Das verlorene Kind

von: E. G. Seidel

neobooks Self-Publishing, 2015

ISBN: 9783847606222 , 252 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 0,99 EUR

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Das verlorene Kind


 

Die Glaubenskrise


Das Christentum erzieht zu Demut und Zurückhaltung. Außerdem wird dem Menschen vermittelt, dass es nicht lohne, im Diesseits etwas zu tun, wenn doch das Leben erst im Jenseits wirklich lohnend wäre. Damit untergräbt das Christentum die Entwicklung des Menschen, denen es daher nicht gelinge, sich selbst zu befreien.„ (Niccolò Machiavelli)

Das Mittelalter, die Kreuzzüge und überhaupt alles über Bibel und Kirchengeschichte stießen bei mir schon seit Längerem auf großes Interesse. Durch das Lesen kritischer Bücher, die Stück für Stück meinen Geist erreichten, machte sich seit dem Jahr 2006, zum ersten Mal in meinem Leben, Zweifel an der Existenz Gottes in mir breit. Ausgelöst wurde diese Krise durch die angesammelten Informationen und Erfahrungen, die schleichend ihren Weg in das Bewusstsein finden. Dort verweilen sie, bis sie auf neue Informationen treffen, die irgendwann auf weitere Informationen treffen und mit der Zeit eine Kette bilden. Klingt ähnlich wie Nervenzellen, die im Gehirn, bei Lernprozessen immer neue Verkettungen und Verknüpfungen schaffen. Diese Verkettungen erzwingen irgendwann das Nachdenken und rufen zu Schlussfolgerungen auf. Die Wahrheit lässt sich nicht mehr verleugnen, zwingt zum Nachdenken und ruft wiederum zu Schlussfolgerungen auf. Und so geht das immer weiter, woraus letztendlich Krisen geboren werden, wie diese! Womöglich lag es auch an der erhöhten Sauerstoffkonzentration in der Druckkammer, die mir nach meinem Arbeitsunfall zugutekam? Nicht alle Prozesse, die sich im Inneren abspielen, lassen sich am Ende vollends aufdecken. Eine bewusste Verknüpfung von der bei mir beginnenden Glaubenskrise zu meiner seit Jahrzehnten unterdrückten homosexuellen Neigung erfolgte hier aber noch nicht. Auch nicht aufgrund des gedankenlosen Umgangs mit Blasinstrumenten vor meiner Festung. Die Trompeten von Jericho, die seit einigen Jahren immer wieder an meiner Burg erschallten, um mich an meine Homosexualität zu erinnern. Falls keiner weiß, wer oder was die Trompeten von Jericho sind, das sind die Kämpfer, die Mauern und Burgen mittels eines Blasorchesters zum Einsturz bringen, laut Bibelgeschichten. Es war viel Zeit notwendig, um die Burgmauer der Scheuklappen bei mir zu durchbrechen, um die neuen Informationen zu verinnerlichen und überhaupt erst zuzulassen. Um zu begreifen, wozu Menschen fähig sind, wenn sie sich in Glaubensfragen verrennen. Wozu Menschen fähig sind, wenn sie sich von anderen fehlbaren Menschen leiten lassen, ohne selbst zu denken, ohne den eigenen Kopf zu benutzen. Religiösen Fanatismus bei sich zuzulassen, heißt, sich selbst die Sicht auf die Wahrheit zu versperren. Für mich war es zu Beginn meiner Glaubenskrise noch sehr schwierig, dem Zweifel freien Lauf zu lassen, ohne Schuldgefühle auszulösen. Vor allem, mir über alles bewusst zu werden. Altes Fahrwasser zu verlassen, verlangte erhöhte Anstrengungen! In den vielen Jahren meiner Ehe war mir sehr lange nicht bewusst, dass ich bereits mit dem Unterdrücken meiner Homosexualität, mit der Ehe mit einer Frau, eine Sünde begehe. So weit dachte ich nie. Für mich galt immer die folgende Regel aus der Bibel:

Matthäus 5,29 Wenn dich dein rechtes Auge zur Sünde verführt, dann reiß es aus und wirf es weg. Es ist besser für dich, du verlierst eines deiner Glieder, als dass du ganz in die Hölle geworfen wirst.

Jesus spricht in der Bergpredigt: "Wenn dein rechtes Auge dir Anstoß gibt, so reiß es aus und wirf es von dir." Und: „Wenn deine rechte Hand dir Anstoß gibt, so hau sie ab und wirf sie von dir."

Heute weiß ich, das ist nicht wörtlich gemeint, der Sinn steckt zwischen den Zeilen. Zur damaligen Zeit vor etwa zweitausend Jahren war der Sprachgebrauch im Nahen Osten etwas blumig. Wer reißt sich schon selbst einen Arm oder ein Auge aus oder hackt sich eine Hand ab? Jesus wollte damit sagen, dass man mit aller Entschiedenheit alles, was sich zwischen Gott und den Gläubigen stellt, unterbinden soll. Laut Bibel war meine sündige Homosexualität so ein Missstand. Eine Sünde, die mir den Zugang zum Himmel verwehrte, die ich zu unterbinden hatte. Für mich war immer klar, dass ich alles tun muss, um meine verwirrte Sexualität zu unterdrücken, um in den Himmel zu kommen. Aber gerade auf diese Weise begannen Sünde und Lüge, sich in mein Leben zu integrieren. Die Jahre fliegen dabei an einem vorbei, ohne dass "Mann" weiter über seine Handlungen nachdenkt, sie nicht einmal mehr bemerkt. Man lebt die Lüge! Seinen Anfang nimmt das Lügen bereits mit dem Buch der Bücher, der Bibel, die das Nachdenken durch Gebote und Regeln verhindert. Zweifel werden schon aufgrund der Drohungen in diesem Buch ungeklärt beiseitegeschoben. Die Bibel, die schon Zweifel als Sünde sieht und somit immer ein schlechtes Gewissen sät, sobald man Fragen stellt. Schon allein deshalb lässt man keine Fragen, keinen Zweifel zu. Ganz egal, wo sich die Wahrheit befindet, muss der Gläubige linientreu bleiben und der Überzeugung folgen, dass seine Religion die richtige ist. Dass mein Glaube dabei zu einem psychologischen Gefängnis mutierte, nahm ich nicht wahr. Heute weiß ich, der Zweifel ist nichts anderes als Ehrlichkeit auf der Suche nach der Wahrheit. Der Glaube als Pflicht ohne Zweifel verhindert nur die geistige Entwicklung und Ehrlichkeit. Und Bibeldrohungen säen ihr psychologisches Gift. Es ist sehr schwierig, es wieder loszuwerden, es überhaupt als Gift zu erkennen. Bereits Petrus, einer der Jünger Jesu, säte dieses Gift durch seine folgenden Worte, sicher ohne sich der Folgen bewusst zu sein:

"Wer an Gott glaubt und dann wieder zweifelt, ist wie ein gewaschenes Schwein, das sich wieder im Dreck wälzt und ein Hund, der noch einmal frisst, was er eben herausgewürgt hat."

So spricht Petrus von den Christen, die ihren Glauben verloren hatten. Und das, obwohl er selbst zweifelte, indem er Jesus verleugnete. Wir alle kennen die Geschichte der dreimaligen Verleugnung des Petrus. Warum spricht er trotz seines eigenen fehlerhaften Verhaltens diese harten Worte? Vielleicht gerade deswegen, weil er nicht besser war, wegen seines eigenen schlechten Gewissens, wegen seiner unsagbar großen Schuldgefühle? Das könnte erklären, warum er durch diese Worte versuchte, Zweifel schon im Keim zu ersticken. Mit seinen Drohungen versuchte er, andere daran zu hindern, den gleichen Fehler zu begehen. Seine Aussage suggeriert auch, dass man verloren ist und nicht mehr zurück kann, wenn man einmal zweifelt. Auch wenn man nach dem Zweifel wieder glaubt, bleibt man ein Schwein, welches sich im Dreck gewälzt hat. Folglich versucht man als guter Christ von Beginn an, Zweifel zu verhindern. Damit schuf Petrus ganz unbewusst ein psychologisches Glaubensgefängnis! Seine Aussage vermittelt, dass er die Botschaft Jesu entweder nicht richtig verstanden hat oder das dies falsch überliefert wurde, denn solange man lebt, gibt es immer ein zurück. Zweifel ist nichts grundlegend Schlechtes oder Negatives. Er zeugt nicht von Gottlosigkeit, sondern lediglich das man nicht alles glaubt, was andere fehlbare Menschen einem vorsetzen.

Wenn man sich jetzt die Frage stellt, warum Petrus diese großen Schuldgefühle hatte, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass es Jesus wirklich gab und er bei diesen Ereignissen tatsächlich anwesend war, dass es doch kein Märchen ist. Aber während meiner Glaubenskrise hatte ich diese Erkenntnis noch nicht. Die sollte erst Jahre später beim Verfassen dieses Buches zum Vorschein kommen. Seit dem Jahr 2006 war ich durch das Lesen kritischer Bücher, das Anschauen von Dokumentationen und wegen vieler Unstimmigkeiten und Lügen, die sich mir offenbarten, voller Zweifel. Mein Glaube war wie ein Schiff am Horizont, im Meer der Hoffnungslosigkeit, welches sich immer weiter von mir, dem Schiffbrüchigen, entfernte. Trotz allem blieb mir in meiner Glaubenskrise noch die Bibel, mein letzter Halt, an den sich mein Glauben verzweifelt klammerte. Kirche und Menschen hatten mein Vertrauen verspielt durch die vielen Lügen. An den Worten in dem Buch der Bücher, der Bibel, das Fundament meines Glaubens, hegte ich noch keinen Zweifel. Wenn du wirklich und unerschütterlich an etwas glaubst, benötigst du ein Fundament, auf dem der Glaube steht. Genauso wie ein Haus ein Fundament benötigt, damit es nicht einstürzt. Und bei mir war dieses Fundament schon immer die Bibel, auf dem alles ruhte. Die Bibel war die, wie ich glaubte, einzige Überlieferung und Beweis der Existenz Gottes, die Wahrheit Gottes. Wenn jedoch durch ein Ereignis das Fundament unter diesem Haus zerstört wird, wird es irgendwann unweigerlich einstürzen. Und die Geschichte meiner Glaubenskrise wird ihren Höhepunkt erreichen mit der Zerstörung meines Fundaments, meines Glaubens. Die Zerstörung der Glaubwürdigkeit der Bibel!

Die Trompeten von Jericho erschallten im Jahr 2008 erneut an meiner Burg zum finalen Akt, um das Fundament meines Bollwerks, in das ich meine Homosexualität eingesperrt hatte, zu zerstören. In Form von zwei entscheidenden Dokumentationen: "Die Bibel-Entstehung“ und „Das verschollene Judas Evangelium“. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, wie die Sendungen mir einen Schlag in die Magengrube verpassten, in mir unsagbare Trauer auslösten. Bis dato war ich in meinem Herzen davon überzeugt, dass die Bibelgeschichten auf der Wahrheit, auf geschichtlichen Ereignissen basierten. Dass das geschriebene Wort der Bibel der Wahrheit entsprach. Mit diesen Dokumentationen wurde das alles nicht nur infrage gestellt, man strafte die Bibel sogar Lügen. Ich erfuhr erstmals, dass die Bibel nicht seit Tausenden von Jahren in der bekannten Form existiert, sondern dass die...