Pharmakotherapie bei Haus- und Nutztieren - Begründet von W. Löscher, F.R. Ungemach und R. Kroker

von: Wolfgang Löscher, Heidrun Potschka, Angelika Richter

Enke, 2014

ISBN: 9783830412526 , 744 Seiten

9. Auflage

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 39,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Pharmakotherapie bei Haus- und Nutztieren - Begründet von W. Löscher, F.R. Ungemach und R. Kroker


 

2 Allgemeine Pharmakologie


W. Löscher

Auf einige Inhalte der allgemeinen Pharmakologie (Pharmakodynamik/Pharmakokinetik) wurde bereits hingewiesen. Auf eine nähere Betrachtung dieses für das Verständnis der Pharmakologie so wichtigen Gebiets soll mit Ausnahme einiger Hinweise zur Pharmakokinetik hier verzichtet werden (s. Lehrbuchhinweise Kap. ? 5). Wo dies aus Verständnisgründen dennoch geboten erschien, finden sich im speziellen Teil dieses Buches kurzgefasste Angaben zu allgemein-pharmakologischen Grundlagen in der Einleitung zu den jeweiligen Wirkstoffgruppen oder direkt in den Kurzmonografien.

Als Pharmakokinetik wird das Teilgebiet der allgemeinen Pharmakologie bezeichnet, das sich mit der zeitlichen Änderung der Konzentration eines Pharmakons im Organismus befasst. Pharmakokinetische Überlegungen und Berechnungen haben zum Ziel, Vorhersagen über den zeitlichen Verlauf der Wirkung eines Pharmakons zu ermöglichen; bei Tieren, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, werden sie außerdem zur Ermittlung von Wartezeiten herangezogen. Für pharmakokinetische Berechnungen werden im Allgemeinen die leicht zugänglichen Konzentrationen des Pharmakons in Blut bzw. Plasma verwendet. Die Plasmakonzentration eines Arzneimittels wird durch eine Reihe von Faktoren bestimmt, die in ? Abb. 2.1 schematisch dargestellt sind. Wird das Pharmakon nicht intravenös appliziert, muss es zunächst vom Applikationsort (z.B. Muskulatur oder Unterhautgewebe) bzw. Resorptionsort (z.B. Magen-Darm-Trakt) in die Blutbahn resorbiert werden. Die Bioverfügbarkeit, d.h. das Ausmaß der Resorption nach extravasaler Verabreichung (Anteil des Wirkstoffs, der vom Applikationsort ins Blut gelangt), wird dabei nicht nur von den chemisch-physikalischen Eigenschaften des Wirkstoffs (Lipophilie, pKa-Wert, Molekülgröße) und von den Verhältnissen am Applikationsort (z.B. pH-Wert, Durchblutungsgrad) bestimmt, sondern auch von den pharmazeutischen Formulierungen, die Einfluss auf die Freisetzung des Wirkstoffs nehmen (z.B. Auflösung einer Tablettenform). Im Blut bindet sich das Pharmakon in unterschiedlichem Ausmaß an Plasmaproteine. Die Plasmaproteinbindung ist reversibel und es bildet sich rasch ein Gleichgewicht zwischen gebundenem und ungebundenem Anteil des Pharmakons aus. Nur der nicht an Plasmaproteine gebundene Anteil des Pharmakons kann den Intravasalraum verlassen, sich im Organismus verteilen und damit zum Wirkungsort gelangen. Ferner kann nur das nicht proteingebundene Pharmakon durch Biotransformation in der Leber bzw. durch glomeruläre Filtration in der Niere eliminiert werden. Die Plasmaproteinbindung stellt also eine wichtige Größe für Ausmaß und Dauer der pharmakodynamischen Wirkung eines Pharmakons dar. Neben der Bindung an Plasmaproteine wird die Verteilung eines Arzneimittels maßgeblich durch seine Lipidlöslichkeit und den Ionisationsgrad bei physiologischem pH (u.U. bei Krankheit verändert) bestimmt. Nur der nicht ionisierte, lipidlösliche Anteil des Arzneimittels kann biologische Membranen durch Diffusion penetrieren, den für die Verteilung von Pharmaka wichtigsten Prozess. Ferner spielt die Molekülgröße des Arzneimittels für die Verteilung eine Rolle. Makromoleküle (z.B. Plasmaexpander) werden praktisch nicht im Organismus verteilt, sondern bleiben in erster Linie nach intravenöser Applikation intravasal; allerdings weisen einige Zellmembranen, z.B. die Membranen zwischen Blut und Leberzellen, einen hohen Anteil an Poren auf, durch die auch Makromoleküle penetrieren können. Einige Gewebe werden durch besondere biologische Schranken geschützt, so z.B. das Gehirn (Blut-Hirn-Schranke), das Euter (Euterschranke oder Blut-Milch-Schranke) und beim trächtigen Tier die Feten (Plazentarschranke). Für diese Schranken gilt, dass in der Regel (es sei denn, es gibt aktive Transportmechanismen) nur lipidlösliche, nicht ionisierte und nicht zu große Arzneimittel mittels passiver Diffusion penetrieren können. Die Penetration lipidlöslicher Substanzen kann jedoch durch die Expression von Efflux-Transportern wie P-Glykoprotein eingeschränkt werden, die in Zellmembranen exprimiert sind und ihre Substrate aus der Zelle transportieren, um so die Zelle vor Intoxikation zu schützen. Mutationen des P-Glykoprotein-codierenden Gens MDR1 können zu einer veränderten Verteilung von Arzneimitteln führen. Das bekannteste Beispiel sind neurotoxische Wirkungen des Antiparasitikums Ivermectin infolge erhöhter Gehirnkonzentrationen durch einen Mangel an P-Glykoprotein in der Blut-Hirn-Schranke (neben anderen Organen), der durch einen MDR1-Gendefekt bei bestimmten Hunderassen (z.B. Collies) auftreten kann. Auch eine arzneimittelbedingte Hemmung von P-Glykoprotein (z.B. durch den Calciumkanalblocker Verapamil), kann zu einer veränderten Verteilung von Arzneimitteln führen, deren Verteilung durch den Effluxtransporter P-Glykoprotein limitiert wird.

Aufgrund der pH-Differenz zwischen Blut und Milch (pH 7,4/pH 6,6) reichern sich gut lipidlösliche, basische Arzneimittel (z.B. Makrolidantibiotika oder Neuroleptika wie Phenothiazine) in der Milch an. In den Geweben kann ein Stoff eine Bindung an Gewebsproteine eingehen, die der Plasmaproteinbindung vergleichbar ist, jedoch wegen ihrer Abhängigkeit von der Durchblutung langsamer verläuft. Lipophile Pharmaka mit einer hohen Gewebsproteinbindung (z.B. Neuroleptika und Tetracycline) können in Geweben Konzentrationen erreichen, die deutlich über den Blutkonzentrationen liegen, wobei die Plasmaproteinbindung hierbei kaum limitierend wirkt. Parallel zur Verteilung vom Blut in die verschiedenen Gewebe wird das Pharmakon aus dem Blut durch enzymatische Umwandlung (Biotransformation; vor allem in der Leber) und exkretorische Vorgänge (vor allem über die Nieren, bei einigen Arzneimitteln auch über Galle, Milch, Lunge und/oder Speichel) eliminiert. Die enzymatische Umwandlung kann dabei zu Metaboliten führen, die noch biologisch aktiv sind und die Wirkung der Medikation mittragen können. Bei sog. „Prodrugs“ wird ein inaktiver oder wenig aktiver pharmakologischer Stoff erst durch die Metabolisierung im Organismus in einen aktiven Wirkstoff überführt. Ein Sonderfall der metabolischen Umwandlung ist der „First-Pass-Effekt“, d.h., einige Arzneimittel werden nach oraler Applikation bereits in größerem Umfang im Darm und/oder in der Leber enzymatisch inaktiviert, bevor sie über den großen Kreislauf an ihren Wirkort gelangen. Dies hängt damit zusammen, dass Arzneimittel nach Resorption vom Magen-Darm-Trakt zunächst über das venöse Pfortaderblut die Leber passieren müssen. Folge des First-Pass-Effekts ist eine verminderte orale Bioverfügbarkeit des Wirkstoffs. Bei Pharmaka bzw. ihren Metaboliten, die über die Galle in den Darm sezerniert werden (biliäre Exkretion), kann es durch erneute Resorption des sezernierten Stoffes vom Darm zu einem sog. enterohepatischen Kreislauf kommen (z.B. Herzglykoside), der die Wirkung des Stoffes erheblich verlängern kann.

Abb. 2.1 Schematische Darstellung der Resorption, Verteilung und Elimination von Arzneimitteln.

Die einzelnen Prozesse, die die Konzentration eines Arzneimittels in den Körperflüssigkeiten und Geweben bestimmen, können bei verschiedenen Tierarten sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Das erklärt, warum bei gleicher Dosierung eines Pharmakons je nach Spezies eine sehr unterschiedliche Wirkungsstärke bzw. Wirkungsdauer auftreten kann. Gerade bei Arzneimitteln, die im Regelfall zunächst für die Anwendung am Menschen entwickelt wurden, kommt es recht häufig zum Versuch der Übertragung der am Menschen hinreichend untersuchten pharmakokinetischen Stoffeigenschaften auf das Tier. Dieser Weg führt aufgrund der teilweise ausgeprägten Speziesunterschiede gerade im Arzneimittelstoffwechsel nicht selten zu fehlerhaften Vorstellungen und einer irrationalen, manchmal sinnlosen oder nicht selten bedenklichen Anwendung des Arzneimittels am Tier. Weiterhin ist zu beachten, dass hinsichtlich der Wirkungsstärke eines Arzneimittels bei verschiedenen Tierarten häufig keine lineare Beziehung zwischen Dosis und Körpergewicht besteht. Wird die Dosis, wie in der Pharmakologie üblich, in mg/kg Körpergewicht angegeben, so sinkt sie im Allgemeinen mit steigendem Körpergewicht, d.h., bei schweren Tierarten (z.B. Rind, Pferd) sind auf der Basis von mg/kg Körpergewicht meist geringere Dosen wirksam als bei leichteren Tierarten (z.B. Hund, Katze). Oft besteht hierbei eine bessere Beziehung zwischen Gesamtdosis und Körperoberfläche bzw. „metabolischem Körpergewicht“ (Kap. ? 34). Dagegen sind qualitative Speziesunterschiede in der Empfindlichkeit gegen Arzneimittel relativ selten. Unterschiede im pharmakokinetischen Verhalten eines Pharmakons können auch innerhalb einer Tierart auftreten; so können z.B. das Geschlecht, das Lebensalter und der Gesundheitszustand – zu denken ist insbesondere...