Kaiserliche Kindheit - Aus dem aufgefundenen Tagebuch Erzherzog Carl Ludwigs, eines Bruders von Kaiser Franz Joseph

von: Gabriele Praschl-Bichler

Amalthea Signum Verlag GmbH, 2014

ISBN: 9783902998347 , 256 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 12,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Kaiserliche Kindheit - Aus dem aufgefundenen Tagebuch Erzherzog Carl Ludwigs, eines Bruders von Kaiser Franz Joseph


 

April .1844.


Samstag

13. Man fürchtet, daß der Franzi Scharlach bekommen. Zur Vorsorge bin ich Nachmittags in den rothen Saal geschickt worden und habe dort geschlafen.

Mit Franzi ist der älteste Bruder Erzherzog Carl Ludwigs gemeint, der damals vierzehnjährige Franz Joseph und spätere Kaiser. Er war tatsächlich an Scharlach erkrankt, doch verlief die Krankheit – wie sich bald herausstellen sollte – für ihn und seine Familie sehr harmlos. Als Vorsichtsmaßnahme war er aber sofort von seinen Brüdern getrennt worden, mit denen er üblicherweise ein Appartement bewohnte. Für Carl Ludwig bedeutete die Krankheit des Bruders zunächst den Auszug in einen ›rothen Saal‹. Später übersiedelte er in ein noch weiter entfernt liegendes Quartier, in dem er in den folgenden Wochen wohnen sollte.

Sonntag

14. Heute hat sich der Scharlach entschieden ausgesprochen. Wir sind in der Früh mit dem kleinen Ludwig in den ersten Stock gezogen und bleiben nun von der Mama geschieden. Der Maxi geht zwar Früh und Abends zur Mama, weil er den Scharlach schon überstanden und folglich keine Ansteckung mehr zu fürchten hat; aber ich darf die Mama nur im Prater und auf dem Gang von Weitem sehen.

Bei den »Übersiedlern« handelt es sich um die drei Brüder Ferdinand Maximilian (›Maxi‹), Carl Ludwig und den ›kleinen Ludwig‹ (Victor). Daß die drei gesunden Kinder – und nicht das kranke – von der Mutter getrennt wurden, war unüblich für die Zeit. Denn Erzherzogin Sophie pflegte – im Unterschied zu den meisten Frauen der obersten Gesellschaftsschichten – die kranken Familienmitglieder selbst. Im Fall von ansteckenden Krankheiten – wie dem Scharlach, der damals bei mehr als einem Viertel der Bevölkerung tödlich endete – begab sie sich mit dem Betroffenen in Quarantäne. Sie übernahm meist alle Tag- und Nachtdienste und ließ sich nur selten von Pflegern unterstützen. Als im Jahr 1840 ihre einzige Tochter Maria Anna im Alter von knapp viereinhalb Jahren an einer schweren Krankheit litt (an deren Folgen sie auch verstarb), war sie keinen Augenblick lang von ihrer Seite gewichen und hatte das Kind bis zu seinem Tod ununterbrochen betreut.

Die Bemerkung, daß Carl Ludwig seine Mutter ›nur im Prater‹ und ›auf dem Gang von Weitem sehen‹ durfte, bezieht sich auf die Trennung von ihr, die den scharlachkranken Sohn Franz Joseph versorgte. Treffen durfte er sie nur auf den Gängen der Hofburg und bei Spaziergängen im Prater, wo keine Ansteckung zu befürchten war. Der Wiener Prater hatte ursprünglich zu den kaiserlichen Jagdrevieren gehört, seit 1766 war er der Öffentlichkeit zugänglich. Dorthin führten – solange man in der Hofburg wohnte – viele Spaziergänge der kaiserlichen Familie. Die elegante Welt Wiens fand sich allnachmittäglich im Prater ein, und Erzherzog Carl Ludwig sollte die Spaziergänge dorthin bis ins Alter pflegen. Als Erwachsener marschierte er meist die gesamte Strecke von der Innenstadt bis in den Prater und zurück (das dauerte je nach Route zwei bis drei Stunden), wohin er sich von einem Mann seines Gefolges oder von einem Verwandten begleiten ließ.

Montag

15. Heute hat uns der Franzi durch den Baron Gorizzutti einen Brief schreiben lassen. Heute begegneten wir der Mama und dem kleinen Ludwig. Ich bin zur Toilette zum kleinen Ludwig gegangen. Abends kamen die Bombelles.

Baron Franz Gorizzutti, einer der Kammerherren Erzherzog Franz Carls und Erzieher seiner drei älteren Söhne – Franz Joseph, Ferdinand Maximilian und Carl Ludwig – hatte sich offensichtlich mit dem Scharlachkranken in Quarantäne begeben.

Daß man die Mama und den kleinen Bruder Ludwig traf, muß bedeuten, daß man beiden – getrennt – begegnete, da Erzherzogin Sophie sicherlich auch mit ihrem zweijährigen Sohn jeden Kontakt vermied.

›Die Bombelles‹ waren Studien- und Spielkameraden der jungen Erzherzoge und Söhne des kaiserlichen Ajos Heinrich Graf Bombelles. Sie hießen Markus (›Marko‹) und Carl (›Charli‹) und entsprachen im Alter den Erzherzogen Franz Joseph und Ferdinand Maximilian.

Dienstag

16. Dem Franzi geht es besser. Ich habe zum ersten Mahle die Urika geritten. Zum ersten Mahl bin ich zum Frühstück vom kleinen Ludwig gegangen.

Der Scharlach Franz Josephs nahm einen schnellen Verlauf. Die Krankheit war am 13. April aufgetreten, und schon bald ging es ihm nach eigenen Angaben wieder ›sehr gut‹. Daraufhin nahmen die Bemerkungen darüber im Tagebuch Carl Ludwigs ab, weshalb die Sensation des Tages dem ersten Ritt auf einem Pferd namens Urika galt.

Der Besuch des kleinen Bruders Ludwig Victor während seines Frühstücks ist einer der vielen Hinweise darauf, daß die Bewohner der verschiedenen Appartements (die drei älteren Brüder Franz Joseph, Ferdinand Maximilian und Carl Ludwig, die Eltern, Erzherzogin Sophie und Erzherzog Franz Carl, der kleine Ludwig Victor, das Kaiserpaar usf.) das Morgenmahl getrennt einnahmen. Zu Mittag aßen die Kinder gemeinsam mit ihren Eltern, worauf ein langes, familiäres Zusammensein folgte.

Mittwoch

17. Heute sind wir mit dem Papa, der Mama und dem kleinen Ludwig in dem Prater zusammengekommen. Abends bin ich allein.

Wegen der Ansteckungsgefahr waren die gemeinsamen Zusammenkünfte der Eltern mit den drei gesunden Brüdern noch immer auf die Praterspaziergänge beschränkt. Der Hinweis auf das abendliche Alleinsein bezog sich ebenfalls auf die Trennung von den Eltern, bedeutete aber ›allein mit einem der Erzieher‹. Sie teilten – vor allem zum Schutz ihrer Zöglinge – das Appartement mit ihnen. Das Abendprogramm mit dem Erzieher oder mit den Eltern war auf das Alter der Kinder abgestimmt. In dieser Epoche wurden meist Geschichten vorgelesen oder andere Unterhaltung gepflogen.

Donnerstag

18. Der Albert, die Marie, der Onkel Carl und der Stephan sind heute angekommen. Wir sind geritten. Der Wittek war Abends allein bei uns.

Mit Albert und Marie sind – streng genommen – ein Onkel und eine Tante zweiten Grades gemeint, die an diesem Tag mit ihrem Vater, Erzherzog Carl (dem ersten Bezwinger Napoleons), – von wo immer – in Wien ankamen. Stephan war ein Neffe Erzherzog Carls, der spätere Palatin von Ungarn.

J. Wittek zählte zu den Erziehern der jungen Erzherzoge. Er unterrichtete Böhmisch (Tschechisch) und war vermutlich ein Verwandter – vielleicht sogar der Vater – Heinrich Ritters von Wittek, des späteren Ministerpräsidenten.

Freitag

19. Heute ist der Geburtstag des Kaisers. Deßwegen ist große Parade; wir waren bei ihm, um zu gratuliren. Der Palatino ist angekommen. Dem Franzi geht es besser. Der Graf Coronini ist angekommen. Heute Abends sind die Bombelles gekommen.

Der Kaiser, dessen 41. Geburtstag man feierte, war Ferdinand I., ein direkter Onkel Carl Ludwigs. Mit dem ›Palatino‹ ist Erzherzog Josef, ein Großonkel, gemeint, der zu diesem Zeitpunkt die Würde des Palatins von Ungarn innehatte und der – wie einen Tag vorher die Familie Erzherzog Carls – vermutlich auch wegen der Geburtstagsfeierlichkeiten zu Ehren des Kaisers angereist war.

Graf Johann Baptist Coronini-Cronberg war einer der Kammerherren Erzherzog Franz Carls und Erzieher der jungen Erzherzoge, der hauptsächlich dem ältesten Sohn, Franz Joseph, zugeteilt war.

Das abendliche Kommen der Brüder Bombelles bedeutete Spiel und Unterhaltung.

Samstag

20. Heute sind wir geritten und haben Visite gemacht. Abends war die Großmama mit der Amie bei uns.

»Visitemachen« gehörte zu den gesellschaftlichen Gepflogenheiten des 19. Jahrhunderts. Ohne sich anzumelden, schaute man bei Bekannten vorbei, um ihnen einen Kurzbesuch abzustatten. Er verlangte dem Besuchten einen Gegenbesuch ab. War er nicht anzutreffen, so hinterließ man die Visitenkarte, die ebenso zum Gegenbesuch verpflichtete.

Beliebte Gesellschafterinnen der jungen Erzherzoge waren die ›Großmama‹ und die ›Amie‹ (ihre ›Freundin‹). Kaiserin Caroline Auguste war eine geborene Prinzessin von Bayern, vierte Ehefrau und Witwe nach Kaiser Franz II./I. Als solche rangierte sie als Großmutter. Da sie aber auch Halbschwester Erzherzogin Sophies, der Mutter Carl Ludwigs, war, stand ihr ebenso die Ansprache ›Tante‹ zu. Erzherzog Franz Joseph hatte für sie den Titel einer Großmutter-Tante entworfen. Ihre ›Freundin‹, Hofdame und Sternkreuzordensdame Baronin Luise Sturmfeder, hatte ursprünglich die...