Die Logotherapie und Existenzanalyse Viktor Frankls - Systematisch und kritisch

von: Hedwig Raskob

Springer-Verlag, 2005

ISBN: 9783211271810 , 447 Seiten

Format: PDF, OL

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Die Logotherapie und Existenzanalyse Viktor Frankls - Systematisch und kritisch


 

II Die philosophisch-anthropologischen Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse (S. 131-132)

Vorbemerkung

Der Begriff Existenzanalyse ist im Rahmen der Logotherapie im Blick auf seine Wortbedeutung problematisch. Im Kapitel über die Entstehung der Logotherapie wurde der Zusammenhang mit der Psychoanalyse deutlich aufgezeigt. Die Gegenposition zur Psychoanalyse ist die eigentliche Bedeutung des Begriffs. Der Wortteil „-analyse" hat keine wirkliche Bedeutung im System der Logotherapie und Existenzanalyse, wie wir früher sahen. Der Gesamtbegriff wird dennoch mit einer bestimmten Bedeutung benutzt, sogar mit zwei Varianten. „Existenzanalyse" steht an erster Stelle für die metaklinische philosophische Anthropologie Frankls. Man kann auch sagen: Sie beschreibt das der Logotherapie zugrunde liegende Menschenbild, das von hoher praktischer Relevanz ist für die klinische Arbeit.

Der Begriff wird, zweitens, in die konkrete Neurosenlehre und -therapie eingebracht und zwar im Blick auf Bewusstmachung der Freiheit und in Bezug auf Sinn-Ergreifungs-Möglichkeiten. 2 Um den metaklinischen Gebrauch und Sinn von „Existenzanalyse" geht es hier. Der Begriff Logotherapie wird im Folgenden dennoch beibehalten als Kurzbezeichnung für das System als solches, also für „Logotherapie und Existenzanalyse". Das ist eine Entscheidung, die ich anfänglich getroffen habe. (Das System ist unter dem Namen bekannt, und „Existenzanalyse" ist in Frankls semantischer Erläuterung problematisch.) Existenzanalyse als Einzelbegriff steht hier, wie bei Frankl, für seine metaklinisch-philosophische Anthropologie. 3 Im Folgenden ergibt sich notwendigerweise eine Aufgliederung der Anthropologie in Struktur- (Kap. 5) und in inhaltliche Fragen (Kap. 6 und 7).

Der Mensch in seiner geistig-existentiellen Verfasstheit: Anthropologische Strukturfragen Die geistig-existentielle Dimension als die Wirklichkeit, die das Menschsein ausmacht, ist das Thema der „Existenzanalyse". Es ist deshalb verständlich, dass Frankl der Vorwurf gemacht wird, wie vor allem indirekt aus seinen Verteidigungsbemühungen hervorgeht, dass er einseitig die geistige Dimension hervorhebe, auf Kosten der realen psycho-sozialen Gegebenheiten. Die Haltung Frankls ist in dieser Hinsicht keineswegs unproblematisch. Was jedoch den Ansatz und im Wesentlichen auch die Gestalt angeht, so kann zweifellos von einer ausgewogenen und ganzheitlichen Sicht des Menschen in der Logotherapie gesprochen werden. Frankl ist der Urheber dieser ganzheitlichen medizinischen Sicht, auch wenn er ihr nicht in allen Teilen gerecht wird oder treu bleibt.

5.1 Intention und Anspruch

Jeder Psychotherapieform liegt ein bestimmtes Menschenbild zugrunde, ob es nun eigens artikuliert wird oder stillschweigend in den Prinzipien und Praktiken realisiert wird. In der Logotherapie ist es deutlich vorhanden und klar ausformuliert. Frankls philosophische Anthropologie nimmt sogar einen sehr breiten Raum in der Primärliteratur ein. Seine Begründung dafür lautet folgendermaßen:

Tatsächlich spielt sich jede Psychotherapie unter einem apriorischen Horizont ab, immer schon liegt ihr eine anthropologische Konzeption zugrunde, mag sie der Psychotherapie noch so wenig bewußt sein. Es gibt keine Psychotherapie ohne Menschenbild und Weltanschauung … Wenn ein Psychoanalytiker vorgibt, sich aller Wertungen zu enthalten, dann bedeutet auch diese Epoche selber und ihrerseits ein Werturteil. Wir stehen nicht an, die Behauptung zu wagen: Eine Psychotherapie, die sich für wertfrei hält, ist in Wirklichkeit bloß wertblind.

Frankl weist in diesem Zusammenhang auf S. Freud und die Bedeutung der Bewusstmachung von seelisch Unbewusstem hin. Analog dazu meint er, dass geistige Voraussetzungen (z. B. die Abwertung des religiösen Glaubens) ebenfalls gefährlich werden können, solange sie unbewusst und unkontrolliert ihren Träger bestimmen.