibt es nicht. Jeder Mensch hat eigene „Landkarten“ von der Welt. Diese „Landkarten“ helfen dem Menschen dabei, die Komplexität zu reduzieren.

Eigenen Blickwinkel überprüfen

Nun kann es passieren, dass ein Mensch seine eigene Weltsicht als die Wirklichkeit versteht und den Blick für andere Sichtweisen verliert und damit persönliches Wachstum verhindert. Im Coaching werden Menschen dabei unterstützt, sich ihrer „Landkarten“ bewusst zu werden und ihren Blickwinkel zu erweitern. Dies kann zusätzlich zu neuen Denk- und Handlungsmöglichkeiten auch zu einer allgemein verständnisvolleren und flexibleren Haltung führen.

Beispiel

Stellen Sie sich drei Geschäftsleute vor, die von einem Geschäftspartner zu einem veganen 4-Gänge-Menü in einem Nobel-Restaurant eingeladen worden waren und sich nun darüber unterhalten. Der eine ist rundum begeistert. Ihm hat das vegane Essen hervorragend geschmeckt, der Wein ebenso und auch das Ambiente fand er grandios. Der Zweite fand das Essen in Ordnung, aber nicht so, dass er es öfter haben wollte. Auch der Wein war seiner Meinung nach nur Mittelmaß. Außerdem fand er die Einrichtung zu düster. Der Dritte wiederum vertritt die Auffassung, dass die rustikale Einrichtung wunderbar zur ländlichen Umgebung gepasst habe. Und die Bedienungen in ihren Dirndln fand er ganz reizend und zudem ausgesprochen freundlich. Das Essen hingegen hat ihn nicht vom Hocker gehauen. Er fand es etwas fad und außerdem zu wenig. Die drei haben ziemlich verschiedene Wahrnehmungen von dem, was sie erlebt haben. Dies hat mit der individuell unterschiedlichen Selektion dessen zu tun, was überhaupt bewusst wahrgenommen wird und wie diese Wahrnehmungen bewertet werden.

Unser Gehirn überprüft alle Arten von Reizen rasend schnell und ohne dass es uns bewusst ist danach, ob sie eine Bedeutung für uns haben. Diese Filter im Gehirn unterscheiden sich von Mensch zu Mensch; sie hängen von Faktoren wie unseren Erfahrungen und Überzeugungen, aber auch der aktuellen Befindlichkeit ab. Dass wir das, was wir erleben, so selektiv wahrnehmen, hat insofern seinen Sinn, als es uns ansonsten kaum möglich wäre, die ganzen Reize, die sekündlich auf uns einströmen, zu bewältigen. Andererseits können uns unsere Filter aber auch unnötig einschränken.

Das Wissen um die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Wirklichkeiten von Menschen ist essenziell für einen Coach. Teil der Arbeit eines Coachs ist es, Menschen dabei zu unterstützen, sich ihrer Wahrnehmungen, Denk- und Verhaltensmuster bewusst zu werden – und sie gegebenenfalls zu verändern, falls sie sie als einschränkend empfinden. Das Bewusstsein, dass es keine richtigen und falschen, sondern individuell unterschiedliche Sichtweisen gibt, und ein regelmäßiges Reflektieren der eigenen Weltsicht ist die Basis dafür, dass Coachs sich wohlwollend und empathisch in die Perspektiven ihrer Klienten hineinversetzen können – ohne versucht zu sein, ihnen ihre eigene Sicht der Dinge aufzwingen zu wollen.

Auf den Punkt gebracht:

Konstruktivismus nennt man eine philosophische Strömung, nach der sich jeder Mensch durch sein Wahrnehmen und Denken seine eigene Wirklichkeit konstruiert. Die eine objektive und für alle gültige Wirklichkeit gibt es nicht.

Coachs helfen anderen Menschen dabei, Rahmenbedingungen, Verhaltensweisen, Einstellungen, Selbstbilder usw. zu verändern, die von den Betreffenden als unpassend oder hinderlich erlebt werden. Die konstruktivistische Sicht verinnerlicht zu haben, ist für ihre Arbeit insofern bedeutend, als sie ansonsten Gefahr laufen würden, ihren Klienten ihre eigenen Ansichten und Einstellungen überzustülpen.

Lethologische Haltung

Lethologie ist die Lehre vom Nichtwissen und eine Wortschöpfung des bekannten Biophysikers und Mitbegründers der kybernetischen Wissenschaft Heinz von Foerster. Die lethologische Haltung ist davon geprägt, dass man davon ausgeht, zwar einiges zu wissen, aber nicht den Stein der Weisen zu besitzen.

In der lethologischen Haltung stellt man das, was man weiß, bewusst zurück und lässt sich davon überraschen, welche Lösungen gefunden werden.

Die lethologische Haltung ist die Grundhaltung eines Coachs. Mit ihr trägt er dazu bei, dass der Coachee Raum bekommt, um Lösungen zu finden, die ihm entsprechen. Durch die lethologische Haltung fördert der Coach also die Selbstverantwortung des Coachees.

Den Kopf bewusst leeren

Bewusst nichts zu wissen ist den meisten Menschen fremd und sie brauchen in der Regel Zeit, Übung und Geduld, es zu lernen. Zu Übungszwecken kann der „Anfänger-Coach“ zum Beispiel vor einer Coaching-Sitzung schriftlich festhalten, mit welchem inhaltlichen Ergebnis er rechnet – und das Geschriebene dann direkt vor der Sitzung durchstreichen, um sich frei davon zu machen.

Auf den Punkt gebracht:

Die lethologische Haltung ist die Grundhaltung von Coachs. Im Unterschied zu Expertenberatern stellen sie das, was sie wissen, bewusst zurück und geben dadurch ihren Klienten den Raum, den diese brauchen, um Lösungen zu finden, die zu ihnen passen. Expertenberater hingegen agieren als Fachmann und empfehlen Lösungen, die sie bei ähnlichen Sachlagen bereits angewendet haben oder die ihnen logisch erscheinen. Dies beinhaltet die Gefahr, dass die Lösung nicht zum Kunden passt und dieser „streikt“ und untätig bleibt. Das bewusste Nicht-Wissen ist für die meisten Menschen ungewohnt. Es ist erlernbar, erfordert in der Regel aber einiges an Übung.

Das persönliche Selbstverständnis als Coach

Unabhängig von der beruflichen Rolle, aus der heraus man coachend tätig ist (zum Beispiel interner Coach mit Haupttätigkeit als Führungskraft oder freiberuflich tätiger externer Coach), sollte man sich Gedanken darüber machen, wie man sich selbst sieht. Selbstreflexion ist für einen Coach unverzichtbar. Je bewusster einem als Coach die eigenen Stärken, Entwicklungspotenziale, Werte, Überzeugungen, Verhaltensmuster usw. sind, umso eher ist man in der Lage, wahrzunehmen, was im Wechselspiel mit dem Klienten passiert, und die Interventionen bewusst zu wählen, statt unreflektiert auf das Erlebte zu reagieren und eigene Themen auf den Klienten zu projizieren (siehe dazu auch Kapitel II. 2., Abschnitt „Transaktionsanalyse“).

Fragen zur Selbstreflexion

Teil dieser Selbstreflexion sollte die eigene Rolle als Coach sein. Die folgenden Fragen können bei der Klärung helfen:

Was ist mein Verständnis davon, …

  • was einen guten Coach ausmacht?
  • was ich gerne tue und wer ich bin / gerne sein möchte?
  • in welcher Art und Weise ich coachend tätig sein will?
  • bei welchen Themen/Anliegen ich Menschen unterstützen will?
  • welche Themen/Anliegen ich ausschließen will?
  • wer oder was ich für meine Klienten sein will?
  • was ich unter Professionalität im Coaching verstehe?
  • welche Werte und Prinzipien ich beim Coaching beachten will?
  • wie ich die Qualität meiner Arbeit sicherstellen...