Tango für einen Hund - Roman

von: Sabrina Janesch

Aufbau Verlag, 2014

ISBN: 9783841208156 , 303 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

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Tango für einen Hund - Roman


 

2


Ich fluche und ziehe mir meine Kappe in die Stirn.

»Un nu geiht dat los«, ruft Texas Joe rüber, aber ich wehre erfolgreich jeden Impuls ab, mich zu bewegen. Da haben sich schon ganz andere die Zähne ausgebissen.

Ich glotze lieber weiter zu der kleinen Hütte hinten auf dem Gelände.

Zu 50 Prozent bin ich mir sicher, dass das die Hütte ist. Also jetzt die Hütte, von der letzten Sommer alle geredet haben. Nonstop. Die Hütte. Jens und Frida. Die ganze Nacht. Ich könnte kotzen.

Irgendwie riecht es plötzlich nach Bifi, aber dann bemerke ich, dass ich bloß auf einem vertrockneten Maulwurf stehe. Hunger bekomme ich trotzdem.

»Ernie!«

Ich tue so, als würde ich nichts hören.

»Ernie!«

Dann stelle ich mir vor, wie der Che gestorben ist: Bam, Bambam, Bambambam, Bambambam, ganz genau neun Schüsse, erst in Arme und Beine, dann erst in die Brust und schließlich in die Kehle. Ein grausamer Tod. So wie ich ihn jedem wünsche, der mich Ernie nennt. Ist in 17 Jahren die beste Taktik, die ich gefunden habe, um nicht total auszurasten. Wenn jemandem eine bessere einfällt, kann er sich gerne bei mir melden: Ernesto Schmitt, Gladiolenweg 24, 38517 Semmenbüttel. Meine E-Mail-Adresse gebe ich nicht raus, dann kommen bloß so E-Mails, wo drin steht, dass ich in der Lotterie gewonnen habe oder dass ich einem nigerianischen Prinzen helfen soll, sein Vermögen zu retten.

»Eeeernie!«

Und ein paar Sekunden später: »Ernestodamminochmol!«

Das ist zwar auch nicht mein Name, aber dieses Mal schaue ich auf. Vor allem, weil die Blätter, die ich gerade zusammenkehre, sich Hilfe geholt haben bei einem Haufen Hundekacke und die Zinken meiner Harke verkleben. Richtig gehört: Meiner Harke. Als gäbe es auf dieser Welt keine Laubbläser, Rechen oder wenigstens professionelle Gärtner, denen man diesen Job aufdrücken könnte. Als gäbe es nur mich und Texas Joe, der schon wieder Pause macht und mich anstiert.

»Ja, Mann«, sage ich. »Was.«

Texas Joe stiert mich immer noch an. »För’n Verbreker büst du bannig langsam.«

Ich betrachte die Blätter. Die Blätter betrachten mich. Dann drängt sich Texas Joe zwischen uns. Sein Atem riecht nach den Käsebrötchen, die mir meine Mutter immer geschmiert hat. Für die große Pause. Und die ich zwei Wochen lang im Ranzen gelassen habe.

»Ich bin nicht langsam«, sage ich. Und in Gedanken füge ich hinzu: Ich bin reaktionär. Aber das sage ich lieber nicht laut. Dann müsste ich es Texas Joe nämlich erklären. Ich hasse es, wenn ich Dinge erklären muss. Oder wenn wer anders Dinge erklärt. Die Sache, die man erklärt, verliert sofort an Bedeutung. Als würde man mit einer Stecknadel in einen Luftballon hineinstechen. Alles Wesentliche macht sich dünn, und zurück bleibt nur ein schrumpeliges Häutchen.

Apropos schrumpeliges Häutchen: Texas Joe heißt gar nicht Texas Joe, sondern Joachim Niendorf, und das einzig Originelle, was ihm in seinem Leben passiert ist, war die Geburt in Groß Oesingen, Ortsteil Texas. Das Kaff heißt wirklich so. Jedenfalls macht mich Joe mit seinem Greisengesicht echt fertig. Das nächste Mal, wenn ich mich zu zweihundert Stunden Sozialdienst verknacken lasse, werde ich auf alle Fälle dafür sorgen, dass ich zu einem richtigen Sklaventreiber komme, keinem, der beinah hundert ist, einen Buckel hat und so einen zentnerschwer belastenden Dackelblick. Und bei dem man froh sein kann, wenn man ihn überhaupt versteht. Klar kann der auch Hochdeutsch. Will der olle Düwel aver nich.

»Schmitt«, sagt Texas Joe. Fast hätte ich mich schon wieder nicht angesprochen gefühlt. Wenn man Ernesto heißt, nennen einen die Leute nicht oft beim Nachnamen.

»Wetst du, woför de hier büst?«

Sicher nicht, um die hohe Kunst der rhetorischen Fragen zu lernen. Oder ordentliches Platt. Ich schweige total souverän. Texas Joes Augenbrauen wandern ein klein wenig in die Höhe, seine hellblauen Pupillen bleiben, wo sie sind. Ich nehme an, das ist sein Standpaukengesicht. Dann weht mich wieder der Käsebrötchengeruch an.

»Buße, Dösbaddel.«

»Nein, Mann«, sage ich. »Gartenarbeit.« Das hatte ich genau gehört. Richter Ohsoling hat zwar genuschelt, war aber trotzdem klar rauszuhören: »Zweihundert Stunden Sozialarbeit« – nuschelnuschel – » Landschaftspflege« – nuschelnuschel – »Niendorf«. Von Buße war da keine Rede. Kein Ton.

»Hebb ick mir allens dörchlest. Hest Füür leggt dröven in’t Möhl. Büst’n schofliger Keerl. ’n Füürpüüster, un dat in dien Öller.«

Er scheint zu überlegen, wie er weitermachen soll, und mümmelt dabei auf dem Stück Knäckebrot rum, das er sich vorhin in den Mund geschoben hat.

»Woför hest du dat egens makt, he?«

Ich gehe einen Schritt nach hinten und nehme meine Kappe ab. »Ich habe kein Feuer gelegt«, sage ich. Schnell versuche ich, mich an die Legende zu erinnern. Ach ja: War zwar alles angeblich meine Schuld, war aber gar nicht so gemeint. Ist bloß so gekommen. Wenn ich das nicht durchziehe, war alles umsonst. Das ganze Training: Wie ich die Geschichte allen erzähle und dabei total glaubwürdig wirke. Und auch ein bisschen durchgeknallt und irgendwie labil. Das kaufen einem die Erwachsenen immer sofort ab. Vor allem, weil ja jetzt sowieso alle wissen, dass ich heimlich in Frida verknallt war. War deshalb, weil’s jetzt nicht mehr heimlich ist. Der Witz ist: Trotz der ganzen Aktion bin ich immer noch in sie verknallt. Und das macht mich zur Witzfigur.

»Wat? Kniepst du nu?«

»Nein. Is’ bloß so, ich weiß selber nicht so genau, wie’s passiert ist. Müssen die Hormone sein.« Ich versuche, ein bisschen durchgeknallt zu klingen, höre mich aber bloß an wie einer aus so einer total schlecht gespielten Daily Soap. Da kommt mir aber schon jemand zu Hilfe. Im Erdgeschoss des Altersheims steht eine alte Frau am Fenster, bestimmt zum dritten Mal heute, und winkt uns zu.

»Ihre Verehrerin«, sage ich. Texas Joe zögert, dann schaut er tatsächlich rüber. Der Sklaventreiber wird fahrig, zieht seine Mütze vom Kopf und wischt sich die Hände an der Hose ab. Dann winkt er zurück. Original wie ein Fünftklässler. Zum Totlachen.

»Ach, dat Frollein Mettmann«, sagt Texas Joe.

Da hätt’s mich beinah umgehauen: Frollein Mettmann. Frollein Mettmann ist mindestens neunzig Jahre alt und trägt beige Rüschenkleider, dass man meinen könnte, im Semmenbütteler Altersheim wird gerade irgendein Historienschinken gedreht. In gewisser Weise stimmt das ja auch. Bloß ohne Kamera. Und ohne Script.

Eigentlich dachte ich ja, mit dem Alter verschwindet die Schüchternheit irgendwie, so wie das Gedächtnis oder das Zahnfleisch. Aber sie bleibt, und das ist eine schlechte Nachricht. Denn wenn ich mir den Niendorf so anschaue, scheint seine Verklemmtheit noch gewachsen zu sein. Wie seine Nase. Oder seine Ohren. Biologie ist eine Bitch. Plötzlich stelle ich mir vor, wie Texas Joe an Fräulein Mettmann rummacht. Manchmal macht mein Gehirn so was. Ich schwöre, ich habe damit nichts zu tun. Mein Gehirn ist einfach pervers. Und wer leidet am meisten darunter? Ich. Vielleicht hätte Richter Ohsoling mich besser nach Prinsenloh geschickt.

Prinsenloh ist ein Kaff ein paar Kilometer weiter weg, und die Klapse dort soll eine der schlechtesten der Bundesrepublik sein, das haben die in der Schule bei Papa immer gesagt, und die müssen es wissen. Von Papas hundert Förderschülern war bestimmt schon über die Hälfte mal in der Klapse, aber gebracht hat es nicht wahnsinnig viel, kann man ja schon daran sehen, dass die immer noch auf seine Schule gehen müssen.

Nach Prinsenloh, hat Papa einmal gesagt, komme er bestimmt auch einmal, aber mehr wegen mir als wegen seinen Schülern.

Ich glaube, das war, als ich bei den JuLis eingetreten bin, aber ganz sicher bin ich mir da gerade nicht. Die FDP jedenfalls, das sagt Papa auch, die ist noch schlimmer als Prinsenloh, aber was heißt das schon von jemandem, der seit dreißig Jahren Mitglied der DKP ist. Und der seinen Sohn Ernesto genannt hat.

Wahrscheinlich hat wirklich nicht viel gefehlt, und ich wäre in Prinsenloh gelandet. Dann hätte ich denen jeden Tag fünfmal alles erzählen dürfen. Also warum ich denn nun genau in der Mühle den Joint geschmissen hatte, ob ich irgendwie lebensmüde wäre oder vielleicht doch gemeingefährlich. Und irgendwann wären die bestimmt draufgekommen. Dass das alles gar nicht stimmt, meine ich.

»Ick sull woll beter mol …« Herr Niendorf kratzt sich an der Stirn. Die ist gerötet, da, wo vorher die Mütze drüberlag.

»Klar«, sage ich. »Unbedingt. Die ist ganz scharf auf Sie. Gehen Sie hin und bringen Sie ihr Pralinen. Oder ’n Gedicht.«

Da schaut er aber schon wieder zu mir rüber, es ist, als würde er aufwachen und sich seiner extrem wichtigen Position als Sklaventreiber bewusst werden. Er dreht sich um seine Achse, schneller, als man es ihm zutrauen würde.

»Dat allens, Schmitt« – er zeigt vom Altersheim runter zum Heidesee und weiter nach hinten zu den Windmühlen – »mutt du meihen. De Rabatten geten. Un de Aantenhütt püükfein feudeln. Den Steg schrubben. Dat Reet utrieten. Givt rieklich to doon.«

»Entenhütte mach ich aber nicht«, sage ich gleich. Schnell überlege ich, ob man gegen Entenscheiße allergisch sein kann. Aber...