Ordnung und Außer-Ordnung - Zwischen Erhalt und tödlicher Bürde

von: Brigitte Boothe (Hrsg.)

Hogrefe AG, 2008

ISBN: 9783456944746 , 325 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 35,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Ordnung und Außer-Ordnung - Zwischen Erhalt und tödlicher Bürde


 

Hermann Lang
Die Idee des Todestriebes und das Desaströse in der Kultur
(S. 54-55)

Freuds Begriff des Todestriebes ist wohl der umstrittenste seiner Begriffe. Viele seiner Schüler lehnten ihn ab, hielten ihn für einen unentschuldbaren Ausflug in Poesie und Metaphysik oder parlierten unter der Hand, dass es sich bei diesem Konzept um die Erfindung eines alternden Mannes handle, der an einem schweren Krebs erkrankt sei und sich selbst dabei recht autodestruktiv verhalte: obwohl er wisse, dass die Erkrankung mit seinem täglichen Verbrauch von 20 Zigarren zu tun habe, sei er nicht in der Lage, diese Sucht abzustellen.

In seinem ersten Triebmodell hatte Freud bekanntlich zwischen libidinösen Arterhaltungstrieben (Sexualtrieb) einerseits und Selbsterhaltungs- bzw. Ich- Trieben andererseits unterschieden. Letzteren ordnete er alles zu, was mit der Erhaltung, Behauptung und «Vergrößerung» der Person zu tun hatte. «Aggression » – diesen Begriff müssen wir zunächst in den Mittelpunkt unserer Überlegungen rücken – erschien dabei als «Mittel zur Durchsetzung» (Mentzos 1993) von Ansprüchen und verweigerten Befriedigungen, als wichtiger Affekt, aber nicht als ein spontaner selbstständiger Trieb.

Zur Auffassung nun, Aggression bzw. Destruktivität jetzt als einen angeborenen Trieb zu sehen, gelangte Freud wohl erst unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges mit seinem Freiwerden eines ungeheuren Vernichtungspotenzials und durch die Suche nach der Erklärung für eine Vielzahl destruktiver Neigungen des Menschen, seinesgleichen sadistisch zu drangsalieren, unverständliche Hassgefühle entgegenzubringen, sich für Kriege zu begeistern. So entschied sich der späte Freud (1920, 1930) für ein Konzept zweier antagonistischer Grundtriebe beim Menschen: Dem Lebenstrieb (Eros) steht jetzt ein Todestrieb (Thanatos) entgegen, der sowohl auf Selbstvernichtung des Individuums zielt als auch, nach außen gewendet, destruktiv gegen die Umwelt wirkt. In seinem berühmten Brief vom September 1932 an Albert Einstein, erschienen unter dem Titel «Warum Krieg?», heißt es entsprechend:

«Mit etwas Aufwand von Spekulationen sind wir…zu der Auffassung gelangt, dass dieser Destruktionstrieb innerhalb jedes lebenden Wesens arbeitet und dann das Bestreben hat, es zum Zerfall zu bringen, das Leben zum Zustand der unbelebten Materie zurückzuführen. Er verdient in allem Ernst den Namen eines Todestriebes. Der Todestrieb wird zu einem Destruktionstrieb, indem er … nach außen gegen die Objekte gewendet wird. Das Lebewesen bewahrt sozusagen sein eigenes Leben dadurch, dass es fremdes zerstört» (Freud 1932, S. 22). Nach Freud wird die Energie für den Todestrieb, von ihm auch Destrudo genannt, stetig im Körper generiert. Sie sammelt sich wie Wasser in einem Tank. Wird sie nicht in kleinen Mengen und auf sozial akzeptierte Weise abgegeben, wird sie so lange anwachsen, bis sie auf extreme und sozial nicht akzeptableWeise «überläuft». So wird verständlich, wenn er im «Abriss der Psychoanalyse» von 1938 schreibt: «Zurückhaltung von Aggression ist überhaupt ungesund, wirkt krankmachend (Kränkung)» (Freud 1938, S. 72). Eine Möglichkeit der Ableitung dieser Energie sei die so genannte Katharsis, ein Begriff, den Freund bekanntlich schon zusammen mit Breuer in seinem ersten Therapiekonzept entwickelt hatte (griechisch: Reinigung, Läuterung). Katharsis, das bedeutet jetzt, dass Emotionen intensiv ausgedrückt, ausgelebt werden, sei es im Weinen, in Worten, in symbolischen Darstellungen oder auch in direkten Handlungen. Es wird dabei die Auffassung vertreten, dass dieses emotionale «Rauslassen» aggressiver Gefühle das Auftreten nachfolgender Aggressionen zu senken vermöchte.

Das Freud’sche «Dampfkesselmodell» – der Triebdruck steigt so lange an, bis er sich an einer bestimmten Stelle explosionsartig entlädt – begegnet wieder in der ethologischen Aggressionstheorie (vor allem durch Konrad Lorenz 1963 vertreten, vgl. auch Eibl-Eibesfeldt 1986). Analog zur Auffassung Freuds geht man hier davon aus, dass aus einer inneren Triebquelle aggressive Impulse entstehen, die im Lebenskampf, im «Kampf ums Dasein» (Darwin), eingesetzt werden oder periodisch der Entladung zur Spannungsreduktion bedürfen. Ziel sei eine adäquate Aggressionsabfuhr: z. B. über ein «Ersatzobjekt»: «Wenn ich …damals im Gefangenenlager trotz schwerster Polarkrankheit nicht meinen Freund geschlagen, sondern einen leeren Karbidkanister zerstampft habe, so war dies ganz sicher meinem Wissen um die Symptome der Instinkt-Stauung zu danken» (Lorenz 1963). Es entspricht einer sozialen Norm, eher Sachen alsMenschen zu beschädigen.