Adolf Hitlers Hetzschrift 'Mein Kampf' - Ein Beitrag zur Mentalitätsgeschichte des Nationalsozialismus

von: Hermann Glaser

Allitera Verlag, 2014

ISBN: 9783869066585 , 328 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: frei

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Preis: 11,99 EUR

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Adolf Hitlers Hetzschrift 'Mein Kampf' - Ein Beitrag zur Mentalitätsgeschichte des Nationalsozialismus


 

II Seelenbild des Mädels


Der dem Volk suggerierte Status des Junggesellen Hitler machte deutlich – wie beim katholischen Priester –, dass das Wesen des »Führers« nur vom Wohl des Volkes bestimmt war und jede Liebesstrebung allein diesem Volk galt. Aber die Wirklichkeit sah anders aus: Nicht nur, weil er ein »süßes Mädel« (Eva Braun) zur Geliebten hatte,27 die er auf dem Obersalzberg in Verborgenheit hielt, sondern weil sein Frauenbild ganz vom »Mädel«, wie es seit Beginn des 19.Jahrhunderts zur deutschen Sexualikonografie gehörte, bestimmt war:

Die Ehe kann nicht Selbstzweck sein, sondern muss dem einen großen Ziel, der Vermehrung und Erhaltung der Art und Rasse dienen. Nur das ist ihr Sinn und ihre Aufgabe. Unter diesen Voraussetzungen aber kann ihre Richtigkeit nur an der Art gemessen werden, in der sie diese Aufgabe erfüllt. Daher schon ist die frühe Heirat richtig, gibt sie doch der jungen Ehe noch jene Kraft, aus der allein ein gesunder und widerstandsfähiger Nachwuchs zu kommen vermag. Freilich ist zu ihrer Ermöglichung eine ganze Reihe von sozialen Voraussetzungen nötig, ohne die an eine frühe Verehelichung gar nicht zu denken ist. …

Es gibt nur ein heiligstes Menschenrecht, und dieses Recht ist zugleich die heiligste Verpflichtung, nämlich: zu sorgen, daß das Blut rein erhalten bleibt, um durch die Bewahrung des besten Menschentums die Möglichkeit einer edleren Entwicklung dieser Wesen zu geben. Ein völkischer Staat wird damit in erster Linie die Ehe aus dem Niveau einer dauernden Rassenschande herauszuheben haben, um ihr die Weihe jener Institution zu geben, die berufen ist, Ebenbilder des Herrn zu zeugen und nicht Mißgeburten zwischen Mensch und Affe …

Die Psyche der breiten Masse ist nicht empfänglich für alles Halbe und Schwache.

Gleich dem Weibe, dessen seelisches Empfinden weniger durch Gründe abstrakter Vernunft bestimmt wird als durch solche einer undefinierbaren, gefühlsmäßigen Sehnsucht nach ergänzender Kraft, und das sich deshalb lieber dem Starken beugt als den Schwächling beherrscht, liebt auch die Masse mehr den Herrscher als den Bittenden und fühlt sich im inneren mehr befriedigt durch eine Lehre, die keine andere neben sich duldet, als durch die Genehmigung liberaler Freiheit.28

Das in verschiedenen Zusammenhängen in Erscheinung tretende Frauenbild des Kleinbürgers Hitler ist, typisch geprägt durch die seit der Spätromantik ideologisch »eingeschliffene« Vorstellung vom »Mädel«, das dem Manne liebevoll unterwürfig zu sein hat. (BDM = »Bund deutscher Mädel« hieß dann auch die NS-Organisation für die weibliche Jugend.) Das Mädel, so Hitler, will einen Ritter kennenlernen, es ziehe den Soldaten stets dem Nichtsoldaten vor. Das Mädchen ist in Gefahr, vom Juden verführt zu werden.

Würde nicht die körperliche Schönheit heute völlig in den Hintergrund gedrängt durch unser laffiges Modewesen, wäre die Verführung von Hunderttausenden von Mädchen durch krummbeinige, widerwärtige Judenbankerte gar nicht möglich. Auch dies ist im Interesse der Nation, daß sich die schönsten Körper finden und so mithelfen, dem Volkstum neue Schönheit zu schenken.29

Die tief greifenden Ansätze zur Emanzipation der Frau im Gefolge der Aufklärung werden vom Spießbürgertum rückgängig gemacht. Das Rokoko wird von ihm reanimiert. Da war das Mädel zwar keck, burschikos, ziemlich freizügig, aber auch rührend naiv, verängstigt, bekümmert und somit gut zu »gebrauchen«. Der Reiz des sexuellen Abenteuers wurde dadurch erhöht: die Verführung der Unschuld galt als erotische Pikanterie. Die gesellschaftlich engagierten Dichter des Sturm und Drang haben dann mit ihren Werken – getragen von humanitärem Interesse – das Mädel aus seiner geistig verkümmerten, verdumpft häuslichen Welt in den Raum der Bildung und geistigen Mündigkeit überführen wollen; viele Dramen sind Versuche, die Möglichkeiten einer sozialen Emanzipation beziehungsweise die Gründe für den Mangel an Emanzipation aufzuzeigen. Die Romantik und Klassik sind auf diesem Wege fortgeschritten und haben in Dichtung und Wirklichkeit die geistig souveräne Frauengestalt zum Ideal erhoben. Helena und Iphigenie sind Gipfelpunkte solcher Entwicklung. Im deutschen Bewusstsein verblieb jedoch das Bild des Gretchens. Goethe war zu der Naivität eines solchen Wesens durchaus hingezogen, zugleich aber war diese Gestalt ein Protest gegen die geistige Verkümmerung der Frau, die – in Unbildung und »sauberer Häuslichkeit« festgehalten – zum leicht verführbaren Objekt gewissenloser Kavaliere wurde. Der Prototyp des Mädels im 19. Jahrhundert ist das »saubere Mädel« (Gretchen) in einem »sauberen Stübchen « mit einem »schneeweißen Bettchen«, vor dem Faust »heiliger Wonnegraus« erfasst. »Gretchens Seele«, meinte Heinrich Düntzer, »erschließt sich dem geliebten Manne in aller Herzensgüte, Reinheit und Unschuld, ihre Liebe ist gleichsam der Duft aller ihrer Tugenden. «30 Sie war nun nicht mehr Objekt des Mitleids, aus dem sich die Impulse für eine gesellschaftliche Umwandlung hätten ergeben können, sondern Objekt »reiner Verehrung«: ein Jahrhundert der sorgsamen Gattinnen, treuen Mütter, frommen und keuschen Töchter (wie sie zum Grundsatzprogramm der meisten Zeitschriften gehörten) brach an, ein Jahrhundert der Keuschheitsideologie, die nicht die Reinheit als solche hoch schätzte, sondern die Reinheit des »Mädels«, die der Mann »genoss«. Dementsprechend war die Ehe Patriarchat: Gretchen nun unter der Haube. Über Dichtungen, in denen die Ebenbürtigkeit der Frau, der Partnerschaftsgedanke, das geistige Miteinander oder auch Gegeneinander (auf gleicher Ebene) dargestellt wurden, ging man hinweg; die »Wahlverwandtschaften«, der »Wilhelm Meister« oder die »Iphigenie« konnten so nie zu Hausbüchern der deutschen Seele werden. Dort, wo die Dinge nicht so ganz »eindeutig« lagen, bemühte man sich eifrig um Uminterpretation: besonders die »Glocke« hat dieses Schicksal erlitten und eben »Hermann und Dorothea«.

In »Hermann und Dorothea« verehrte man die streng patriarchalische Ordnung des Hauswesens. Kummer bereitete die Tatsache, dass Dorothea schon einmal verlobt gewesen war – also nicht mehr das naiv süße »Mädel« sein konnte, das man sich als Frau eines deutschen Hermann wünschte. Immerhin ist sie »sauber« gekleidet. »Aber ich geb euch noch die Zeichen der reinlichen Kleider: / Denn der rote Latz erhebt den gewölbeten Busen, / Schön geschnürt, und es liegt das schwarze Mieder ihr knapp an; / Sauber hat sie den Saum des Hemdes zur Krause gefaltet, / Die ihr das Kinn umgibt, das runde, mit reinlicher Anmut; / Frei und heiter zeigt sich des Kopfes zierliches Eirund; / Stark sind vielmal die Zöpfe um silberne Nadeln gewickelt; / Vielgefaltet und blau fängt unter dem Latze der Rock an / Und umschlägt ihr im Gehn die wohlgebildeten Knöchel.«31 – Auch sprach Dorothea die der herrschenden Gesellschaftsform angemessenen Sätze vom Dienen als Aufgabe des Weibes. In »Hermann und Dorothea« fanden sich jedoch an entscheidender Stelle Gedanken, die der »Mädel-Ideologie« zutiefst entgegengesetzt waren; sie wurden freilich selten erkannt; man versuchte sie dem Mädel-Keuschheitsideal zu subsumieren, obwohl aus ihnen die gegenseitige Achtung sprach: die Würde der Frau und die Würde des Mannes. Als im Mondlicht auf dem Heimweg Dorothea »unkundig des Steigs und der roheren Stufen« zu fallen droht, streckt gewandt der »sinnige Jüngling« den Arm aus: »Hielt empor die Geliebte; sie sank ihm leis auf die Schulter, / Brust war gesenkt an Brust und Wang’ an Wange. So stand er, / Starr wie ein Marmorbild, vom ernsten Willen gebändigt, / Drückte nicht fester sie an, er stemmte sich gegen die Schwere. / Und so fühlt’ er die herrliche Last, die Wärme des Herzens / Und den Balsam des Atems, an seinen Lippen verhauchet, / Trug mit Mannesgefühl die Heldengröße des Weibes.«32

Die Mädelgenerationen fielen in die nervigen, festen Arme ihrer Geliebten, die sie an die breite, hochgewölbte Brust ihrer kräftigen Mannesgestalt »unbändig« drückten. Als holdselige Geschöpfe, deren Reize man mit glühenden Blicken verschlang, als Mädel mit dem Liliensammet der Wangen, den Schwanenhänden, dem Lilienbusen, dem lockigen Haar mit den flatternden Bändern, der freudetrunkenen Seele mit dem Gott der Träume darinnen, waren sie in stummem Entzücken ihm ganz hingegeben.

Das Mädchen- und Frauenbild des Biedermeier33 stand bereits an der Grenze zwischen verinnerlichter Idyllik wie Wahrhaftigkeit und kitschiger Süße und betulicher Verstiegenheit. »Edles, deutsches, frommes Gesicht, tiefblaue Augen mit unbeschreiblichem Liebreiz der Brauen, besonders aber ist die Stirne kindlich frommgütig und doch so geistig« – so beschreibt Nikolaus Lenau sein Idol. Heinrich Heine charakterisierte den biedermeierlichen Frauentyp mit den Worten: »Du bist wie eine Blume / so hold und schön und rein.« Die Werbung traf das Mädchen beschämt und verschämt an. »Ich habe eine innige Sehnsucht, es immer wieder von Dir zu hören, daß Du mich liebst – liebst im ganzen Umfange des Wortes –, denn ich kann es immer noch nicht fassen, Du Herrlicher und ich Armselige «, schrieb die Braut Friedrich Schleiermachers an den Verlobten. Nachtigallen singen, Rosen springen auf – in »Hall und Widerhall « – wenn die Liebe das Mädel ergreift: »Sie war dich sonst ein wildes Blut; / nun geht sie tief in Sinnen, / trägt in der Hand den Sommerhut / und duldet still der Sonne Glut / und weiß nicht, was...